Steuern: Die Liebe der Ökonomen zur Mehrwertsteuer

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Lohnsteuer senken, Mehrwertsteuer erhöhen: Das ist der Kern des Steuerreformkonzepts des Thinktanks Weis[s]e Wirtschaft.

Wien. Die Mehrwertsteuer erhöhen? Wer das als Politiker plant, hat keine gute Presse. Gegen die Absicht von Finanzminister Schelling, den ermäßigten Satz teilweise aufzugeben, toben betroffene Branchen. Mit den Einnahmen will die Koalition einen Teil der Steuerreform finanzieren. Die Steuer auf den Konsum ist der große Hebel: Schon eine leichte Erhöhung spült Milliarden ins Budget. Das Hauptargument dagegen: Die Steuer wirke „regressiv“, weil sie Millionäre und Arbeitslose über einen Kamm schert. Wer wenig hat, leidet mehr. Statt einer „Reichensteuer“ hätten wir eine asoziale „Armensteuer“. Als Notlösung, wenn die Regierung keine großen Beträge zum Einsparen findet (oder finden will) und die ÖVP sich bei Vermögensteuern querlegt.

Mehr Wachstum

Nun aber hat der Thinktank Weis[s]e Wirtschaft mutig quer gedacht. Sein Modell für eine reine Steuerstrukturreform sieht im Kern eben dies vor: Lohnsteuer senken, Mehrwertsteuer erhöhen. Und zwar kräftig: Der normale Satz soll von 20 auf 22Prozent steigen, einen reduzierten Satz mit elf Prozent gäbe es nur noch für Mieten. Der Expertenzirkel mit dem Ökonomen Peter Brandner als Sprecher hat keinen direkten Einfluss auf Regierung und Sozialpartner. Ein spannender Gedankenanstoß ist das Modell aber allemal.

Denn aus Brandners Sicht wäre die Verlagerung ein Königsweg zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Die Vorschläge basieren auf Empfehlungen der EU-Kommission, die jährlich Steuerreformen in den Mitgliedsländern untersucht. Sie trommelt das Prinzip schon seit Jahren. Und weiß sich dabei in guter Gesellschaft. „Es ist allgemein akzeptiert, dass ein Verlagern der Besteuerung von Arbeit zu Konsum zu höheren Niveaus von Produktion und Beschäftigung führt“, melden die Brüsseler Ökonomen – und verweisen dabei auch auf IWF und OECD. Der postulierte Common Sense: Arbeitseinkommen hoch zu besteuern führt tendenziell dazu, dass Menschen weniger arbeiten und sich mit weniger Elan weiterbilden. Das hemmt Wachstum und Beschäftigung. Konsumsteuern hingegen verzerren nicht. Eine für den Steuerzahler neutrale Umschichtung hebt den Wohlstand. Für Österreich könnte das stärker gelten: Zwar ist in jedem EU-Land die Arbeit mehr belastet als der Konsum, aber hierzulande ist der Unterschied am drittgrößten (nach Italien und Belgien). Anderswo ist die Mehrwertsteuer weit weniger tabu: Fast die Hälfte der Mitgliedstaaten hat zwischen Mitte 2013 und Mitte 2014 ihre Steuerbasis erweitert oder reduzierte Sätze angehoben. Über ein Fünftel hat ihren Standardsatz erhöht.

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Ausgleich für die Armen

Was aber passiert mit den Armen? Es gibt zwei Möglichkeiten: Der Staat kann ihre Verluste durchschlagen lassen oder durch Sozialtransfers abfangen. Das EU-Modell rechnet beide Varianten. Die erste wirke auf längere Sicht stärker positiv. Denn hier steigen die Anreize, eine Arbeit anzunehmen. Das ist der Impuls, von dem die deutsche Wirtschaft seit den Hartz-IV-Reformen profitiert. Wem das zu langfristig gerechnet oder „kaltherzig“ gedacht ist, erreicht aber auch mit Kompensation einen positiven Effekt – er ist nur kleiner. Das Modell der Weis[s]en Wirtschaft sieht den Ausgleich vor, im wesentlichen durch eine höhere Negativsteuer auf niedrige Einkommen. Dieses Konzept liberaler US-Ökonomen wurde früher von der ÖVP forciert (nach dem Motto: „Leistung soll sich wieder lohnen“), ist mittlerweile aber im Forderungskatalog der Gewerkschaft gelandet.

Die vorgeschlagene Tarifreform sieht eine Entlastung von 7,7 Mrd. Euro vor. Der Eingangssteuersatz liegt bei elf Prozent ab 10.200 Euro, der Spitzensteuersatz bei 46 Prozent ab 70.000. Das Gros der Entlastung gehört dem Mittelstand: Beim siebenten bis neunten Dezil beträgt die Tarifentlastung über dreieinhalb Prozent. Die „Reichen“ profitieren deutlich weniger; ihr Durchschnittstarif ist sogar etwas höher als in den Konzepten von SPÖ und ÖGB. Dazu kommen eine höhere Mindestsicherung und ein „Familienpaket“ um je eine halbe Milliarde. Das Gesamtvolumen von 8,7 Mrd. wird zu 63 Prozent von der höheren Mehrwertsteuer finanziert. Da wäre also noch Platz für eine Vermögensteuer.

Auch auf diesem Terrain hält sich Brandner getreu an die Erkenntnisse aus Brüssel. Der Überblick über Europa zeigt: Ertragreich und wenig verzerrend sind hier nur laufende Steuern auf Grund und Boden. Deshalb soll zwar die Grunderwerbssteuer abgeschafft werden, die Grundsteuer aber deutlich steigen – was Mehreinnahmen von 800 Mio. brächte.

Begünstigungen streichen

Weit mehr, nämlich 2,4 Mrd. Euro, will Brandner durch Streichung von Begünstigungen einholen, die er für „Klientelpolitik“ hält: Erschwerniszulage, reduzierter Satz für Abfertigungen, Bausparprämie, Gewinnfreibetrag. Wie das auf die Verteilung wirkt, ist unklar. Gerade deshalb seien diese Ausnahmen zu komplex und intransparent.

Ein kleiner Schönheitsfehler im Reformkonzept der Weis[s]en Wirtschaft: In den untersten beiden Dezilen der Haushalte bleibt ein leichtes Minus. In seinem Simulationsmodell, das er vom IHS „geliehen“ hat, rechnet Brandner nur mit bestehenden Transfers, die diese Lücke nicht sinnvoll schließen können. Für die Politiker sei es aber nicht schwer, die Differenz durch einen neuen Transfer möglichst zielgerichtet auszugleichen.

In Summe soll damit das Steuersystem klarer und leistungsfreundlicher werden. Und der Wachstumseffekt? Er trete gewiss ein, sei aber zu aufwendig zu errechnen. Bei einigen zehntausend mehr Beschäftigten und einigen Zehntelpunkten mehr Wachstum kann sich auch der Fiskus über zusätzliche Einnahmen freuen – die dann für den Abbau des Schuldenbergs zur Verfügung stehen.

>>> www.weissewirtschaft.at

AUF EINEN BLICK

Eine Steuerstrukturreform schlägt der Thinktank Weis[s]e Wirtschaft vor. Die Belastung wird dabei nur umgeschichtet, aber so, dass die Auswirkungen auf das Wachstum möglichst günstig sind. Ökonomen plädieren dabei in der Regel für eine Verschiebung vom Faktor Arbeit (Einkommensteuer) auf Konsumsteuern (vor allem die Mehrwertsteuer) und laufende Grundsteuern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2014)

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