Ein Selbstmordkommando der Taliban richtete in einer Schule in Peschawar ein Blutbad an, dem mehr als 140 Menschen zum Opfer fielen.
Bangkok/Islamabad. Die Schüler in der von der pakistanischen Armee geführten Schule in Peschawar waren im Prüfungsstress, als sieben Selbstmordattentäter mit dem muslimischen Kampfruf „Gott ist groß“ in den Komplex eindrangen, um sich schossen und bis zu 500 Lehrer und Schüler als Geisel nahmen. Erstklässler rannten weinend um ihr Leben, Mütter hielten verzweifelt nach ihren Kindern Ausschau. Nach dem Sturm pakistanischer Spezialeinheiten trugen Sicherheitskräfte die sieben Leichen der Taliban-Attentäter ins Freie, dazu mehr als 130 tote Kinder, zum Teil bereits in Holzsärgen, und Dutzende Schwerverletzte. Der Selbstmordanschlag forderte – inklusive der Angreifer – mehr als 140 Tote.
Ein Taliban-Sprecher erklärte, der Angriff sei ein Racheakt für Militäroperationen im Nordwesten des Landes. „Sie sollen die Schmerzen spüren, die wir fühlen.“ Seit Juni geht die Armee in Nordwaziristan, der Hochburg der TTP, gegen die Taliban vor. Pakistans Premier, Nawaz Sharif, verurteilte den Angriff und machte sich auf den Weg nach Peschawar. Auch sein indischer Amtskollege, Narendra Modi, sprach den Angehörigen der Opfer sein Mitgefühl aus. Pakistans Armee hat jahrelang gezögert, Krieg gegen die militanten Gruppen in Nordwaziristan zu führen. Das halb autonome Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan gilt als Hochburg der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP, Taliban-Bewegung in Pakistan), die das Land seit Jahren mit Terroranschlägen überzieht.
Von Nordwaziristan aus operieren auch Extremisten, die im Verband mit den afghanischen Taliban kämpfen. Zu diesen Gruppen unterhält der pakistanische Sicherheitsapparat bis heute Kontakte. Vor allem Washington versucht seit Jahren, Pakistans Generäle zu einem Einmarsch in die unwegsame Region zu bewegen. Lang ohne Erfolg. Die pakistanischen Taliban haben – ebenso wie konservative Kleriker und Politiker – immer vor Racheakten gewarnt, falls die Armee in Nordwaziristan einmarschieren sollte.
Als Pakistans Armee Mitte Juni ihre „Operation Zarb-e-Azb“ einleitete und in Nordwaziristan einmarschierte, ging die Zahl der Anschläge im Land jedoch umgehend spürbar zurück. Die Zahl der Todesopfer durch Terrorakte verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte. Bis zum Massaker an der Schule in Peschawar am Dienstag schien es, als hätten die pakistanischen Taliban ihre Fähigkeit, groß angelegte Terrorakte durchzuführen, weitgehend eingebüßt, wenngleich sie vereinzelte Terrorakte verübten.
Fraktionskämpfe und IS als Konkurrenz
Dabei teilt sich der pakistanische Zweig der Taliban mit den Taliban im benachbarten Afghanistan nur den Namen. Direkte Verbindungen zu der Organisation von Mullah Omar gibt es vermutlich keine. Die Zielsetzungen beider Gruppen unterscheiden sich zudem stark. Die pakistanischen Taliban-Kämpfer konzentrieren sich fast ausschließlich auf Pakistan. Die einzigen Operationen im Ausland, zu denen sich die TTP bekannt hat, waren ein Selbstmordanschlag auf CIA-Mitarbeiter in Afghanistan 2009 und ein gescheiterter Bombenanschlag auf dem Times Square in New York im Jahr darauf.
Die TTP entstand, als sich 2007 rund ein Dutzend militante Gruppen unter der Führung von Baitullah Mehsud zusammengetan haben. In der Folgezeit gelangen der Gruppe unerwartet große militärische Erfolge. Die Militanten brachten rund ein Drittel der halb autonomen Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan unter ihre Kontrolle. Dabei gingen sie äußerst brutal vor: Vielerorts ermordeten sie lokale Würdenträger, um die Macht über eine Region an sich zu reißen. Seitdem treten interne Spannungen und Fraktionskämpfe zutage. Wichtige Anführer erklärten ihre Gefolgschaft zum IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi.
Der Anschlag vom Dienstag könnte indessen der Beginn einer neuen, noch rücksichtsloseren Terrorwelle in Pakistan sein.
AUF EINEN BLICK
Die Taliban richteten in einer pakistanischen Schule eines der schlimmsten Massaker der vergangenen Jahre an: Mehr als 140Menschen wurden dabei gestern getötet; die meisten waren Kinder. Die Extremisten drangen in die Einrichtung in Peschawar ein und schossen um sich. Nach acht Stunden stürmten Sicherheitskräfte das Gebäude und töteten die Angreifer.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2014)