Starthilfe ins Leben

Der Wiener Verein Grow Together bietet Familien in schwierigen Lebenssituationen und speziell rund um die Geburt eines Kindes Hilfe an.

Zusammenwachsen und zusammen wachsen. Das sind die zentralen Dinge, wenn es um Familie, Schwangerschaft und die ersten Lebensjahre eines Kindes geht. Denn in dieser Phase entsteht die für Kinder und ihre weitere Entwicklung so essenzielle Bindung zu ihren Eltern. Wenn es hier Probleme gibt, sind die Folgeerscheinungen meist das gesamte Leben stark zu spüren.

Hier setzt das Konzept von Katharina Kruppa an. Die Wiener Kinderärztin und Psychotherapeutin hat den Verein Grow Together gegründet, um Familien in schwierigen Lebenssituationen Hilfe anzubieten. Die Idee zum Projekt, das sich durch private und öffentliche Mittel finanziert, hatte sie als Leiterin der Baby-Care-Ambulanz im Preyer'schen Kinderspital. „Immer wieder mussten wir die Empfehlung abgeben, dass Kinder nicht bei ihren leiblichen Eltern verbleiben sollten, da keine ausreichenden Strukturen vorhanden waren, die die Familie gestützt und damit das Kindeswohl gesichert hätten“, sagt Kruppa. Für alle Beteiligten ein stark traumatisierender Schritt, der für die ohnehin schon belasteten Eltern einen weiteren Abstieg bedeuten kann. Dass dieselben Eltern ein paar Jahre später vor demselben Problem – mit einem neuen Kind – stehen, ist bei Weitem kein Einzelfall.

Armut, Missbrauch, häusliche Gewalt, Suchtprobleme, destruktives Beziehungsverhalten – das sind Muster, die in Familien oft über Generationen hinweg bestehen und nur schwer zu durchbrechen sind. Doch gerade wenn neues Leben entsteht, öffnet sich ein Fenster, um den Teufelskreis zu durchbrechen. „Die Zeit um die Geburt ist, wie zahlreiche Studien zeigen, jene Zeit, in der tief greifende und nachhaltige Veränderungen für Familien in schwierigen Lebenssituationen möglich werden, sofern intensive und langfristige Begleitung vorhanden ist“, sagt Kruppa. „Wenn sich ohnehin das ganze Leben ändert, ist man offener für neue Erfahrungen und Beziehungen.“ Genau diese braucht es. Alte, negative Erlebnisse werden durch neue, heilsame überlagert – das ist aber nur möglich, wenn dies über einen längeren Zeitraum geschieht.

Daher setzt das Pilotprojekt von Grow Together europaweit einzigartig auf intensive Langzeitbetreuung, die zum Großteil da stattfindet, wo die betroffenen Familien die Hilfe am notwendigsten brauchen: im Alltag. Etwa zehn Familien werden von speziell geschultem Personal begleitet. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter betreuen die werdenden bzw. frisch gebackenen Eltern in maßgeschneiderten Betreuungskonzepten. Eine Investition, die sich auszahlt: „Was wir im letzten Drittel der Schwangerschaft bzw. in den ersten zwei Lebensjahren investieren, kommt später vielfach zurück. Die Kosten für eventuell notwendige Sonderbeschulung, Therapien oder sogar Strafvollzug von vernachlässigten Kindern und Jugendlichen steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir in der frühen Kindheit bewirken können“, sagt Kruppa. „Die Idee ist, im Gegensatz zu existierenden Angeboten, nicht nur stabilisierend zu wirken, sondern auch tatsächlich zu verändern und zu heilen.“


Hausbesuche, Behördengänge. Je nach Belastung werden die Dichte der Hausbesuche sowie das Therapieangebot, einzeln und in Gruppen, variiert. Während Hochrisikofamilien mehrmals wöchentlich zu Hause aufgesucht werden, reicht bei weniger stark Betroffenen manchmal schon ein Vormittag in der Woche, um die elterliche Belastung zu reduzieren und so Voraussetzungen für die sichere Bindung zu schaffen.

Die vierköpfige Familie F. (Name geändert) gehört zu den weniger belasteten Familien im Programm und wird einmal wöchentlich von einer speziell ausgebildeten und supervidierten ehrenamtlichen Mitarbeiterin besucht. Gemeinsam mit einer hauptamtlichen Betreuerin unterstützt sie die Eltern Daniela und Robert: Ihre eineinhalbjährige Tochter Anna (alle Namen geändert) hat von Geburt an eine Sehbehinderung, deren Ursachen und Symptome noch nicht geklärt sind. Das macht den Alltag oft zur Herausforderung. Anna findet manchmal erst im Morgengrauen in den Schlaf. Mahlzeiten sind für die Eltern belastend, da das Mädchen meist nur wenig zu sich nimmt. Die Sorge um das Gewicht und ihre Entwicklung ist ständiger Begleiter, durch das Verhalten ihrer Tochter fühlen sie sich oft provoziert.

Seit August gibt es auch noch Baby Paul, zwischen den Geburten der Kinder lagen lediglich 14 Monate. Gleichzeitig sind in der Wohnung Umbauarbeiten nötig, der Familienvater ist gerade auf Jobsuche. Ihre Familien bieten weder emotionalen Rückhalt noch Unterstützung, auch vom Freundeskreis fühlen sich die beiden in ihrer Situation kaum verstanden.

Als Robert die Türe an einem Freitagmorgen öffnet, ist er blass. Er hat die vergangenen Nächte kein Auge zugemacht, Anna habe wieder einmal kaum geschlafen. Im Vorzimmer stapeln sich Kisten und Kleider, für den Haushalt fehlt an den meisten Tagen Kraft und Zeit. Auch körperlich sind die Zeichen der Erschöpfung nicht zu leugnen. Robert hat es seit Tagen nicht geschafft, sich zu rasieren. Daniela helfen Zigaretten, den Druck in ihrer Familienkonstellation zu verkraften.

Die Vormittage mit ihrer Betreuerin Hedwig erleben sie als massive Erleichterung. „Sie hilft uns so sehr, ihr haben wir es zu verdanken, dass wir in der Wohnung in den vergangenen Wochen so viel weitergebracht haben. Sie kümmert sich um Anna und hilft uns im Haushalt. Hedwig ist nicht einfach nur unsere Betreuerin, sondern vor allem Mensch. Sie ist ein Teil der Familie“, sagt Mutter Daniela. Die Mischung aus seelischer und praktischer Unterstützung ist für Grow Together von großer Bedeutung. Arzttermine und Behördengänge, die abgenommen und vereinbart werden, reduzieren die Überforderung in den Familien. Was passiert, ist eine Begegnung auf Augenhöhe. Für Kruppa ein zentrales Motiv. „Wir wollen niemanden belehren oder Vorschriften machen. Unsere Betreuerinnen sollen den Familien zur Seite stehen, Ressourcen bieten, wo sie knapp sind, und eine Möglichkeit der guten, sicheren Bindung darstellen. Oft ist das etwas, das die von uns betreuten Eltern zum ersten Mal erfahren.“

Das Ziel sei, die notwendigen Veränderungen und Herausforderungen gemeinsam durchzustehen. „So können die Kinder bestmöglich in ihren Potenzialen gefördert werden und die Eltern in eine emotional stabile und sozial sichere Situation kommen.“

Auf einen Blick

Der Verein Grow Together kümmert sich um Familien mit Kindern, die in schwierigen Lebenssituationen stecken. Das Angebot ist für die Eltern kostenlos.

www.growtogether.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2015)

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