Gegen wen noch ankämpfen? Es sind doch alle die Guten

In Österreich brauchte es wieder einen Ruck – wie damals in der Au.

Als am 10. Dezember 1984 die ersten Bäume der Stopfenreuther Au gefällt werden sollten, war klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Je nach Standpunkt waren es entweder die Schlägertrupps, deren Gewaltbereitschaft sich gegen die Bäume richtete, oder die Au-Besetzer, die sich vor Kettensägen und Bagger warfen, um sie zu stoppen. Aber man konnte sich jedenfalls – auch ganz bequem von der Fernsehcouch aus – aussuchen, welche Sicht der Dinge man einnahm. Das kann ich heute nicht mehr.

Heute sind die Trennlinien zwischen Schutz und Zerstörung nicht mehr auszumachen. Damals war klar: Die einen wollen ein Kraftwerk, vielleicht auch Arbeitsplätze – und auch wenn es nur ein kurzfristig gültiges Argument war. Die anderen wollten die Erhaltung von Natur. Gut und Böse – gleich, von welcher Seite man das betrachtet hat – war klar auszumachen. Heute ist Umweltschutz Teil des Kommerzes: Keine Marke kann es sich leisten, offen auf der falschen Seite zu stehen.

Heute sollen wir die uns im Grunde noch immer widerstrebenden Eingriffe in die Natur nicht mehr nur hinnehmen – wir sollen das auch mit Freude tun. Der kapitalstarke Investor hat die Elternrolle übernommen: Mach nicht nur, was wir wollen, sondern freue dich auch daran!

Umweltschutz ist Lifestyle

Denn Umweltschutz ist schließlich auch Lifestyle: Etwas mehr für das Flugticket bezahlen (das lässt sich online mit einem Klick auf den Button „gutes Gewissen“ machen), und schon soll sich der CO2-Ausstoß der Reise verringern. In diesem Sinne: bitte auch keine Debatten mehr über die Nutzung der letzten frei fließenden Gewässer (Hainburg ist doch nur noch Folklore), keine Debatte über die Aufstellung eines Windrades in jeder Gemeinde und die dazugehörenden Stromleitungen über jeden Bergrücken. Mit dem beschränkten Blick auf die CO2-Reduktion als Selbstzweck werden bekanntlich andernorts auch Atomkraftwerke argumentiert. Da zeigt sich also: Umweltzerstörung kann heute sogar im Deckmantel des Umweltschutzes daherkommen. Da können keine umweltbewegten Bürger, nicht einmal Umweltpolitiker noch ausmachen, wo Gut und wo Böse ist.

Viele kleine Hainburgs

Auch weil die Hainburgs dieser Tage kleiner sind. Oft so klein, dass allfälliger Widerstand dagegen hart an der Grenze der Lächerlichkeit oder des Querulantentums steht: ein Kreisverkehr mit gleichsam magnetischer Anziehungskraft für Diskontmarktagglomerate, ein Hochregallager in dem von jeder Siedlung entfernten neuen Gewerbegebiet, das weitere Infrastrukturbauten nach sich zieht. Man kann doch nicht gegen alles sein.

Nein, aber all das zusammen frisst in Österreich täglich eine Fläche von 22,4 Hektar. Das entspricht, für die Agrarier unter uns, der Fläche eines durchschnittlichen österreichischen Bauernhofes, für die anderen, der Fläche von 31 Fußballfeldern.

So haben Bau- und Verkehrsflächen in Österreich allein in den Jahren 2009 bis 2012 um zehn Prozent zugenommen. Für eine Bevölkerung, die in derselben Zeit um 1,1 Prozent gewachsen ist. Wenn wir kontinuierlich so weitermachen, haben wir in 400 Jahren ganz Österreich mit Ausnahme der hochalpinen Regionen versiegelt.

Ob eine Umkehr dieses Trends also nötig ist, bedarf keiner Debatte, sondern eines Rucks, der durch die Gesellschaft geht – wie im Falle einer Au vor 30 Jahren. Aber da müssen wir erst der Falle entkommen, jede Zerstörung unserer Lebensumgebung als Funpark oder schnelleren Verkehrsweg dorthin zu begreifen.

Mag. Tarek Leitner (*1972) studierte Rechtswissenschaften. Seit 1997 ist er Redakteur, seit 2004 Moderator der „Zeit im Bild“ des ORF; Autor von „Mut zur Schönheit“ (Brandstätter, 2012).


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2014)

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