Lebenslang: „Auch der schlimmste Verbrecher ist ein Mensch“

(c) AP (Seth Perlman)
  • Drucken

Eine Entlassung dürfe man nie ausschließen, meint Rechtsphilosoph Luf. Aber wie gerecht ist das Recht eigentlich?

Wien. „Sperrt Josef F. einfach weg“. „Josef F. kommt nie wieder raus“. Schon vor dem Urteil hatte eine Boulevardzeitung auf den Titelseiten Stimmung dafür gemacht, dass Josef F. nie mehr freigelassen wird.

Hundertprozentig sicher ist das trotz des Urteils – lebenslange Haft und Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – aber nicht. Im Schnitt kommen zu lebenslanger Haft verurteilte Täter nach 20 bis 22 Jahren aus dem Gefängnis. Frühestens darf man die Zelle nach 15 Jahren verlassen.

Eine Statistik, bei wie vielen Häftlingen lebenslang auch lebenslang bleibt, gibt es laut Justizministerium nicht. Freilich spricht bei Josef F. alles dafür, dass er nie mehr freikommt: der öffentliche Druck, das hohe Alter des Täters und die Einweisung in eine Anstalt für geistig Abnorme. Aus dieser darf man auch nach Jahrzehnten nur heraus, wenn man nicht mehr als gefährlich gilt.

Trotzdem wirft der Fall F. die Frage auf, wie ein Rechtsstaat mit Straftätern umzugehen hat. Soll man Täter wie Josef F. auf jeden Fall für immer wegsperren? Rechtsphilosoph Gerhard Luf verweist im Gespräch mit der „Presse“ auf die Worte von Georg Wilhelm Friedrich Hegel: „In der Strafe ehrt man den Verbrecher als vernünftiges Wesen.“ Mit anderen Worten: „Auch der schlimmste Verbrecher ist ein Mensch“, sagt Luf. Zumindest die Möglichkeit einer Entlassung müsse es geben. Auch der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof habe sich mit dieser Frage beschäftigt, erzählt der Rechtsphilosoph. Die Höchstrichter hielten fest, dass der Täter nicht „zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung degradiert werden darf“, indem man ihm keine Entlassungschance gewährt. Das wäre mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar.

Aber was ist nun überhaupt ganz generell der Sinn einer Strafe? „Es geht darum, den Täter in die Verantwortung zu nehmen“, meint Luf. Um die Befriedigung der Gesellschaft solle es hingegen nicht gehen, meint der Rechtsphilosoph. Der Richter selbst hat in Österreich bei Straftaten eine relativ weitreichende Macht. Das Gesetz legt für ein Delikt meist Mindest- und Höchststrafen fest, der Richter kann in diesem Rahmen über die konkrete Strafe entscheiden. Strafmindernd kann etwa das Geständnis eines Täters sein – das muss aber nicht zwingend sein. Die konkrete Art der Handlung (war es ein kühler Raubmord oder ein emotionaler Eifersuchtsmord?) und die Folgen der Tat können je nachdem strafmindernd oder strafverschärfend gewertet werden. Wann ist eine Strafe nun richtig bemessen? „Sie sollte vom Täter als angemessen empfunden werden – und von der Bevölkerung“, sagt Strafrechtler Helmut Fuchs. Klar sei aber auch: „Eine volle Gerechtigkeit wird es durch das Recht nie geben.“

Unfaire Strafen im Gesetz

Im Zusammenhang mit dem Thema Gerechtigkeit wird in Österreich sei Jahrzehnten darüber diskutiert, ob die Wertung der Straftaten denn fair ist. Immer wieder kritisieren Politiker, dass Straftaten gegen Leib und Leben zu milde und Vermögensdelikte zu streng bestraft werden. Experte Fuchs meint, dass die Strafdrohungen bei Verbrechen gegen Leib und Leben korrekt sind. Er zählt aber zwei Punkte auf, in denen bei Vermögensdelikten die Strafdrohung zu hoch sei: So kann man für das Aufbrechen der Geldkasse bei der Sonntagszeitung oder bei einem Kaugummiautomaten bereits fünf Jahre Haft bekommen. Denn da etwas aufgebrochen wurde, liegt ein Einbruchsdiebstahl vor. Im Gesetz sollte daher klargestellt werden, dass Einbruchsdiebstahl nur dann vorliegt, wenn man wirklich die Tür zu einer Wohnung aufbricht. Ein weiteres Problem sei, dass ein einfacher Diebstahl sehr schnell als gewerbsmäßig ausgelegt werden kann. Dann drohen ebenfalls fünf Jahre Haft. Bereits wenn man zum ersten Mal etwas im Supermarkt mitgehen lässt, kann dies als gewerbsmäßig ausgelegt werden – wenn der Richter meint, der Täter habe regelmäßig Ladendiebstähle vorgehabt.

Wie relativ Gerechtigkeit ist, zeigen auch Studien über die Richterstrenge innerhalb Österreichs. Seit Jahrzehnten orten Studien ein Ost-West-Gefälle gibt. Im Westen stellt man etwa Verfahren eher wegen mangelnder Strafwürdigkeit ein. Man ist auch bei Wiederholungstätern nachsichtiger und greift eher zu bedingten Strafen. Und man behandelt bei Verkehrsunfällen den Täter besser als im Osten: Alkolenker, die schwere Körperverletzungen verursachen, müssen im Osten schon mal „einsitzen“, im Westen kassieren sie meist nur eine unbedingte Geldstrafe.

Richter: Strenge beeinflussbar

Eine generelle Einteilung in Ost und West ist aber auch fehl am Platz: Bei genauer Betrachtung zeigen sich auch im kleineren Rahmen große Unterschiede zwischen Gerichten, erklärt Kriminologe Christian Grafl. Es gebe „Gerichtskulturen“, meint Grafl: „Wenn die älteren Richter einem jungen Richter beim Mittagsessen erzählen, dass gewisse Dinge in einer bestimmten Form sanktioniert werden, dann färbt das ab.“

Auf einen Blick

Zu lebenslanger Haft Verurteilte kommen im Schnitt nach 20 bis 22 Jahren auf freien Fuß. Auch bei besonders schweren Verbrechen ist eine vorzeitige Entlassung gesetzlich nicht ausgeschlossen. Rechtsphilosoph Gerhard Luf von der Uni Wien betont, dass auch der schlimmste Verbrecher eine Menschenwürde besitze und es daher eine Entlassungsmöglichkeit geben müsse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2009)

Mehr erfahren

New Articles

Jede Gesellschaft hat ihre Monster

Warum reden die Menschen vom „Monster“ F.? Sind Psychopathen für ihre Taten verantwortlich oder einfach biologisch auf Untaten programmiert – und wie geht man dann mit ihnen um? Rechtsphilosoph Peter Strasser, der über „Verbrechermenschen“ geforscht und geschrieben hat: Ohne die Idee des freien Willens stirbt die menschliche Gesellschaft.
New Articles

Lebenslänglich: Josef F. akzeptiert

Das Gericht hat den 73-Jährigen des Mordes, der Sklaverei, Vergewaltigung, Freiheitsentziehung, schweren Nötigung und Blutschande schuldig befunden. F. hat das Urteil angenommen.
Josef F.
New Articles

Josef F.: Allmachts-Fantasien und große Erschütterung

Der fast 74 Jahre alte Josef F. führte in Amstetten 24 Jahre lang ein Doppelleben. Die psychiatrische Gutachterin empfiehlt die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.