EU: 2000 Projekte, 1300 Milliarden Euro

Jeroen Dijsselbloem
Jeroen Dijsselbloem(c) APA/EPA/JULIEN WARNAND (JULIEN WARNAND)
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Experten präsentieren eine Auswahl von förderungswürdigen Investitionen. Darunter sind viele alte Hüte, die für das 315 Mrd. Euro schwere EU-Investitionsprogramm wieder ausgepackt wurden.

Brüssel. Bekanntlich sind die Augen größer als der Magen – was für jedes kalte Buffet gilt, gilt auch für das 315 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm der EU, das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor exakt zwei Wochen in Straßburg präsentiert hat. Denn bereits jetzt ist klar, dass die Begehrlichkeiten der Unionsmitglieder den Umfang der auf drei Jahre angelegten Initiative bei Weitem überschreiten – und diese Diskrepanz dürfte noch zu einigen Spannungen innerhalb der EU führen.

Mit vergleichsweise bescheidenen Eigenmitteln (21 Mrd. Euro)wollen EU-Kommission und Europäische Investitionsbank private Geldgeber dazu motivieren, Investitionen in die europäische Infrastruktur zu finanzieren, und so das Volumen erhöhen. Gemäß Juncker sollen die Prioritäten dabei seinem politischen Programm entsprechen. Zu den vordringlichen Zielen, die sich der Kommissionschef gesetzt hat, zählen der Ausbau des Breitband- und Energienetzes in der EU. Wobei die Auswahl der geförderten Projekte nach objektiven ökonomischen Kriterien erfolgen soll, wie alle Beteiligten in Brüssel versichern. Die Entscheidung über die Vergabe der Mittel würden „nicht die Politiker“ fällen, wiederholte Jeroen Dijsselbloem, der Vorsitzende der Eurogruppe, am Dienstag.

Die Auswahl der Taskforce

Ebenfalls gestern wurde den in Brüssel versammelten EU-Finanzministern ein Bericht der EU Task Force for Investment überreicht. Auf gut 600 Seiten werden darin rund 2000 Investitionsprojekte aufgelistet, die von den EU-Mitgliedern und der Brüsseler Behörde für unterstützungswürdig befunden wurden. Dieser Investitionsbedarf summiert sich auf 1300 Mrd. Euro, wovon 500 Mrd. in den kommenden drei Jahren anfallen würden. Inwieweit diese Zusammenstellung die Auswahl der Projekte im Rahmen des Juncker'schen Investitionsprogramms beeinflussen wird, ist noch offen – die Erwartungen der EU-Mitglieder, die an der Zusammenstellung beteiligt waren und ihre Wunschlisten nach Brüssel geschickt hatten, sind jedenfalls hoch.

Die von Österreich gelieferten 19 Vorschläge sind rund 28 Mrd. Euro schwer. Darunter sind unter anderem Evergreens wie der Ausbau des Karawankentunnels, der mit 300 Mio. Euro veranschlagt wird, aber auch thermische Sanierung (3,6 Mrd. Euro), die Pumpspeicheranlage Pfaffenboden (400 Mio. Euro) und der Anschluss der Fürstenfelder Schnellstraße S7 an die A2 (600 Mio. Euro).

Diese Beispiele verdeutlichen das Ausmaß des Problems, mit dem sich Junckers Team herumschlagen muss. Viele der eingereichten Projekte sind nämlich alte Hüte, die mit neuen „Mascherln“ versehen wurden, um an die frischen Geldquellen heranzukommen. Im Fall von Österreich wird das etwa bei der S7 deutlich – als Investitionshemmnis wird nämlich nicht der Mangel an Geld oder Investoren angegeben, sondern das Zinsniveau – gewünscht wird explizit eine „Reduktion der Zinskosten für Österreich“. Ähnliches weiß der „Spiegel“ für die deutsche Wunschliste zu berichten. So sei etwa die Finanzierung einer Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal, die in der EU-Liste mit einem Investitionsvolumen von 500 Mio. Euro beziffert wird, bereits vom Bundestag bewilligt worden. Auch die Finanzierung der gelisteten deutschen Glasfaser-Projekte sei teils seit Jahren gesichert, berichtet das Nachrichtenmagazin.

Dabei ist die politische Dimension noch gar nicht mitberücksichtigt – denn wie man aus Junckers Umfeld vernehmen kann, werden beim Kommissionspräsidenten laufend nationale Begehrlichkeiten deponiert. Vor wenigen Tagen erreichte ein Brief aus Berlin die Brüsseler Behörde, in dem vier Minister forderten, das Gros des Geldes müsse für den Breitbandausbau ausgegeben werden. Die Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) wiederum wünscht sich Investitionen in die Energieinfrastruktur. Und zu guter Letzt gibt es noch die südeuropäischen Krisenländer, die das Investitionsprogramm als Mittel zur Ankurbelung ihrer Konjunktur betrachten. Jean-Claude Juncker kann sich also auf eine heiße Schlacht am Investitions-Buffet einstellen: Am 18. und 19. Dezember werden die Staats- und Regierungschefs der Union über das Investitionsprogramm beraten.

AUF EINEN BLICK

Die von Österreich eingereichten 19 Projekte summieren sich auf einen Investitionsbedarf von rund 28 Milliarden Euro. Darunter befinden sich unter anderem der Ausbau des Karawankentunnels (300 Mio. Euro), der Anschluss der Fürstenfelder Schnellstraße S7 an die A2 (600 Mio. Euro), eine thermische „Sanierungsoffensive“ (3,6 Mrd. Euro) sowie die Pumpspeicheranlage Pfaffenboden (400 Mio. Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2014)

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