Finanzaufsicht, Steueroasen, Klimaschutz: große Aufgaben, große Dissonanz.
WIEN/BRÜSSEL.Erstmals seit 60 Jahren schrumpft die Weltwirtschaft – einen stärkeren Ansporn zum Handeln kann es für die 27 Staats- und Regierungschefs auf ihrem Frühlingsgipfel in Brüssel nicht geben. Zumal es die 16 EU-Staaten, die den Euro verwenden, laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) besonders hart trifft. Ihre Wirtschaft soll heuer um 3,2 Prozent schrumpfen, jene der USA „nur“ um 2,6 Prozent, die der gesamten Welt um 0,5 bis ein Prozent.
Trotzdem: Jedes greifbare Gipfelergebnis wäre überraschend. Denn bei den fünf wichtigsten Themen driften die nationalstaatlichen Interessen auseinander.
1Konjunkturprogramme unkoordiniert
Die EU-Regierungen haben zwar nationale Konjunkturpakete angekündigt, doch es fehlt an Koordination. Manche dieser Maßnahmen drohen den Wettbewerb zu verzerren. Rund 200 Mrd. Euro dürfte das Volumen der Programme umfassen. Offiziell wird von mehr als 400 Mrd. Euro gesprochen, doch wurden in diese Summe auch längst beschlossene Maßnahmen eingerechnet. Darüber hinaus soll es ein Paket von fünf Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt geben. Ein Beschluss wird für diesen EU-Gipfel erwartet. Differenzen gibt es weiterhin über die von Österreich geforderte Hilfe für Mittel- und Osteuropa.
2Finanzaufsicht: Warten auf Godot
Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis. Ein solcher der EU über die Regulierung der Finanzmärkte legte Ende Februar unter Leitung des früheren IWF-Chefs Jacques de Larosière zwei Vorschläge vor: erstens einen „Europäischen Rat für systemische Risiken“ mit Vertretern der EU-Zentralbanken und der Finanzmarktaufsichtsbehörden unter Vorsitz der Europäischen Zentralbank. Zweitens ein „Europäisches System der Finanzaufsicht“, das politisch unabhängig jene 45 Banken im Auge behält, die 70 Prozent des grenzüberschreitenden Geschäfts in der EU betreiben. Die Staats- und Regierungschefs werden diese Ideen diskutieren – eine Entscheidung ist aber nicht zu erwarten. Und eine zentrale EU-Finanz-Superaufsicht schon gar nicht; da ist der Widerstand der Staaten zu groß.
3Steueroasen noch nicht trockengelegt
Die EU-Staaten haben begonnen, Steueroasen trockenzulegen. Doch bisher ist lediglich bei den mitteleuropäischen Ländern Österreich, Liechtenstein, Schweiz und Luxemburg ein Durchbruch gelungen. Sie wollen nun ausländischen Steuerbehörden bei begründetem Verdacht Kontoinformationen übermitteln. Darüber hinaus liegt aber noch viel im Argen. Schweizer Banken dürften längst die Gelder an Tochterunternehmen in anderen Steuerparadiesen wie Singapur überwiesen haben. Die britischen Kanalinseln Jersey und Guernsey haben zwar als Erste einen Informationsaustausch versprochen. Doch ihr Versprechen ist nichts wert: Die dort residierenden Trusts sind anonym. Wo es keine Informationen gibt, gibt es auch nichts weiterzuleiten.
4Klimaschutz: Heiße Luft und hartes Geld
Am Klimawandel zweifelt niemand, am menschlichen Beitrag dazu kaum jemand – mit Ausnahme habitueller Skeptiker wie Tschechiens Präsidenten Václav Klaus. Wie man die Erderwärmung eindämmen und ihre negativen Folgen lindern soll, ist aber Gegenstand zähen Ringens. Soll man zum Beispiel ab 2013, wenn das Kyoto-Protokoll abläuft, den „Clean Development Mechanism“ (CDM) fortsetzen, also jenen Ablasshandel, im Rahmen dessen Entwicklungsländer Emissionsgutschriften verdienen, indem sie saubere Fabriken und Kraftwerke bauen und diese Gutschriften an die reichen Länder verkaufen? Die meisten CDM-Projekte gibt es in China, viele sind sehr ineffizient. Darum will die EU-Kommission, dass die Entwicklungsländer erst strenge Effizienzstandards erfüllen müssen, bevor sie „Cash für vermiedene heiße Luft“ erhalten. Das missfällt klarerweise den armen Ländern. Und weil sich die EU vor der entscheidenden Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen nicht in die Karten schauen lassen will, ist nun auf dem Frühjahrsgipfel keine konkrete Angabe darüber zu erwarten, wie viel sich Europa den Klimaschutz in anderen Ländern kosten lassen will.
5Lissabon-Ziele in weite Ferne gerückt
Mit ein Grund für die Wirtschaftskrise sind verschleppte Strukturreformen. Zwar hat sich die EU mit den sogenannten „Lissabon-Zielen“ selbst ein Reformprogramm verordnet, doch seit Jahren verfehlen die Mitgliedstaaten die Vorgaben. Mit dem Beginn der Rezession drohen nun die Innovations- und Wachstumsziele sowie die Verbesserung der Bildungs- und Forschungssysteme in weite Ferne zu rücken. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Allianz-Gruppe hat sich die Lage vor allem in jenen Ländern verschlechtert, die von der Finanzkrise stark betroffen waren. So ist Irland im Ranking der EU-Länder vom vierten auf den 13. Platz (von 14 untersuchten) abgestürzt. Österreich hat sich von Platz elf nunmehr auf Platz zehn verbessern können.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2009)