Mehta: "Nicht meine, sondern die Botschaft der Philharmoniker"

(c) EPA (JIM HOLLANDER)
  • Drucken

Zum fünften Mal haben die Philharmoniker ihren dienstältesten Dirigenten eingeladen: Zubin Mehta spricht über das heurige Programm, u.a. mit der "Studenten-Polka" zum Jubiläum der Universität.

Die Presse: Maestro Mehta, 1961 haben Sie die Philharmoniker zum ersten Mal dirigiert. Erinnern Sie sich noch an das Programm?

Zubin Mehta: Sicher, das war Strawinskys Symphonie in drei Sätzen, das dritte Beethoven-Klavierkonzert mit Friedrich Gulda und „Don Quixote“ von Richard Strauss.

Haben Sie die Stücke selbst ausgesucht?

Gemeinsam mit dem damaligen Philharmoniker-Vorstand Professor Strasser.

Ihre Beziehung zu den Philharmonikern reicht noch weiter zurück. Als Student haben Sie wiederholt Proben besucht, da gab es doch auch eine Episode mit Karajan?

Vor 1961 hatte ich eine Stammplatz im Musikverein, seit damals stehe ich auf dem Podium. Karajan hat mich einmal aus den Sofiensälen hinausgejagt. Ich war heimlich bei seinen „Otello“-Aufnahmen, das hat er gesehen. Er hat mich nicht gekannt. Später haben wir uns oft getroffen – in Wien, Salzburg, St. Moritz. Karajan war sehr offen zu mir, und ich habe einige Partituren mit ihm studiert.

Kürzlich ist eine CD-Box mit Aufnahmen der Wiener Philharmoniker herausgekommen, da sind Sie mehrfach vertreten.

Das wusste ich gar nicht.

Hören Sie sich Ihre Aufnahmen an?

Wer hat schon Zeit dafür? Manchmal höre ich Kammermusik, etwa das C-Dur-Streichquintett von Schubert mit Isaac Stern und Alexander Schneider; eine meiner Lieblingsplatten ist das Elgar-Violoncellokonzert mit Jacqueline du Pré.

Tut es Ihnen leid, dass Sie nicht mehr Kontrabass spielen?

Manchmal würde es mich schon reizen, im Orchester zu spielen. Ein Traum wäre der ganze „Ring“ – aber es wird nicht dazu kommen, keine Angst! Ich habe den „Ring“ so oft dirigiert und höre ihn gern, aber ob ich ihn spielen könnte, weiß ich nicht.

Es heißt oft, die Orchester spielen brillanter, präziser, aber auch unpersönlicher als früher. Wie ist das bei den Philharmonikern, mit denen Sie seit über einem halben Jahrhundert zusammenarbeiten?

Für die Wiener trifft das nicht zu. Sie haben den Vorteil, dass sie nie einen Musikdirektor gehabt haben. Das heißt, jede Gruppe bewahrt ihren Ton und ihr Spiel – das ist wie eine jesuitische Strenge. Die Klarinettengruppe spielt nur auf der Wiener Klarinette. Das trifft auch auf die Pauken, die Oboen oder die Hörner zu. Sie werden bei der Bassgruppe nie eine französische Bogenhaltung sehen. Es wird auch keinen Musikdirektor geben, der zu den Philharmonikern sagt: Ich wünsche mir einen Klarinettisten, der auf einer französischen Klarinette spielt. Wir Dirigenten haben hier nichts zu sagen, das machen sich die Musiker untereinander aus. Daher bleiben diese Tonqualität und die Persönlichkeit dieses Orchesters.

Zum Jahreswechsel stehen Sie bereits zum fünften Mal am Pult des Neujahrskonzerts. Eine besondere Herausforderung?

Zum fünften Mal ein neues Programm! Ich mache das mit einer solchen Liebe und kann die erste Probe gar nicht erwarten. In dem Konzert dirigiere ich 17 Stücke, 15 sind für mich neu, da musste ich viel studieren.

Was ist das Besondere am heurigen Programm?

2015 feiert man in Wien das 650-jährige Bestehen der Universität, symbolisch spielen wir die „Studenten-Polka“ von Strauß und zum 200-Jahr-Jubiläum der Technischen Hochschule die Schnellpolka „Mit Dampf“ von Eduard Strauß. Wir gehen auch in den Norden: mit „An der Elbe“, einem wunderschönen Walzer, der noch nie bei einem Neujahrskonzert zu hören war, und mit der „Champagner-Polka“ des Dänen Hans Christian Lumbye.

Haben Sie sich selbst Stücke gewünscht?

Ja, die „Annen-Polka“ und „Perpetuum mobile“, das sind die beiden Zuckerln, die man mir geschenkt hat.

Ist die Einladung zum Neujahrskonzert die größte Ehre für einen Dirigenten?

Für mich, der ich in Wien aufgewachsen bin, kann ich mir keine größere vorstellen. Es ist auf jeden Fall etwas ganz Besonderes. Seit 1963 habe ich in jeder Saison ein Abonnementkonzert dirigiert, aber ein Neujahrskonzert zum fünften Mal...

Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Ich habe die Partituren seit Monaten bei mir. Das kann man nicht auf einmal lernen, dazu kommt, dass ich auch anderes zu tun habe. Eben erst war ich auf einer einmonatigen Ostasientournee mit Israel Philharmonic. Die Partituren waren immer dabei, auf jedem Schreibtisch, in jedem Hotel, meine Frau hatte es schon satt, sie zu sehen.

Geht man beim fünften Neujahrskonzert anders heran wie beim ersten Mal?

Nein, ich war damals genauso aufgeregt.

Mit dem Neujahrskonzert allein ist ja nicht getan, davor gibt es dieses Programm schon am Vormittag des 30. Dezembers, dann am Silvesterabend. Da muss man mit den Kräften haushalten, trotzdem soll es immer spannend sein, wie schafft man diesen Spagat?

Das bin ich gewohnt, in Israel dirigiere ich sechs Konzerte in der Woche. Ich finde es sehr gut, dass dieses Konzert nicht nur an einem Tag stattfindet.

Was ist das Schwierige an der Musik der Walzer-Sträuße? Muss man dafür das Wiener Umfeld, die sprichwörtliche Wiener Atmosphäre, kennen?

Das hat mit Stil zu tun, bei diesem Orchester gibt es natürlich kein Problem, da muss man nichts sagen. Aber jeder Walzer beinhaltet vier oder fünf kleine Walzer. Dann gibt es Einleitungen, Eingänge. Alle fünf Walzer, die ich dirigiere, habe andere Formen. „Wein, Weib und Gesang“ hat eine symphonische Einleitung und keine Koda, „An der Elbe“ wiederum eine Riesenkoda und eine Einleitung. Mein Lehrer an der Musikakademie, Professor Rühm, hat mich immer zu den Proben mitgenommen, so war ich auch bei der ersten Probe des ersten Neujahrskonzerts von Boskovsky. Ich erinnere mich, wie er zum Orchester gesagt hat, man müsse diese himmlische Strauß-Musik nicht übertreiben, es soll alles logisch sein. Das habe ich nie vergessen.

Können Sie selbst Walzer tanzen?

In meiner Jugend ja, ich war einmal auf dem Opernball und habe sogar Linkswalzer getanzt. Ich habe es aber schon so lang nicht mehr versucht.

Manche Dirigenten nehmen das Neujahrskonzert zum Anlass für eine Botschaft an die Zuhörer und Zuseher. Was haben Sie vor?

Es ist nicht meine Botschaft, sondern die der Wiener Philharmoniker, jedes Jahr mit einem anderen Kollegen. Da sitzen überall in der Welt Menschen, die einander hassen, die politische oder ökonomische Probleme miteinander haben, aber diese Musik bringt sie für wenigstens zweieinhalb Stunden zusammen, das ist wichtig. In Tel Aviv schaut man das Konzert, ebenso gegenüber in Jordanien und im Libanon, das ist wunderbar. Mittlerweile wird das Konzert in über 90 Länder übertragen, ich weiß immer noch nicht, ob Indien dabei ist. Ich wäre sehr traurig, wenn es nicht dazu käme.

Im Jahr 2000 haben Sie bei einem Konzert in Israel ein israelisches und ein palästinensisches Kind auf die Bühne geholt, um gemeinsam eine Johann-Strauß-Polka zu dirigieren. Weil diese Musik besonders völkerverbindend ist?

Es gibt für Kinder nichts Leichteres zu dirigieren, und das Orchester mit einem hohen Standard kann das auch ohne sie spielen... Das war übrigens die „Tritsch-Tratsch-Polka“.

Könnten Sie sich ein Jahr ohne Wien, ohne die Wiener Philharmoniker, überhaupt noch vorstellen?

Ich hoffe, es kommt nie dazu. Wenn ich vom Imperial in Richtung Konzerthaus oder Musikverein spazieren gehe, ist es, als wäre ich in meinem Wohnzimmer, so zu Hause fühle ich mich hier.

ZUR PERSON

Zubin Mehta, 1936 in Bombay als Sohn eines Konzertgeigers geboren, kam mit 18 zum Studium an die Wiener Musikakademie, absolvierte eine Dirigentenausbildung bei Hans Swarowsky. Er war u.a. Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker und GMD der Bayerischen Staatsoper, ist Musikdirektor des Maggio Musicale Fiorentino und des Israel Philharmonic Orchestra sowie Ehrenmitglied zahlreicher Institutionen, darunter auch der Wiener Philharmoniker. Das Neujahrskonzert hat er bereits in den Jahren 1990, 1995, 1998 und 2007 dirigiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

NEUJAHRSKONZERT 2009
Klassik

Neujahrskonzert 2015: Jahr der Jubiläen

Das Programm, geleitet von Dirigent Zubin Mehta, würdigt heuer den 650. Geburtstag der Universität Wien und den 200. der TU Wien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.