Die Revolution der Gestörten

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Die meisten Menschen sind latent gehemmt, Kreative hingegen gestört. Ihre Ideen werden die Produktions-gesellschaft überrollen, sagt Autor Wolf Lotter. Und die Wirtschaft retten.

Erklären Sie doch einmal Kreativität.

Wolf Lotter: Ein großes Missverständnis ist, dass Kreativität mit Kunst und Kultur assoziiert wird. Kreativität bedeutet, etwas Neues zu machen. Eine Erfindung, eine Verbesserung, eine Verfeinerung des Bestehenden. Also die Fähigkeit, ein Problem zu lösen, das es vorher noch nicht gab.

Und warum ist diese plötzlich so wichtig?

Weil wir es permanent mit Problemen zu tun haben, die wir bisher nicht kannten. Wir haben uns eingeredet, dass die Dinge planvoll gelöst werden können. Nach Mustern und Methoden. Das ist der Fluch des Industriezeitalters. Jetzt können wir sehr gut Dinge herstellen, die aber eben alle gleichförmig sind.


Man spricht allerorts von sogenannten Kreativberufen.

Weil mit diesem Schlagwort zunächst Berufe bezeichnet wurden, die neu waren. Die entscheidende Frage ist aber: Was tut jemand? Ist jemand dabei, etwas zu kopieren, zu reproduzieren, oder schöpft er etwas Neues? Wenn ich etwas Neues machen will, dann muss ich den normalen, konventionellen Weg verlassen. Und zwar radikal.

Wie kann Kreativität also entstehen?

Ein großer Fehler ist zu glauben, man könne Talent und Können voraussetzen. Man kann nicht etwas, das so ungleich verteilt ist, massenhaft umsetzen. Die Entwicklung von Kreativität hat mit Talenteförderung zu tun. Und mit noch etwas ganz Grausigem, nämlich Eliteförderung. Weil es ja um Verschiedenartigkeit, Unverwechselbarkeit geht. Wenn ich die entwickeln möchte, dann muss ich sie wachsen lassen. Das heißt einfach, das Gut oder das Kapital frei zu haben, in Möglichkeiten zu investieren.


Was uns zu den Förderprogrammen bringt. Wie sehr kann der Staat Raum schaffen?

Ich bin kein Freund staatlicher Förderungsprogramme. Die können nur eines: eine Absichtserklärung formulieren. Sie haben den entscheidenden Nachteil, dass sie immer darauf abzielen, dass man es selbst nicht schafft. Und sie haben mit dem Gedanken: „Ich kann mir Kreative backen“ zu tun. Das wird nicht funktionieren.

Kreative werden von Banken oft nicht ernst genommen. So entstehen Abhängigkeiten.

Das ist das zentrale Problem. Ich sag ja nicht, dass das Fördersystem grundsätzlich falsch ist, aber es ist eben Heftpflasterpolitik. Man müsste eigene Finanzierungsmodelle schaffen, auf den Gesetzgeber genug Druck ausüben, um sagen zu können: Junge Unternehmen haben jetzt einfach mal fünf, sechs Jahre ihre Ruhe. Finger weg, schleicht's euch. Die jetzigen Gesetze verhindern, dass Selbstständigkeit überhaupt entstehen kann. Fairness besteht nicht darin, ein altes System künstlich am Leben zu erhalten.

Was muss jetzt also getan werden, damit sich die Ideenwirtschaft entwickeln kann?

Kreative Leute nehmen einfach mehr auf, sie sehen mehr. Und mehr sehen heißt natürlich auch mehr Probleme lösen. Gerade die Ökonomie dreht sich um individuelle Verfeinerungen der Problemlösungen. Es wird genau darum gehen, dass wir diese Leute, diese Gestörten in den Vordergrund stellen. Und nicht weiterhin die latent Gehemmten die Organisationen leiten lassen. Wir orientieren uns am Mittelmaß. Es wäre wichtiger, an die Ränder zu sehen. Außerdem müssen Scheinstrukturen, die bloß Sicherheit suggerieren, abgebaut werden. Alte Ökonomie ist reine Esoterik. Man glaubt daran wie an die Kirche.

Wo steckt die kreative Revolution nun fest?

Das größte Problem ist, dass die Kreativwirtschaft noch in der Kultur- und Kunstszene feststeckt. Die hat sich angewöhnt, jede ökonomische Haltung zu verweigern und sich der Heimeligkeit und Selbsttäuschung hinzugeben. Der Künstler hat sich zu einem Pausenclown entwickelt. Die Kreativen sitzen wie Hofnarren in Seifenblasen fest. Jetzt müssen sie sich in Prozesse integrieren, die was bringen.

Welche Rahmenbedingungen müssen da in und für Unternehmen geschaffen werden?

Es geht darum, dass wir den Leuten Freiheiten zurückgeben. Wissen ist ein enormer Kapitalfaktor. Sie können heute mit ein paar Internetanschlüssen und einem Büro Dinge machen, die vor 20 Jahren noch unmöglich waren. Man möge sich also hüten zu glauben, dass die alte Macht noch gilt.

Kategorien schaffen, Ideen greifbar machen – das ist ein generelles Problem.

Ein Glas können Sie angreifen, eine Idee nicht. Was ist sie also wert? Wenn wir die Idee konventionell verkaufen wollen, müssen wir lügen, wir tun so, als hätten wir Monate daran gearbeitet und rechnen Tagsätze aus. Die Ressourcen gehen halt fürs Tarnen und Täuschen drauf, was völlig sinnlos ist.

Also dieses generelle Umdenken Richtung Kreativwirtschaft wird passieren?

Ja. Weil andere Möglichkeiten ausgehen. Der Prozess wird 30, 40 Jahre dauern, das kommt auf die Krisen des gegenwärtigen Systems an. Dabei kann man natürlich nicht sagen: Jetzt haben wir die Industriegesellschaft gehabt, da machen wir einen Strich und fertig. Aber wir werden das andere auch sehen und realistische Rahmenbedingungen für Kreativarbeit schaffen müssen. Die Lösung heißt schlicht und einfach Beweglichkeit. Es geht um den Kampf gegen die vermeintliche Zufriedenheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2009)

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