Ökonomin Kolm: „Wo bleibt denn die Bescheidenheit?“

(c) Mayr, „Wirtschaftsblatt“
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Aufgabe des Staates sei es nicht, Menschen glücklich zu machen, meint die Ökonomin und Leiterin des Hayek-Instituts, Barbara Kolm. Der Sozialstaat mache unbescheiden. Es gebe kein Recht auf eine automatische Staatsversorgung.

Die Presse: Vor 40 Jahren hat Friedrich August von Hayek den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Liberale Ökonomen haben derzeit nicht viel zu feiern, oder?

Barbara Kolm: Leider nicht, das Pendel schlägt ganz brutal zurück. Zu Beginn dieses Jahrtausends hoffte ich noch auf eine Renaissance der Marktwirtschaft, aber davon sind wir mittlerweile weit entfernt.


Wer Zukunftsängste hat, klammert sich eher an Vater Staat, als sich an der unsichtbaren Hand nehmen zu lassen.

Die wesentlichen Punkte sind Eigenverantwortung, Leistungsprinzip, Wettbewerb. Um diese drei Kernthemen geht es im Prinzip. Und diese werden wieder gern an den Staat delegiert. Die Politik nimmt das gern an, weil Politiker schließlich wiedergewählt werden wollen. Gewählt werden nicht jene, die Reformen angehen und strukturelle Probleme lösen, sondern jene, die weiter umverteilen.


Aber offenbar funktionieren Wettbewerb und Leistungsprinzip nicht ohne politische Kontrolle, siehe Luxemburg.

Aufgabe des Staates ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu kreieren. Ich bin weit davon entfernt, Jean-Claude Juncker zu verteidigen. Aber Luxemburg hat einen attraktiven Standort geschaffen. Das ist ein Wettbewerbsprozess, den jeder andere Staat auch hätte nachvollziehen können. Das ist, also ob ein Skifahrer nicht fünf, sondern acht Stunden am Tag trainierte.


Der Skifahrer sollte aber nicht zu Dopingmitteln greifen.

Stimmt. Auch im Falle Luxemburg gibt es keine Rechtsgleichheit, wie sie auch liberale Ökonomen wie Friedrich Hajek gefordert haben. Sondern es wurde eine Zweiklassengesellschaft für einige Konzerne geschaffen. Das ist absolut wettbewerbsverzerrend, und dagegen muss man vorgehen.


Wir brauchen also mehr Steuergerechtigkeit?

Nein, wir brauchen mehr Steuerwettbewerb. Mit dem Wort Gerechtigkeit muss man aufpassen, diese gibt es nicht auf Erden.


Dann reden wir eben über die Ungleichheit, die unter Ökonomen heiß diskutiert wird.

Dank Piketty.


Und des anderen französischen Ökonomen Gabriel Zucman. Das sind die Wortführer. Weit weg von Hajek, aber sehr nah an den Ängsten der Bürger.

Es ist ja schön zu sagen: „Wir sind ja alle gleich.“ Und es ist ein riesiger Unterschied zwischen Gleichheit vor dem Recht und den Talenten, die man hat. Wir haben Gott sei Dank unterschiedliche Talente und sind nun einmal nicht gleich. Diese Ungleichheit muss man zur Kenntnis nehmen. Deshalb schadet eine Politik, bei der alle über einen Kamm geschoren werden.


Aber Piketty kritisiert ja, dass die Talente des Individuums nicht so zur Geltung kommen wie das wachsende Talent des Kapitals.

So stimmt das nicht. Wir haben in jüngster Zeit genügend Vermögen schrumpfen sehen, einiges wurde ganz zerstört.


Aber unterm Strich steigen Vermögen stärker als Einkommen.

Unsere Gesellschaft wird reicher. Und schon Hajek hat gesagt: „Die ärmsten zehn Prozent wird es immer geben.“ Aber den ärmsten zehn Prozent geht es 2014 besser als vor 30 Jahren. Piketty berücksichtigt die moralischen Werte, welche die Österreichische Schule hochhält, überhaupt nicht. Pikettys Sorge ist, dass die Reichen reicher werden, obwohl auch die Armen reicher werden. Das ist nur Neid auf eine theoretische und ethische Ebene gebracht. Abgesehen davon herrscht die Einstellung: „Ich hab das Recht auf.“ Oder: „Der Staat hat mir das zur Verfügung zu stellen.“ Das ist doch ein komplett verkehrtes Denken. Wo bleibt denn die Bescheidenheit, mit der unsere Gesellschaft gewachsen ist und sich weiterentwickelt hat?


Vor einigen Tagen kündigte Lenzing an, wieder hunderte Mitarbeiter kündigen zu müssen. Im selben Atemzug wurde aber betont, dass die Dividende nicht gekürzt wird, weil man damit die „Treue der Aktionäre“ belohnen wolle. Wo bleibt denn da die Bescheidenheit des Kapitals?

Das ist eine Art des Wirtschaftens, die den echten Kapitalismus, nämlich die Wahrung der Eigentumsrechte, in Misskredit bringt. Es ist ein großer Unterschied, ob wir von Mittelstand und Familienunternehmen oder von Konzernen reden. Dort steht Aktienrecht im Vordergrund und der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt. Ich fürchte, dass Individualismus und individuelle Freiheit mittlerweile vielerorts verloren gegangen sind.


Was bedeutet Freiheit?

Frei von willkürlichem Zwang durch andere Menschen seinen frei gewählten Zielen im Rahmen seiner Mittel und des allgemeinen gleichen Rechtes folgen können. Also: eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen. Die wenigsten Menschen können Freiheit definieren, und es wird ihnen erst bewusst, was diese bedeutet, wenn sie massiv eingeschränkt wird oder verloren gegangen ist.


Kris Kristoffersons Definition lautet: Freedom's just another word for nothing left to lose. Freiheit bedeutet also nichts anderes, als dass man nichts mehr zu verlieren hat.

Aber wer „nothing left to lose“ sagt, meint: „Ich entscheide selbst.“


Und was geschieht mit jenen, die etwas zu verlieren haben?

Wir sollten uns wieder eine neue Form der Bescheidenheit aneignen.


Wer ist unbescheiden?

Wir als Gesellschaft, weil wir glauben alles zu wissen, unentwegt fordern und sagen: „Es steht uns zu.“ Es steht uns aber nicht zu. Umverteilung bedeutet, das der Staat den einen wegnimmt und den anderen gibt. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht für jene verantwortlich ist, die sich nicht selbst helfen können. Diese Verantwortung – das möchte ich klar und deutlich festhalten – muss man wahrnehmen. Aber nicht unbedingt der Staat.


Wo hört sich die Hilfe des Staates Ihrer Meinung nach auf?

Wenn ich als gesunder Mensch fähig bin zu arbeiten, habe ich keinen Anspruch darauf, dass ich der Gesellschaft auf der Tasche liege.


Wer entscheidet darüber, ob jemand „gesund“ und „fähig“ ist?

Wir haben eben diese 70 Jahre Sozialismus hinter uns, wo der Staat darüber entscheidet. Das ist aber nicht von Bürokraten zu entscheiden. Wir müssen aus dieser Fremdbestimmungsfalle wieder herauskommen.


Ist der Sozialstaat unbescheiden?

Ja, er macht uns unbescheiden. Wir fordern einen Kindergartenplatz, eine bestimmte Schule, Ausbildung und ein Recht auf einen bestimmten Arbeitsplatz. Mit welchem Recht steht einem zu, dass er automatisch vom Staat versorgt wird?


Gehört das nicht zu den Aufgaben eines Staates?

Es ist nicht Aufgabe des Staates, Sie oder mich glücklich zu machen.

Zur Person

Barbara Kolm ist Wirtschaftswissenschaftlerin und leitet das Friedrich-August-von-Hayek-Institut in Wien. Ziel des Instituts ist, die Tradition der Österreichischen Schule der Nationalökonomie zu fördern. Sie ist Direktorin des Austrian Economics Center. Bis 2006 saß sie für die FPÖ im Innsbrucker Gemeinderat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2014)

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