Neue Fragen an alte Texte

(c) Clemens Fabry
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Die Germanistin Martina Feichtenschlager ist vom Mittelalter fasziniert. In ihrer Dissertation hat sie Nacktheit und Entblößung von Frauen in epischen Texten untersucht.

Wenn sie im Bekanntenkreis erzählt, dass sie Mediävistin ist, dann erntet die Oberösterreicherin Martina Feichtenschlager oft erstaunte Blicke. Dass eine junge Frau sich mit dem dunklen Mittelalter beschäftigt und Mittelhochdeutsch faszinierend findet, stößt mitunter bei vielen im ersten Moment auf Unverständnis. Doch wenn die junge Wissenschaftlerin dann mehr von ihrer Arbeit erzählt, ändert sich das rasch.

„Die Skepsis schlägt immer schnell in Neugier um“, erzählt die Germanistin, die an der Universität Salzburg arbeitet. Sie selbst hat die Begeisterung für alte Texte schon im Deutschunterricht im Gymnasium in Ried in Innkreis entdeckt. Derzeit ist die Universitätsassistentin karenziert, sie hat einen knapp zwei Monate alten Sohn. Für ihre Dissertation „Entblößung und Verhüllung. Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur“ erhielt Feichtenschlager kürzlich vom Zentrum für Gender Studies und Frauenförderung der Universität Salzburg den Erika-Weinzierl-Preis 2014.

Karenz zum Überlegen nützen

Ein toller Ansporn für die Wissenschaftlerin, ihre 2013 fertiggestellte Dissertation für die Publikation vorzubereiten und an ein Thema für die Habilitation zu denken. Um diese Forschungsfrage für sich festzulegen, will sie die Zeit der Karenz zum Überlegen nützen. Eine Idee hat sie schon: Hugo von Langenstein, ein mittelhochdeutscher Dichter, hat im 13. Jahrhundert mit „Martina“ eine umfangreiche Versdichtung geschrieben. Diese Erzählung ist bisher nicht übersetzt und wenig erforscht worden. Das wäre eine Aufgabe, die die junge Germanistin reizen würde.

Feichtenschlager studierte an der Universität Salzburg Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft. Nach Bachelor- und Masterarbeit folgte 2010 die Anstellung als Universitätsassistentin und 2013 die Dissertation. Bei der Beschäftigung mit mittelalterlichen Texten wie dem „Parzival“ geht es nicht nur um das Beherrschen des Mittelhochdeutschen. „Man muss sich ganz auf die Texte dieser Zeit einlassen und reflektiert damit umgehen“, ist Feichtenschlager überzeugt. Die historische Distanz ist ihr dabei wichtig. Sie will moderne Fragen an alte Texte stellen. So wie in ihrer Dissertation, in der sie sich mit Darstellung und Wahrnehmung der Frau befasst hat.

Für die mittelalterlichen Erzähler – meist waren es Männer – war Nacktheit nicht das, was wir heute darunter verstehen. Frauen, die als nackt beschrieben werden, trugen immer ein weißes Hemd oder Kleid. Die nackte Haut war gleichbedeutend mit „Hemde“ – die Haut war eigentlich verhüllt. Mit dieser transparenten, künstlichen Haut spielten die mittelalterlichen Autoren. Das Hemd wird zur Projektionsfläche für große Gefühle: für Erotik, für Gewalt, für die Schutzbedürftigkeit von Frauen.

Ein Beispiel aus dem „Parzival“: Jeschute, eine der Nebenfiguren, reitet in einer Szene in einem zerrissenen Kleid auf einem Pferd, der Erzähler beschreibt ihre entblößten Brüste. Ein fragile, schutzbedürftige Figur, der es aber auch nicht an Erotik mangelt. Das Hemd der Brünhild in einem anderen Text ist für die Wissenschaftlerin eindeutig besetzt: Das zerrissene Hemd stehe dabei für die Defloration, also die Entjungferung.

Voyeuristischer Blick des Erzählers

Dass das Verhüllen etwas mit mittelalterlicher Prüderie zu tun hat, glaubt Feichtenschlager nicht. Sie hat in ihrer Forschungsarbeit in dieser Gleichsetzung von „Haut und Hemde“ eher einen literarischen Kunstgriff entdeckt.

Und nicht selten hat diese Gleichsetzung mit einem voyeuristischen Blick des Erzählers auf seine Frauengestalten zu tun.

ZUR PERSON

Martina Feichtenschlager (28) stammt aus St. Johann am Walde in Oberösterreich. Nach der Matura in Ried im Innkreis studierte sie an der Uni Salzburg Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft. Der Arbeitsschwerpunkt der jungen Wissenschaftlerin, die derzeit in Karenz ist, ist das Mittelalter. Für ihre 2013 abgeschlossene Dissertation erhielt sie nun den Erika-Weinzierl-Preis.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2014)

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