Krise: Brüssel warnt vor „heißem Herbst“

(c) AP (Mark Lennihan)
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Wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen beschäftigen EU-Chefs. Experten rechnen mit einem Minus von 3,5 Millionen Arbeitsplätzen in den 27 Mitgliedstaaten bis Jahresende.

BRÜSSEL. Eine Krise kommt selten allein. Seit vergangenem Jahr schwappt die Finanzkrise aus den USA auf Europa über und reißt die Realwirtschaft mit sich. Zu dieser Finanz- und Wirtschaftskrise könnte sich bald eine soziale Krise gesellen, warnt EU-Wirtschafts- und -Währungskommissar Joaquín Almunia im Gespräch mit der „Presse“: Gelingt nicht rasch ein „sozialer Dialog“ einschließlich der Sozialpartner, könnte es einen „heißen Herbst“ geben.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte kürzlich von bis zu zehn Prozent Arbeitslosen in Europa gesprochen. Wirtschaftsexperten rechnen mit einem Minus von 3,5 Millionen Arbeitsplätzen in den 27 Mitgliedstaaten bis Jahresende. Auch für den erfahrenen luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker ist laut der Zeitung „Die Welt“ klar, dass es in Europa bald zu einer sozialen Krise kommen könnte – mit Massenarbeitslosigkeit und Einkommensverlusten. Hauptbetroffen wären, auch wegen ihrer großen Automobilindustrie, die größten Volkswirtschaften in der EU, Deutschland und Italien. Beide könnten je knapp eine Million Arbeitsplätze bis Jahresende verlieren, schätzen EU-Experten.

Heute, Donnerstag, und morgen, Freitag, werden sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Brüssel darüber Gedanken machen, wie Aufstände und Streiks in Europa bestmöglich verhindert werden können. Das zweitgrößte EU-Land nach Deutschland, Frankreich, bietet pünktlich zum Gipfelauftakt eine düstere Aussicht: Die Gewerkschaften wollen mit ihrem bereits zweiten landesweiten Generalstreik des Jahres mehr Geld aus dem Staatshaushalt erzwingen. Damit erhöhen sie den Druck auf Präsident Nicolas Sarkozy, der zeitgleich in Brüssel sein wird, und auf Premierminister François Fillon. Die Regierung in Paris will die Mindestlöhne und das Arbeitslosengeld aber nicht erhöhen. Nach dem ersten Generalstreik am 29.Jänner mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern hatte sie bereits niedrigere Steuern in Aussicht gestellt.

Feilschen um fünf Milliarden

Was tun gegen die drohende Welle neuer Arbeitsloser in den 27 EU-Staaten (aktuelle Zahlen siehe Grafik)? Die Feuerprobe für die Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), wird es sein, ob sie sich auf das Fünf-Milliarden-Euro-Hilfspaket einigen können, das ihnen die EU-Kommission vorgeschlagen hat. Grundsätzlich sind sich die EU-Länder einig, dass damit rasch Unternehmen gefördert und somit Arbeitsplätze gesichert werden sollen. Doch für welche Projekte von der Energiesicherheit bis zum Breitbandinternet welche Beträge aus dem EU-Budget bereitgestellt werden sollen, darüber sind sie sich seit Monaten uneinig. Österreich bremst bei diesem Paket, weil es sich die ursprünglich angekündigten 250 statt 200 Millionen Euro für die Gaspipeline „Nabucco“ wünscht. Auch Deutschland und mehrere osteuropäische Staaten stehen noch auf der Bremse. Damit droht das Paket zu einem mittelfristigen Projekt zu werden. Es wäre nicht die kurzfristige Hilfe und Stimulierung des Arbeitsmarkts in der Krise, als die es geplant war.

Das Paket wäre freilich sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Entscheidend wird sein, ob die EU-Regierungschefs ihre nationalen Konjunkturhilfepakete aus dem Vorjahr aufstocken werden. Bisher haben die Mitgliedstaaten 200 Milliarden Euro für dieses und nächstes Jahr angekündigt. Zuletzt hat Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman den Europäern zumindest eine Verdoppelung ihrer Krisenpakete ans Herz gelegt. Doch einige Länder, darunter Deutschland und Österreich, fürchten, sie könnten damit ihre Budgets überlasten.

Eurostat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2009)

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