Schönheits- und Dornröschenschlaf im Thayatal

Thayatal
Thayatal(c) ORF
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Tschechien/Niederösterreich. Bei Winterwanderungen zu den Burgen des Thayatals lebt die Geschichte wie auf Schwarz-Weiß-Fotos auf.

Der Wind fährt durch die Äolsharfen am Dachfirst der Burg Bitov/Vöttau, ein einsamer Eissegler kratzt über den gefrorenen Stausee unterhalb der Burg. Das Summen der Äolsharfen und das Zischen der Kufen sind die einzigen Geräusche in der hochwinterlichen Landschaft des tief eingeschnittenen Thayatal im Grenzgebiet zwischen Österreich und Tschechien.

Ruinen hocken dies- und jenseits des Flusses auf spitzen Steinnasen, auf massigen Felsplateaus mächtige Burgen. Als Grenzfestungen hatten die Wehrbauten ab dem elften Jahrhundert große strategische Bedeutung und wurden stark ausgebaut und modernisiert, als Vratislav II. aus dem Haus der Přemysliden gegen den Babenberger Heinrich II. 1082 bei Mailberg kämpfte. Das Gebiet der Thaya war die Grenze zwischen der Babenbergischen Ostmark und Böhmen und Mähren. Diese Grenze war aber wegen der Interessen der lokalen Herrschenden eine durchlässige, die Loyalitäten wechselnd und nicht immer an den Landesherrn gebunden.

Geschichte muss sein

So bekamen die Grafen von Nürnberg die Herrschaft Raabs zum Dank dafür, dass Gottfried von Nürnberg an der Seite von Böhmen und Mähren gegen die Babenberger gekämpft hatte. Die Burg Racouz (Raabs) wurde in der tschechischen Sprache namensgebend für Österreich: Rakousko – das Land hinter Raabs. Soviel Geschichte muss sein, um die Stille im Tal mit ein wenig Hufgeklapper und Schwertgerassel zu kompensieren. Vor dem Tor der Burg Bitov/Vöttau saß eines Tages eine verzweifelte Löwin namens Mitzi, einsam und hungrig. Sie war die treue Gefährtin des Barons Georg Haas von Hasenfeld – und nachdem sie ausgebüchst und durch die Wälder des Thayatales geirrt war, reuig wieder zum heimatlichen Zwinger zurückgekehrt. Die möglicherweise älteste Burg des mährisch-österreichischen Thayatals wurde 1912 vom den Industriellen Haas von Hasenfeld erworben.

Das ertrunkene Dorf

Noch in der k.u.k.-Monarchie, 1912, wurde das E-Werk in Vranov/Frain geplant, es konnte aber durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erst in den 1930er-Jahren realisiert werden. Unterhalb der Burg bildet der Rückstau der Talsperre eine sich um bewaldete Berghänge schlingende Wasserfläche, unter der das Dorf Bitov/Vöttau in seinem nassen Grab liegt. Lange noch mahnte der aus dem Wasser ragende Turm der Dreifaltigkeitskapelle an das versunkene Dorf. Novy Bitov wurde vom tschechischen Architekten Josef Karel Řiha entworfen. Das einheitliche Dorfbild ist bis heute erhalten. Die neue Siedlung mit großen und modernen Häusern stellte für die Vöttauer eine deutliche Verbesserung dar. „In Novy Bitov ist es besser, in Alt-Vöttau war es schöner“, pflegte der Vater des Bürgermeisters Svatopluk Steffel zu sagen.

Für Baron Haas war die Zukunft 1945 zu Ende. Beim Einmarsch der Roten Armee erschoss er zuerst seine geliebte Mitzi-Löwin und dann sich. Das „Mährische Meer“ wird der Stausee liebevoll genannt, an seinen Ufern stehen unzählige Datschen – „Weekendski“ wie die Tschechen neuerdings zu sagen pflegen – deren Läden fest verschlossen sind. Nur ein paar Unerschrockene finden sich auch im Winter ein, um am gefrorenen Stausee lange Wanderungen zu unternehmen.

Spaziergänge in einem ausgedehnten Waldpark waren den Besitzern des Schlosses Vranov/Frain vorbehalten. Die Burganlage wurde von den Grafen Althann zu einer Barockresidenz im kaiserlichen Format ausgebaut. Der Ahnensaal ist ein Entwurf des Hofarchitekten Fischer von Erlach.

Im unwegsamen Gelände wurden Schneisen und Aussichtspunkte, Wege und Durchsichten angelegt. Fasanerien und Rosengärten erstreckten sich in den Symmetrien der barocken Gartengestaltung und durch spätere Besitzer mit romantischen Parkelementen, Wasserfällen, Steinbrücken, Pavillons bestückt. Das Lusthaus bei Číčov, der Pavillon im Waldgrund Braitava, die Marienkapelle, die Quelle Feliciental (Felicitiny údolí), der Obelisk der 1860 zu Ehren der Gräfin Helma Mniszek erbaut wurde sind Ausflugsziele die in den letzten Jahren wieder instand gesetzt wurden. Eine lokale geologische Besonderheit am Thayaufer sind die Hammerfalten, zackige geformte Gesteinsschichtungen, als ob Riesenhände die Felsen im Zorn geballt hätten.

Wilde Mäander der Thaya

Zur wirtschaftlichen Ausstattung der Besitzer von Schloss Vranov/Frain gehörten neben 15.000(!) Hektar Land, sieben Höfen, Teichen, Mühlen, einer Brauerei und einer Steinzeugfabrik auch die Ruine Nový Hrádek/Neuhäusel. Der Weg dorthin führt durch das Kerngebiet des tschechischen Nationalparks Podyjí. Krumm wachsende Kiefern trotzen dem felsigen Untergrund. Das trockene Laub der Eichen knistert. Die Thaya, die in halsbrecherischen Mäandern das Tal formt, ist einmal da zu sehen und taucht dann wieder dort auf, wo man sie nicht vermuten würde. Die Autorin des Artikels, die in diesem Grenzgebiet auf österreichischer Seite aufwuchs, bekam es bei Wanderungen über die Umlaufberge immer wieder mit der Angst zu tun. Nie war sie sich sicher, ob sie nicht schon in der Tschechoslowakei sei – damals sagte man ČSSR –, obwohl sie wusste, dass sie die Grenze, die Thaya, nicht überquert hatte.

Nový Hrádek/Neuhäusel liegt weitab von Straßen und der Zivilisation. Als die Burg, deren obersten und ältesten Teil die Luxemburger im 14. Jahrhundert errichtet hatten, im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden eingenommen wurde, begann sie zu verfallen. Die obere Burg wurde von den Grafen Mniszek als Forsthaus genutzt, eine Gartenterrasse sollte der Herrschaft bei Ausflügen die Schönheit der Landschaft näher bringen. In der Ersten Tschechoslowakischen Republik diente sie als Wanderherberge.

Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs nach 1948 lagen die Burg und die Ruine darunter in der Verbotszone, die nur von Soldaten und der Grenzwache betreten werden durfte. Sie verschwand aus dem Gedächtnis. Und weil alle menschliche Tätigkeit vierzig Jahre lang ruhte, wurde die Fürsorge um den baulichen Zustand total vernachlässigt – doch paradoxerweise schützte gerade diese Tatsache die Ruine vor der Zerstörung.

In der Abwesenheit des Menschen begannen die natürlichen Elemente mit der mittelalterlichen Architektur der Burg zusammenzuwachsen. Dieses „Gebilde“, das Neuhäusel sein authentisches Aussehen einer altertümlichen Burg bewahrt, ist heute ein unschätzbar wertvolles, die Landschaft gestaltendes Element. Vom Bergfried wird man mit einem Ausblick belohnt und sieht den Fluss, der sich wie ein S in die Landschaft eingegraben hat, gleich dreimal.

Auf der österreichischen Seite und ebenso von Waldeinsamkeit umgeben, steht die Ruine Kaja. Beide Burgen, Nový Hrádek/Neuhäusel und Kaja, gehörten im 16. Jahrhundert dem Geschlecht der Eitzing. Auch sie wurde nach einem Brand in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges nicht wieder aufgebaut und verfiel. Anders als ihre Schwester Nový Hrádek lag sie nicht im Dornröschenschlaf sondern wurde in den 1970er-Jahren mit Hilfe von Beton halbwegs instand gehalten.

Ein paar enge Schlingen flussaufwärts steht die Burg Hardegg. Das Erscheinungsbild der Burg, ihre Gestalt und ihr Zustand, fallen auf, überraschen: die Burg sieht Bilderbuchperfekt mittelalterlich und zugleich befremdlich neuartig aus. Ein Burgideal geradezu. Nach dem Vorbild kaiserlicher Pfalzburgen der Staufer wurde unter den Magdeburg-Hardeggern eine der eindrucksvollsten Anlagen des österreichischen Hochmittelalters errichtet.

Kaiser Maximilian von Mexiko

1730 erwarb die Familie Khevenhüller die Burg. Während sie das benachbarte Riegersburg zu einem Barockschloss umgestalteten, verfiel die Burg Hardegg zusehends. Nachdem 1764 die Stadt Hardegg niederbrannte, durften die Bewohner Steine und Holz der Burganlage zum Wiederaufbau ihrer Häuser verwenden. 1878 beauftragte Johann Carl Fürst Khevenhüller-Metsch die Wiener Architekten Carl Gangolf Kayser und Humbert Walcher Ritter von Moltheim, die Burg zu restaurieren und zu erweitern, um den zeitgenössischen Wohnansprüchen des überaus gebildeten und weit gereisten Aristokraten zu genügen. Die Burg sollte – das war der eigentliche Hauptgrund für den kostspieligen Umbau – als altertümlich-standesgemäße und würdige Grabstätte der Khevenhüller dienen. Darüber hinaus sollten die Architekten eine museale Gedenkstätte für Kaiser Maximilian von Mexiko errichten. Khevenhüller hielt damit die Erinnerung an seine Jahre an der Seite Maximilians in Mexiko aufrecht. Auf Hardegg entstand somit eines der ältesten privaten, öffentlich zugänglichen Museen Österreichs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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