Wenn Doping zur Staatsaffäre wird

Die Dopingaffäre der österreichischen Skisportler in Turin wurde womöglich von staatlicher Seite vertuscht.

Willkommen im Land der Einzeltäter. In dem das Böse immer nur ein Gesicht hat und die Schuld nur einer trägt. Die sogenannte Einzeltätertheorie ist so etwas wie ein Markenzeichen dieser Republik geworden. Sie macht die Dinge einfach, vermeidet unnötige Komplikationen und lässt uns schnell wieder – vergessen.

Bis vergangenen Sonntag war auch in der österreichischen Sportszene eine äußerst üble Angelegenheit beinahe in Vergessenheit geraten. Die Dopingaffäre bei österreichischen Wintersportlern bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin. Der Skandal war sehr geschickt und vor allem äußerst rasch auf den Einzeltäter Walter Mayer reduziert worden. Der umstrittene Trainer verschwand in der Versenkung und mit ihm auch das Problem.

Mehr als drei Jahre lang ging die Einzeltätertheorie auf. Bis vor wenigen Tagen. Da brachte „Die Presse am Sonntag“ neue brisante Einzelheiten ans Tageslicht – und gleichzeitig die allseits so geliebte, weil bequeme Einzeltätertheorie erheblich ins Wanken.

Nun geht es vorerst nicht darum, dass im österreichischen Spitzensport „systematisch gedopt“ wird, wie dies einst hochrangige Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees behauptet haben, bis heute, ohne dafür Beweise erbringen zu können. Der Skandal, der nun immer klarer sichtbar wird, liegt vielmehr darin, dass diese Dopingaffäre offensichtlich von höchster Stelle vertuscht wurde. Was heißt von höchster Stelle? Von höchster staatlicher Stelle. Nämlich vom österreichischen Bundesheer. Nicht etwa von irgendwelchen Offizieren. Die Affäre von Turin war immer „Chefsache“, betonen Militärs. Die Entscheidungen fielen demnach direkt im Bundesministerium für Landesverteidigung. Verteidigungsminister war damals ÖVP-Politiker Günther Platter, heute Landeshauptmann von Tirol.

Es war im Februar 2006, als italienische Carabinieri die Quartiere der österreichischen Langläufer und Biathleten bei den olympischen Spielen von Turin stürmten. Die Dopingrazzia überschattete die sportlichen Erfolge der rot-weiß-roten Athleten. Nicht nur das Ansehen der österreichischen Wintersportler stand plötzlich auf dem Spiel. Der Dopingskandal schadete dem Ansehen des Landes im Allgemeinen.

Und er schadete vor allem großen sportlichen und ökonomischen Vorhaben. Die Fußball-Europameisterschaft 2008 wurde propagiert, und die Stadt Salzburg hatte sich um die Austragung der olympischen Winterspiele 2014 beworben. Da kam eine unappetitliche Affäre mit Blutbeuteln und Infusionsbesteck so ganz und gar nicht gelegen. Da musste schnell wieder das Saubermann-Image hervorgezaubert werden. Und das geht am einfachsten mit der Einzeltätertheorie. Alles Saubermänner – bis auf einen. Damit lässt sich's leben.

Vor allem auch politisch leben. Denn als die Dopingaffäre im Frühsommer 2006 überkochte, standen unglücklicherweise Nationalratswahlen ins Haus. Dass hier eine Dopingaffäre unter Sportlern, die noch dazu Angehörige des Bundesheeres sind, nicht gerade genehm ist, erklärt sich von selbst. Also schnell in Deckung. Keine unnötigen Fragen stellen. Zum Schluss kommt womöglich noch heraus, dass die Sportler in den Heeressportzentren nicht nur die beste Infrastruktur für professionelles Training vorgefunden haben.

Kehrt marsch! Jetzt wurde hier fast schon über das Ziel geschossen. Denn das sind natürlich alles nur Vermutungen. Aber klingen diese Mutmaßungen nicht viel plausibler als die für alle Beteiligten so praktische Einzeltätertheorie?


Drei Jahre hat „Einzeltäter“ Walter Mayer seinen Mund gehalten. Durch die medialen Enthüllungen in die Enge getrieben, hat er nun sein Schweigen gebrochen. Ein Schweigen, das ihm einst seine Vorgesetzten im Bundesheer nahegelegt haben, wie er betont. Ein Schweigen, das man ihm schlichtweg abgekauft hat. Der Kaufpreis: Mayer soll der Posten des Vizekommandanten des Heeressportzentrums in Graz angeboten worden sein. Das behauptet Mayer.

Und nun? Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) setzt eine Disziplinarkommission ein. Das ist normalerweise eine gefährliche Drohung. Denn Kommissionen dienen in diesem Land in der Regel dazu, Einzeltätertheorien zu untermauern. Alles andere wäre ein Wunder. Andererseits: Nirgends gibt es so viele „Wunder“ wie im Sport. Manchmal entpuppt sich so ein Wunder leider als Doping.

Vertuscht der Staat Doping?Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2009)

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