Australien: Geiseldrama in Sydney endet blutig

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Nach einem 17-stündigen Nervenkrieg stürmt die Polizei ein Café in Sydney. Der Geiselnehmer und mindestens eine weitere Person sterben. Nach dem Terrorakt stellen sich Australier vor Muslime.

Sydney/Wien. Mitten in der Nacht blitzt es mehrmals auf im Lindt-Café, Schüsse hallen durch Sydneys Geschäftsviertel, auch Explosionen sind zu hören. Mehrere Geiseln rennen mit erhobenen Armen an den schwer bewaffneten Spezialkräften der Polizei vorbei, sie laufen um ihr Leben. Das Fernsehen überträgt live, als weitere Personen auf Krankentragen abtransportiert werden. Minuten nach dem Zugriff der Polizei macht die Nachricht die Runde: Es gibt Tote. Neben dem Geiselnehmer starb mindestens eine weitere Person.

Knapp 17 Stunden zuvor hatte das Geiseldrama auf dem belebten Martin Place im Herzen Sydneys begonnen. Zunächst sah alles nach einem islamistisch motivierten Terrorangriff aus: Harun M., ein iranischer Flüchtling, zwang seine mehr als ein Dutzend Geiseln, ein schwarzes Jihadisten-Banner in die Auslage über den Schriftzug „Lindt – Merry Christmas“ zu halten. Er nahm über die Geiseln Kontakt mit TV-Stationen auf und forderte eine Flagge des Islamischen Staats (IS) sowie ein Gespräch mit Australiens Regierungschef, Tony Abbott.

Doch später wurde bekannt, dass den 49-Jährigen allzu weltliche Probleme zu der Geiselnahme im Namen des IS getrieben haben könnten: Der 49-Jährige wurde am Freitag letztinstanzlich zu 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, wie australische Medien berichteten. Der Flüchtling aus dem Iran hatte 2007 und 2008 Hassbriefe an die Familien von in Afghanistan gefallenen Soldaten geschrieben. „Er nannte meinen Mann einen Kindermörder und gab mir Ratschläge, wie ich mein Kind erziehen soll. Es war angsteinflößend“, schilderte eine Witwe nach Angaben des „Sydney Morning Herald“. Der 49-Jährige soll seine „Kondolenzschreiben“, wie er die Brief nannte, dagegen als politische Aktion verteidigt haben.

Noch schwerer wiegen Anschuldigungen, wonach der Mann den Mord an seiner Exfrau (sie wurde erstochen und angezündet) in Auftrag gegeben haben soll. Und dann steht der 49-Jährige noch unter Verdacht, Dutzende Frauen missbraucht zu haben. Seine Opfer soll er mit Zeitungsannoncen gelockt haben, in denen er sich als Wunderheiler ausgab, der sich auf die Künste der Astrologie und der schwarzen Magie verstehe, berichten australische Medien. Der 49-Jährige, der auf Kaution frei ist, bezeichnete sich selbst als Scheich.

Dass die Geiselnahme islamistisch motiviert gewesen sein könnte, schürte die Angst vor Übergriffen auf Muslime. Doch zigtausende Australier setzten den Bildern des Terrors Solidaritätsbekundungen mit den Muslimen des Landes entgegen. Unter dem Hashtag „I'll ride with you“ fluteten sie den Kurznachrichtendienst Twitter mit Angeboten an Muslime, sie in öffentlichen Verkehrsmitteln zu begleiten, ja zu schützen. Ein User löste die Kettenreaktion aus: „Wer den Bus Nummer 373 (. . .) nimmt, religiöse Kleidung trägt und sich allein nicht sicher fühlt: Ich fahre mit dir (I'll ride with you).“

Zweithöchste Terrorwarnstufe

Australiens Behörden warnen schon länger vor einem Terrorangriff. Im September wurde die zweithöchste Warnstufe ausgegeben, wonach Anschläge wahrscheinlich sind. Im selben Monat wurde im größten Antiterroreinsatz der Geschichte des Landes ein grausames Terrorkomplott vereitelt: Berichten zufolge planten Jihadisten, zufällig ausgewählte Passanten in Fahnen des Islamischen Staats zu hüllen und zu köpfen.

Bis zu 90 Australier sollen sich auf den Weg nach Syrien und den Irak gemacht haben. Jeder Vierte sei mittlerweile tot.

IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani hat im September zu Anschlägen gegen die Anti-IS-Koalition aufgerufen – und dabei ausdrücklich auch Australien als Ziel genannt, das ebenfalls Luftangriffe im Irak fliegt. Harum M. könnte nun ein weiterer einsamer Wolf gewesen sein, der sich von den Aufrufen der Jihadisten angesprochen fühlte. (red./ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2014)

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