Das Comeback der Taliban gefährdet den Atomstaat Pakistan

Das Doppelspiel der pakistanischen Armee rächt sich: Das radikalislamistische Monster, dem sie zur Geburt verholfen hat, ist wieder im Aufwind.

Treffender hätte es kaum jemand sagen können. Malala Yousafzai hat die Diktion einer Staats- und Regierungschefin bereits verinnerlicht, als sie den „sinnlosen und kaltblütigen“, den „feigen und grauenhaften“ Terrorakt gegen „meine Brüder und Schwestern“ in einer Schule in Peschawar verurteilt hat. Das hat eine gewisse Logik, denn die 17-jährige Friedensnobelpreisträgerin aus Pakistan eifert ihrem Idol Benazir Bhutto nach, und das Amt der Premierministerin ist ihr deklariertes Ziel. Doch niemand ist berufener als die Tochter eines Schuldirektors, gegen den Terrorangriff der Taliban aufzustehen. Vor zwei Jahren hat sie selbst ein Attentat in einem Schulbus nur knapp überlebt. Pakistans Premier, Nawaz Sharif, fand beinahe idente Worte, als er eine dreitägige Staatstrauer anordnete und selbst nach Peschawar eilte, der Stadt am Fuß des strategisch so wichtigen Kyber-Passes nach Afghanistan.

„Sie sollen unseren Schmerz spüren“, lautete das Motiv der Taliban für das Selbstmordkommando auf die von Militärs geführte Schule im Nordwesten Pakistans, der Wiege der Taliban und zugleich ihr Rückzugsort. Seit die pakistanische Armee im Sommer eine groß angelegte Offensive gegen die islamischen „Gotteskrieger“ lanciert hat, sind sie zwar militärisch wie ideologisch in der Defensive, doch immer noch imstande, Terroraktionen und Selbstmordattentate zu verüben – seien es auch nur Verzweiflungstaten. Die radikalen Halsabschneider des sogenannten Islamischen Staats (IS) haben den Taliban vielerorts, auch in Pakistan, den Rang unter den militanten Anhängern abgelaufen. Die Zahl ihrer Kämpfer ist dezimiert, laut Militärangaben sind bisher 1800 Taliban den Gefechten zum Opfer gefallen, und 90 Prozent der Unruheregion in Nordwaziristan – dem weitläufigen, unwegsamen Unterschlupf für die Terroristen und den berüchtigten Haqqani-Clan – seien „gesäubert“.

Das klingt indes verdächtig nach Propaganda, nach einer Beschwichtigung westlicher Bedenken. Das pakistanische Militär und insbesondere der Geheimdienst ISI stehen in einem dubiosen Ruf. Sie haben jahrelang ein Doppelspiel betrieben: Einerseits kooperierten sie mit dem Westen, andererseits förderte ISI den Aufstieg der Taliban nach Kräften, und nicht wenige Offiziere sympathisieren mit den Islamisten. Unter den Augen der pakistanischen Sicherheitskräfte verschanzte sich Osama bin Laden jahrelang in der Garnisonstadt Abbottabad – ohne die Mitwisserschaft hochrangiger Militärs wäre dies kaum vorstellbar gewesen.

Es steht zu befürchten, dass die Taliban ins Vakuum vorstoßen werden, das der Abzug der Alliierten Ende des Jahres nach 13-jährigem, unter mit hohen personellen wie finanziellen Kosten verbundenem Einsatz aus Afghanistan hinterlässt. Sie stehen vor einem Comeback. Afghanistans Ex-Präsident Hamid Karzai und Sharif mühten sich vergeblich, die moderaten Taliban zur Zusammenarbeit zu bewegen. Karzai galt zuletzt nicht nur Spöttern als „Bürgermeister von Kabul“. Die radikalen Kräfte behielten die Oberhand, und so sah sich US-Präsident Barack Obama gezwungen, ein größeres Truppenkontingent zum Kampf gegen die unheilige Allianz aus al-Qaida und Taliban entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze abzustellen, um die Minierfolge der Mission nicht aufs Spiel zu setzen.


Die Af-Pak-Strategie, die Verquickung des Antiterrorkriegs in Afghanistan und in Pakistan, ist nur ansatzweise aufgegangen. Der massive Drohnenkrieg und die Undercover-Operationen der CIA in Pakistan werden noch lang nach dem Rückzug der US-Soldaten weitergehen. Es ist eine Konstante der US-Außenpolitik: Von Bill Clinton über George W. Bush bis Obama galt in Washington die Einschätzung von Pakistan als „gefährlichstem Brennpunkt der Welt“, und sie wird auch auf Obamas Nachfolger übergehen – ob er nun wieder Clinton (Hillary) heißen mag oder Bush (Jeb).

Pakistan, die einzige islamische Atommacht, eine labile Demokratie im Dauerclinch mit dem Erzrivalen Indien, enthält im Inneren ein hochexplosives Gemisch. Die mächtige Armee spielt seit jeher eine zwielichtige Rolle. Zugleich ist sie als Ordnungskraft ein Garant, der das Schlimmste verhütet – demokratiepolitisch bedenklich, realpolitisch letztlich wohl ein Segen für die Welt.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2014)

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