Wie Diktator Kim dank Hollywood die Folter zur Fußnote machte

Die Hacker-Affäre ist eine willkommene Ablenkung für Nordkoreas Regime: In den USA spricht keiner mehr über den UN-Menschenrechtsbericht.

Kim Jong-un könnte es noch gelingen, die zweitklassige Nordkorea-Trash-Parodie „The Interview“ zur Hollywood-Legende zu machen: Nachdem Sony Pictures den Film über ein spektakuläres Attentat auf den nordkoreanischen Diktator wegen Terrordrohungen einer Cyber-Piraten-Gruppe zurückgezogen hat, ist die Komödie zur amerikanischen Staatsaffäre geworden. Hinter der Hacker-Attacke steckt mit größter Wahrscheinlichkeit das stalinistische Regime in Pjöngjang. Und deshalb erwägt Barack Obama jetzt, Nordkorea wieder auf die Terrorliste zu setzen.

„The Interview“, der laut Kritikern unter anderen Umständen wohl eher nicht Filmgeschichte geschrieben hätte, ist also in den vergangenen Tagen zur Fahnenfrage für das US-Prinzip der freien Meinungsäußerung geworden. Und hat somit beste Chancen, als Untergrundfilm Kultstatus zu erlangen. Kim Jong-un sei Dank.

Hauptverantwortung an dem Debakel trägt Sony: Aus welchem Grund auch immer der Film gestoppt wurde – laut manchen Beobachtern soll die Entscheidung nach massivem Druck hysterischer Rechtsberater des Konzerns erfolgt sein, die im Fall eines tatsächlichen Angriffs Milliardenklagen befürchten –, es geht hier um einen gefährlichen Präzedenzfall: Mit ihrem feigen Rückzug haben die Sony-Bosse Erpressern, Hackern, Möchtegernterroristen und letztlich auch dem nordkoreanischen Regime einen billigen PR-Sieg ermöglicht.

Es ist daher richtig, dass Obama Sony dafür scharf kritisiert hat. Und es ist nachvollziehbar, dass Hollywood-Granden wie George Clooney sich empören. Sie alle haben daran erinnert, dass freie Meinungsäußerung auch bedeutet, politisch unkorrekte Filme machen und zeigen zu dürfen. Und dieses Bekenntnis sollte eigentlich für die ganz großen Filmproduzenten und Vertreiber in Hollywood als Maxime gelten – auch wenn sie von obskuren Cyber-Piraten mit Terror bedroht oder ihnen pikante, persönliche E-Mails über zickige Stars gestohlen werden.

Das lautstarke Bekenntnis zum Film wäre ein schöner Schlussstrich für diese unappetitliche Affäre gewesen. Alles, was darüber hinausgeht, droht den Rahmen zu sprengen – und wirkt unsicher, außenpolitisch ungeschickt und verlogen. Da ist beispielsweise Obamas Entrüstung über den Cyber-Angriff, weswegen er Pjöngjang nun wieder auf die Terrorliste setzen will. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass die offenbar hochprofessionelle Internet-Piratenarmee tatsächlich eine Bedrohung für die USA darstellt: In Zukunft könnte diese womöglich weitaus sensiblere Ziele als Hollywood ins Visier nehmen – so, wie mutmaßliche nordkoreanische Hacker es in Südkorea bereits mehrmals getan haben. Diese „Waffe“ ist allerdings keine perfide Erfindung des paranoiden stalinistischen Regimes: Die USA, Israel, Russland, Großbritannien, China und andere wenden sie auch an. Ironisch ist, dass die US-Regierung den Nordkorea-Alliierten China um Hilfe gebeten hat: ausgerechnet jenes Land, mit dem sich die Amerikaner seit Jahren im inoffiziellen Cyber-Krieg befinden.


Vor allem aber droht die Hollywood-Affäre einen weitaus schwerwiegenderen Aspekt in den Schatten zu stellen: Gestern, Montag, beriet der UN-Sicherheitsrat über die brutalen Verbrechen des Kim-Regimes. Die Grundlage dafür ist ein minuziös recherchierter UN-Bericht, in dem der alltägliche Horror der Diktatur aufgelistet wird: Augenzeugen schildern darin, wie Kim sein Volk versklavt, foltert und unterdrückt. In den berüchtigten Arbeitslagern, die offenbar nach Vorbild der NS-KZ funktionieren, werden auch Kinder bis zum Tod ausgehungert. Überlebende berichten, wie verzweifelte Dissidenten versuchen, ihre Babys mit Gras und Erde vor dem Hungertod zu bewahren. Die Mehrheit der UN-Staaten wünscht sich, dass das Regime für diese Verbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt wird. Das wird an Chinas Veto scheitern.

Nordkoreas bizarre Kriegsdrohungen gegen die USA wirken wie ein bewusst inszeniertes Ablenkungsmanöver. Blickt man auf das empörte Washington, scheint die Strategie ganz gut zu funktionieren: Ganz Amerika ist wegen eines Films entsetzt. Über Nordkoreas KZ spricht keiner mehr.

susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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