Bürger, Ökos, Populisten: Wie sich ein Mythos aufbaut

 Au bei Hainburg Dezember 1984
Au bei Hainburg Dezember 1984 (c) Die Presse Blaha
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Die Proteste in der Hainburger Au: 1984 – die „glorious revolution“ der Grünen? Oder nicht eher ein bürgerlicher Aufstand? Hat die „Kronen Zeitung“ alles entschieden? Warum waren auch Naturschützer gegen die Aubesetzung? Eine Überprüfung 30 Jahre danach.

In Eva Glawischnig erwachten heitere Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande: „Wir sind am Freitag mit einem Bus in die Stopfenreuther Au gefahren. Es ist immer wieder extrem schön, wenn man dort hindurchwandert“, sagte die oberste Grüne Österreichs beim niederösterreichischen Landeskongress in Hainburg Anfang Dezember. Sie sei stolz, Teil einer Bewegung zu sein, in der enorme Kraft stecke. Man schließt ja gerne an die großen, heroischen Zeiten der österreichischen Öko-Bewegung an, doch der fünfzehnjährigen Gymnasiastin in Spittal an der Drau werden die Eltern 1984 die Teilnahme an der Demonstration nicht erlaubt haben. Auch Madeleine Petrovic, bei der sich das altersmäßig locker ausgeht, dürfte nicht von eigenen Erlebnissen zehren können, wenn sie sagt: „Das hätte ich mir vor 30 Jahren nicht gedacht, dass ich hier stehe, wo damals die Fetzen flogen“.

Tiroler Bauernsöhne neben Wiener Kaffeehauslinken

Wegen des politischen Scheiterns der Menschen wird in Erich Kästners Kinderbuch die „Konferenz der Tiere“ einberufen, um die Welt zu retten. Die „Pressekonferenz der Tiere“ am 7. Mai 1984, ein überaus medienwirksames Happening, versammelte einen Auhirsch, einen Schwarzstorch, ein Blaukehlchen, eine Rotbauchunke und andere selten zu sehende Tierarten, deren Lebensraum in der Stopfenreuther Au zerstört zu werden drohte. Hinter den Tiermasken verbargen sich die Protagonisten der Protestbewegung, Polit- und Kulturprominente, von denen man nur eine auch in der späteren grünen Parlamentspartei wiederfinden wird: Freda Meissner-Blau, damals übrigens Mitglied der SPÖ. Sie gab später zu, im Interesse der Aubäume auch mit Konservativen, Freiheitlichen, Abtreibungsgegnern kooperiert zu haben, „wo wir eigentlich eine Klammer auf der Nase hatten.“

Neben ihr saß am 7. Mai der parteiunabhängige, von der ÖVP in den Wiener Stadtrat entsandte Jörg Mauthe, dann Hubert Gorbach, für ihn war wohl der Wirkungskreis innerhalb der FPÖ-Jugend „too small“, Othmar Karas, Chef der Jungen ÖVP, präsentierte sich als Kormoran, die Rotbauchunke passte zu Peter Turrini, er demonstrierte in diesen Jahren noch KPÖ-Verbundenheit, die Wissenschaft war vertreten durch Universitätsdozent Peter Lötsch, last but not least als Auhirsch der Sprecher des „überparteilichen“ Personenkomitees Günther Nenning, ein schillernder politisch sehr schwer fassbarer Intellektueller und Zampano, der für viele junge Grüne zum Mentor wurde und sich selbst gern als „Rot-Grün-Hellschwarzen“ bezeichnete. Der Schutzherr dieser Aktion, Nobelpreisträger Konrad Lorenz, damals 81jährig, war für einige Wiener Linke ein Stein des Anstoßes. Der „politisch naiv“" (Eigencharakterisierung) Verhaltensforscher war wegen seiner Verbundenheit mit NS-Gedankengut nicht unumstritten.

Von Peter Turrini bis Konrad Lorenz – heterogen quasi Hilfsbegriff, um es mit Wolf Haas zu sagen. Ein ähnlich buntes Bild dann in der Au selbst. Der heutige Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter gehörte zu jenen Grünbewegten aus dem bäuerlich-bürgerlichen Lager, die sich den Bauarbeiten in der Au widersetzt hatten. „Es waren viele Bürgerliche dabei“, erinnert er sich, über alle Parteien hinweg habe sich eine Bürgerbewegung gegen das „Drüberfahren“ der Politiker entwickelt, und er bestreitet auch gar nicht das, was von der SPÖ abschätzig als „Lagerfeuerromantik“ und „Pfadfinderlager“ bezeichnet wurde: „Es gab das wärmende Gefühl des Zusammenstehens.“ Bürgerlich-Konservative (Gerhard Heilingbrunner und die ÖVP-nahe ÖH-„Aktionsgemeinschaft“ kommen noch hinzu) hatten also in dieser Phase der Öko-Bewegung beträchtlichen Einfluss.

Die Protestbewegung rund um Hainburg, die für eine rot-blaue Bundesregierung zu einem regelrechten Waterloo wurde, vereinigt also nicht primär die grünen Parteien in der Au, sondern sieht eher aus wie eine bürgerliche Widerstandsbewegung gegen staatliche Bevormundung durch die etablierte Politik. War Österreichs alle Lager übergreifende Zivilgesellschaft, durch die stets zuverlässig Konflikte kalmierende Sozialpartnerschaft und landestypischen Phlegmatismus eingelullt, plötzlich zum Leben erwacht? Und könnte man nicht daraus den Schluss ziehen, dass der Widerstand gegen „die da oben“ sich eher „zufällig“ (Peter Filzmaier) an einem ökologischen Thema entzündete? Hätte es nicht auch ein soziales Thema sein können, wenn es nur darum ging, das Ende des Nach-oben-Duckens im obrigkeitshörigen Österreich einzuläuten?

Bürgerliche „Presse“ schwenkt um

Die eigentlichen Träger der Protestbewegung waren jüngere, gut ausgebildete und urbanisierte Österreicher, sie kamen von höheren Schulen und Universitäten, jene „postmaterialistische”, politisch sensible Schicht also, die eine zunehmende Abneigung gegen die Präferenz von Ökonomie und Wirtschaftswachstum entwickelte. Etwas hilflos bezeichnete man sie als „neue soziale Bewegungen”, sie waren bereits bei der Volksabstimmung gegen Zwentendorf Ende der 70er Jahre aufgetreten, also gar nicht so neu.  Diese zukunftsträchtige, junge und gebildete, parteilich ungebundene (Wechsel-)Wählerschicht musste für alle Parteien interessant sein. Der Schwenk der SPÖ ist nicht einer plötzlichen Vernunfteingebung zu danken, sondern der Erkenntnis, dass es fatale Folgen haben könnte, zu dieser zukunftsträchtigen gesellschaftlichen Gruppierung dauerhaft in Konflikt zu geraten. Die ÖVP hatte in diesen Tagen (mit Ausnahme von Erhard Busek in Wien) überhaupt wenig Lust, Stellung zu beziehen.

Wie durch ein Weihnachtswunder stellte sich auch die bürgerliche „Presse” plötzlich auf die Seite dieser neuen Bewegung. Hatte Redakteur Dieter Lenhardt anfangs noch titeln dürfen „Wo der Spaß aufhört”, bewunderte dann Mitte Dezember Thomas Chorherr die „jungen Menschen, die nach Idealen lechzen und ihr Defizit an idealistischen Zielen decken wollen”. Chorherr und Otto Schulmeister zeigten Verständnis für das Unbehagen der Protestierer über die „kalten Strukturen und versteinerten Lager” und sahen schon eine “Reservearmee an sozialem Idealismus” am Horizont heraufmarschieren, die der Funktionärsklasse Beine machen werde. Rechtsstaatsverteidiger Dieter Lenhardt kam nicht mehr zu Wort.

Noch jemand war mit an Bord, bei dem Freda Meissner-Blau eigentlich die Klammer auf die Nase hätte stecken müssen: Die größte Boulevardzeitung des Landes, die „Kronen-Zeitung“, fungierte als Zentralorgan des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens. Der medialen Mobilisierung der Öffentlichkeit hatte die Regierung nichts entgegenzusetzen. Auch finanziell war man, wie Günther Nenning später unumwunden zugab, auf die Unterstützung der Zeitungszaren Hans Dichand und Kurt Falk angewiesen. Als die Zeitung rund um Weihnachten „Die Schande von Hainburg“ titelte, wusste Kanzler Fred Sinowatz, was die Stunde geschlagen hatte.

Umweltaktivist Peter Weish: „Mir wurde klar: Was nicht in der Kronen Zeitung steht, juckt diese Herrschaften nicht.“ Ohne die Zeitung „bewegen wir nichts“. Weish hatte recht: Die Regierung schielte auf die Schlagzeilen der „Krone”, wie andere Regierungen der Zweiten Republik auch. Doch: Sozialwissenschaftliche Studien legten bald danach dar, dass die „Kronen-Zeitung“ mit ihrer intensiven Berichterstattung das Thema Hainburg zwar aufs Tapet gebracht habe, aber keinerlei Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben konnte. IMAS stellte fest: „Ein Wirkungsnachweis fällt schwer. Die redaktionelle Hainburg-Opposition der größten Tageszeitung Österreichs scheint unter den Lesern keinen entsprechenden Niederschlag gefunden zu haben.” Das passt ins Bild: Die bürgerlichen Demonstranten gehörten gar nicht zu den Lesern der Boulevardzeitung. „Die Opponenten des Kraftwerksbaus”, so IMAS, „sind vielmehr bei den Lesern der bürgerlichen orientierten Zeitungen (Presse, Oberösterreichische Nachrichten, Salzburger Nachrichten) in der Überzahl, was sich durch den oberschichtigen Zuschnitt der Leserschaft erklärt.” Das erklärt den Schwenk der „Presse“. Die Neigung, die Wirkung des größten Mediums des Landes zu überschätzen, wird sich in den Jahrzehnten danach fortsetzen.

Eine linke Grünpartei verhindern?

Zum zweiten Mal war – nach dem AKW Zwentendorf – ein technologisches Großprojekt zu Fall gebracht worden. Unter Bruno Kreisky hatte die Regierung das Thema durch das Ansetzen einer Volksabstimmung in die öffentliche Arena getragen, dadurch selbst den Diskurs provoziert und eine Niederlage eingefahren. Bei Hainburg übernahm die „Krone“ die Sensationsfixierung, Mobilisierung und Zuspitzung der Diskussion in der Öffentlichkeit. Das emotionalisierende Methodenrepertoire, das dabei angewendet wurde, charakterisiert Politologe Bernd Natter als „populistisch“: "Populistische Bewegungen, die nicht über die eingespielten Veröffentlichungsmöglichkeiten etablierter Partei- und Verbändepolitik verfügen, sind mehr auf demonstrative, provokante, spektakuläre, emotionale, spielerische Formen der Interessenartikulation angewiesen." Doch war nicht eher die Reaktion der Regierung populistisch, die ihre energiepolitischen Argumente über Nacht hintanstellte und es nicht wagte, mit einer politisch interessanten Wechselwählerschicht konfrontativ umzugehen?

Das Kraftwerk wurde nicht gebaut, also war es ein Erfolg der Öko-Bewegung. Und wo war die Grüne Partei? Weder die Alternative Liste noch die Vereinten Grünen waren bei der Auseinandersetzung handelnde Akteure, auch wenn einzelne Personen in der Au aktiv waren. „Weder die Alternativen noch die Vereinten Grünen vermochten jetzt noch den politischen Charakter der Ökologiebewegung maßgeblich zu bestimmen“ (Johannes Straubinger). In ihrer „Geschichte der Grünen“ stellten die Journalisten Franz Schandl und Gerhard Schattauer die These auf, Günther Nenning als „Gewährsmann“ der „Krone“ habe die Funktion gehabt, die Entstehung einer linken Grünpartei wie in Deutschland in Österreich hintan zu halten und stattdessen ein schwarz-grünes Projekt zu initiieren.

Zunächst hatte jedenfalls das Nachgeben der Regierung die Chancen der Grünpartei(en) verkürzt. Das Volksbegehren vom März 1985 wurde von 6,5 % der Stimmberechtigten unterzeichnet, das war weit unter den Erwartungen. Alternative Liste und Vereinigte Grüne verloren an Gewicht, im Juli 1985 wurde dann die „Bürgerinitiative Parlament“ gegründet, eine lose Plattform, die sich zusammen mit dem Konrad-Lorenz-Volksbegehren und der Wahlbewegung Freda Meissner-Blau (sie kandidierte für Bundespräsidentschaftswahlen) als  Katalysator für die Entstehung einer grünen Parlamentspartei erwies. Die ersten Risse, die sich abzeichnende Dekomposition der Mehrheitsparteien kam dann der Entstehung des vierten, des grünen Lagers langfristig aber zugute. In ganz Europa erfolgte die grüne Parteigründungsphase, konstitutive Elemente waren „eine apokalyptische Grundierung und das Phantasma einer unberührten Natur, ökologische Ganzheitsmetaphorik, eschatologischer Hintergrund und revolutionäres Pathos” (nachzulesen in der “Umweltgeschichte Österreichs” von Martin Schmid und Ortrun Veichtlbauer).

Der Auwald ist ein „Wildwuchs“

Vergessen ist heute weitgehend, dass auch die führenden Köpfe der Naturschutzbewegung 1984 – der erwähnte Konrad Lorenz und der durch seine Fernsehauftritte populäre Verhaltensforscher Otto König –  in der Hainburg-Frage entzweit waren. König  fungierte schon seit 1970 als Berater der Stromindustrie in Umweltfragen, seine Argumentation: Auf irgendeine Art musste das Land mit Energie versorgt werden. Wenn man das AKW nicht in Betrieb nahm und den Emissionen der Kohlekraftwerke entgehen wollte, blieb vorerst nur die Wasserkraft, da Wind- und Sonnenenergie noch nicht entwickelt waren. König verabscheute das medienwirksame Spektakel, es sei einer umweltverträglichen Ökonomie in einem ganzheitlichen Denken im Wege. Ein Donaustausee bedeute keine ökologische Katastrophe: „Ich weiß, dass es Zoologen und Botaniker gibt, denen eine bestimmte Baumkulisse, ein paar Larven im vertrauten Tümpel wichtiger sind als die durch Abgase betroffene Bevölkerung. Es sind jene 'Naturschützer', die dann mit dem Auto zur Aubesetzung fahren.“ Biotopschutz gelinge oft nur durch Schaffung von „Lebensraum aus zweiter Hand“. Im selben Jahr sagte Gewerkschaftspräsident Anton Benya: „Der Auwald ist kein Wald, sondern ein Wildwuchs. Wenn wir ihn wegreißen, werden wir das begrünen und neu pflanzen, dann wird das Bild schöner sein.“

„Dieses Land gehört unseren Kindern und Kindeskindern. Wir werden nicht zulassen, dass ihnen die Zukunft verbetoniert wird“, hieß es im „Schwur von Hainburg“. 30 Jahre nach Hainburg sind die Erwartungen an die Politik noch geringer als 1984, die Anti-Staatsgefühle der österreichischen Wutbürger entzünden sich nicht mehr an ökologischen Themen, sondern am Casinokapitalismus und seinen Auswüchsen. Dennoch ist Hainburg als Gedächtnisort und nationale Schlüsselerzählung  lebendig. Warum? Aus schlechtem Gewissen? Wieder einmal hat eine Klimakonferenz 2014 ein mageres Ergebnis gebracht, Österreich wurde als rückständiges „Fossil” in Klimaschutzfragen gebrandmarkt. Die Erhaltung der Natur, Verantwortung für zukünftig lebende Menschen tritt im postökologischen Jahrzehnt zurück hinter die Sicherung der Funktionsfähigkeit des bestehenden Systems. Ein kultureller Wertewandel: Die ökologische Situation wird zwar als Problem wahrgenommen, gleichzeitig wird aber an ökologisch ruinösen Praktiken festgehalten. Hainburg bleibt als ein Erinnerungsort.

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