Der CIA-Folterbericht des US-Senats lässt linke und rechte Amerika-Hasser höhnen, doch in Wahrheit ist er ein Zeugnis der Kraft liberaler Gesellschaften.
Seit der Geheimdienstausschuss des US-Senats am Dienstag seinen Bericht über die Verhaftungs- und Verhörpraktiken der CIA vorgelegt hat, gibt es täglich neue Einsichten über die Jagd des Geheimdienstes nach den Attentätern vom 11.September 2001. Von der Androhung des Traktierens mit einer Bohrmaschine über knapp 105 Stunden Schlafentzug bis zur Zwangsernährung mittels per Schlauch ins Rektum gepumpten pürierten Essens hat die Weltöffentlichkeit nun ein Bild davon, welche Mittel man unter der zumindest stillschweigenden Genehmigung von Präsident George W. Bush für heilig befand, um die Ziele des „Kriegs gegen den Terror“ zu erreichen.
Erwartungsgemäß eint dieser Bericht die Feinde der Vereinigten Staaten in ihrem Hass auf Washington. „Und die nennen uns barbarisch?“, unken Jihadisten, die mit dem Kopfabschneiden sonst keine Probleme haben, in einschlägigen Internetforen. „Können wir in der Nato bleiben, wenn die USA erst vor Kurzem Folter angewendet hat?“, bekundet Marine Le Pen, die Parteichefin des rechtsextremen Front National, mittels Twittermeldung ihre neu entdeckte Liebe zu den Menschenrechten. Und was manch Linkem dieser Tage in Hinblick auf die USA im Allgemeinen sowie auf Bush und seine Gefolgsleute im Speziellen über die Lippen kommt, berechtigt Zweifel an deren Bekenntnis zum Humanismus.
Hinter all den unerfreulichen Wortmeldungen tut sich eine wichtige Frage auf: Ist Folter ein absolutes Übel? Le Pens ursprüngliche Reaktion entspricht dem, was auch manche Menschen denken, die das Gedankengut des Front National ablehnen: Wenn ein Bösewicht eine tickende Bombe versteckt hat, sei Gewaltanwendung erlaubt, um deren Ort zu finden. Im Jahr 2002 gab es in Frankfurt einen Fall, in dem diese Hypothese geprüft wurde. Polizisten hatten dem Entführer eines Bankiersohns Schmerzen angedroht, würde er nicht verraten, wo er das Kind versteckt hatte. Der Entführer gestand, der Bub war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits tot.
Charles und Gregory Fried, Vater und Sohn, der eine emeritierter Harvard-Rechtsprofessor und einst Rechtsberater von Ronald Reagan, der andere ein linksliberaler Philosoph, widmen sich diesem Fall in ihrer 2010 unter dem Titel „Because It Is Wrong“ als Buch erschienenen Diskussion über die Folter. Und sie verwerfen ihn als Rechtfertigungsgrund (genauso wie das Landgericht Frankfurt bei der Verurteilung des Polizisten). „Folter ist die Gepflogenheit der Tyrannei, nicht freier Republiken, und sie kann nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden“, schreiben die Frieds. „Sie impft eine Vorstellung von der Macht des Staates und dem Wert des Menschen ein, die direkt unserem Gründungsprinzip der unveräußerlichen Würde des Menschen widerspricht, selbst des allerschuldigsten.“
Die Verurteilung der Folter zeichnet die freie, demokratische, auf dem Humanismus fußende Republik aus. Wer einwendet, dass die Vereinigten Staaten von einem Klüngel reicher weißer Sklavenhalter gegründet wurden, übersieht den Drang dieser Republik, die Grundrechte allen Bürgern zuzusprechen. An den USA lässt sich die Einsicht gewinnen, dass Demokratie kein Zustand, sondern ein ständiges Verfahren ist – mit allen Schattenseiten und Sternstunden. Wenn liberale Gesellschaften ihren Werten untreu werden, sorgen Meinungsfreiheit, gleiche und geheime Wahlen, die Unterwerfung der Staatsgewalt unter demokratisch beschlossene Gesetze für die Beseitigung des Übels.
In Autokratien ist das unmöglich; oder kann sich jemand vorstellen, dass die Duma in Moskau einen Bericht über die Morde der russischen Geheimdienste an Journalisten vorlegt oder der Nationale Volkskongress in Peking einen über die Verbrechen der Volksarmee?
So liegt die besondere Tragik der unter Bush eingeführten Folterpraktiken darin, dass sie den moralischen Führungsanspruch der USA dauerhaft beschädigt hat. Für Amerikas Diplomaten wird es nun fast unmöglich, in Ländern wie Russland, China oder dem Iran für die Menschenrechte einzutreten. Das ist Bush, dem selbst ernannten „mitfühlenden Konservativen“, ewig vorzuhalten.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2014)