Deutschland: Rechtspopulistische Protestwelle

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In Dresden und anderen Städten lebt die Tradition der Montagsdemos wieder auf. Die diffuse Bewegung richtet sich gegen eine angebliche „Islamisierung des Abendlands“.

Wien/Dresden. 25 Jahre ist es her, dass Abertausende Ostdeutsche in Montagsdemonstrationen in Leipzig, Berlin und anderswo den Anfang vom Ende des DDR-Diktatur einläuteten. „Wir sind das Volk“, skandierten sie und trotzten der Staatsgewalt und den Schlägertrupps des kommunistischen Regimes. Just im Jubiläumsjahr des Mauerfalls sorgen nun erneut Montagsmärsche für Aufruhr, diesmal vor allem in Dresden. Wie damals hallt die Parole „Wir sind das Volk“ durch die nächtlichen Straßen der sächsischen Hauptstadt zwischen Zwinger und Frauenkirche. Allerdings mischt sich darin ein bedenklicher Unterton: „Deutschland erwacht“. Laut „Spiegel“ breitet sich eine „neue deutsche Welle“ aus.

Unter der populistischen Sammelbewegung „Pegida“, der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“, schwillt seit Wochen ein diffuser Protest gegen Zuwanderung und Flüchtlingspolitik an, der der Staats- und Regierungsspitze in Berlin Unbehagen bereitet. Von Präsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel abwärts richten deutsche Politiker quer durchs Parteienspektrum Appelle an Vernunft und Bürgersinn – mit Ausnahme der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD), die offen mit den Demonstranten sympathisiert: „Wir sind die natürlichen Verbündeten dieser Bewegung“, bekräftigte der Publizist Alexander Gauland.

Nach einer jüngsten Umfrage heißt ein Drittel der Deutschen die Stoßrichtung für gut. Dabei leben in Sachsen lediglich 2,5 Prozent Ausländer, in Dresden nur unwesentlich mehr. „Wir warnen ganz deutlich vor der zunehmenden islam- und ausländerfeindlichen Hetze dieser Organisation“, bekundete kürzlich die deutsche Innenministerkonferenz. Zugleich verwahren sich Politiker aller Coleur gegen eine allgemeine Punzierung der Demonstranten als Rechtsextreme.

Längst manifestiert sich der Volkszorn der Wutbürger indes in Gewaltaktionen. Ausgerechnet zum Auftakt des CSU-Parteitags in Nürnberg gingen bei Brandanschlägen noch unbewohnte Asylanten-Quartiere in Franken in Flammen auf, die anonymen Täter hinterließen Hakenkreuzschmierereien. Im Berliner Regierungsviertel flogen Molotowcocktails, eine Gruppe namens „Deutsche Widerstandsbewegung“ bekannte sich in einem nationalistischen Pamphlet zu der Tat.

Initialzündung für den Protest-Herbst war eine Kundgebung von Hooligans und Neonazis unter der Chiffre „HoGeSa“ gegen Salafisten Ende Oktober in Köln, die in einen Krawall ausartete. Danach gewannen die Montagsdemos der „Pegida“ immer mehr an Zulauf, und inzwischen haben sie sich über Dresden hinaus auch in den Westen Deutschlands, nach Düsseldorf oder Kassel, ausgebreitet.

Lutz Bachmann, der 41-jährige Chef einer PR-Agentur – ein früherer Kleinkrimineller, der in „Bild“ seine Rotlicht-Vergangenheit, die Flucht nach Südamerika und seinen Kokain-Konsum eingestand – hatte „Pegida“ im Oktober ins Leben gerufen. Via Facebook startete er einen Aufruf gegen die vermeintliche Islamisierung, nachdem die Kurdische Arbeiterpartei PKK in Dresden für eine Bewaffnung der kurdischen Kämpfer in Syrien und im Irak geworben hatte.

„Dresden für alle“

Mittlerweile teilen mehr als 40.000 Facebook-Fans seine populistischen Thesen, und unter die konservativ-bürgerlichen Demonstranten mischen sich auch Rechtsnationale, Rechtsextreme, Neonazis, Hooligans wie die „Faust des Ostens“, radikale Fußballfans von Dynamo Dresden und allerlei Verschwörungstheoretiker. Angestachelt vom ehemaligen FAZ-Journalisten und Geheimdienstexperten Udo Ulfkotte raunen sie von „Weltbürgerkrieg“ und „Fäkalien-Jihad“ und zetern gegen ein angebliches Medienkartell.

Unter dem Motto „Dresden für alle“ machte zuletzt eine breite Front mobil gegen Bachmann und Konsorten, die beiden Lager hielten sich am Montag die Waage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2014)

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