Kongos geraubte Kinder

(c) Die Presse (Wieland Schneider)
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Die Widerstands-Armee des Herrn kämpfte einst für einen Staat, der nach den Zehn Geboten regiert wird. Heute zieht sie mordend und plündernd durch das Herz Afrikas. Sie entführt Kinder und Jugendliche, um sie als Arbeitssklaven und Soldaten zu missbrauchen.

Sie hatten die ganze Nacht im Busch gelauert, hatten gewartet, bis die Schule des Städtchens Duru voll war. Dann erst schlugen die Männer mit den Dreadlocks und den zerschlissenen Uniformjacken zu. Denn sie waren gekommen, um die Kinder zu rauben. „Sie standen plötzlich in unserem Klassenzimmer – mit Macheten und Gewehren. Wir versuchten zu fliehen, doch sie versperrten die Ausgänge.“ Mit leiser Stimme, aber ohne zu stocken, berichtet Richard Mitambuako von dem Tag, als er Afrikas grausamster und zugleich bizarrster Rebellengruppe in die Hände fiel. „Sie führten uns nach draußen, wo sie schon die Kinder der Grundschule zusammengetrieben hatten“, erzählt der 17-Jährige. „Dann banden sie uns an langen Stricken aneinander und luden uns alles auf, was sie geplündert hatten.“ Die Bewaffneten trieben ihre Opfer in den Busch. Hinter der Gefangenenkarawane gingen die Häuser von Duru in Flammen auf.

Duru, Dungu, Faradje .. . zahllose Städte und Dörfer im Nordosten des Kongo sind in den vergangenen Monaten von der „Lord's Resistance Army“ (LRA), der „Widerstandsarmee des Herrn“, überfallen worden. Die LRA-Kämpfer morden, brennen Häuser nieder und entführen Kinder und Jugendliche. Sie missbrauchen sie als Arbeitssklaven, Sexsklaven und Soldaten.

Nach drei Tagen Marsch erreichten Richard und die anderen die Wälder rund um Gangabo. Dort wartete schon ein großgewachsener Mann in Tarnuniform: Joseph Kony, Herr über die LRA und damit Herr über Leben und Tod all seiner Kämpfer und Gefangenen. „Kony begutachtete uns. Dann nahm er die Mädchen und verteilte sie an seine Offiziere.“ Mehrere Frauen zu besitzen ist eines der „Privilegien“ verdienter LRA-Kommandanten. Kony selbst soll 40 Frauen haben, viele davon gekidnappte Mädchen. Seine einfachen Soldaten verpflichtet er zur Monogamie – gemäß den Regeln Gottes, dessen Wort er einst zu verbreiten vorgab.

Revolte des „Heiligen Geistes“. Kony war 26, als er seinen Untergrundkrieg startete. Damals, Ende der Achtzigerjahre, tobte in Uganda ein Aufstand der „Heiligen Geist Bewegung“ von Alice Auma, einer Frau vom nordugandischen Stamm der Acholi. Alice gab vor, Medium eines christlichen Geistes namens Lakwena zu sein. Der habe ihr aufgetragen, „Reinheit“ zu verbreiten und das Böse zu bekämpfen. Das „Böse“ waren damals die Hexerei und Ugandas neuer Präsident Yoweri Museveni. Museveni hatte 1986 die Macht übernommen, und die Stämme im Norden revoltierten dagegen. Doch Alices Aufstand schlug fehl.

Der junge Kony setzte ihren Kampf fort. Seine „Widerstandsarmee des Herrn“ übernahm viele ihrer Riten. Seine Soldaten glauben, dass Geister sie im Krieg leiten und beschützen – etwa der von Johannes dem Täufer und der Kampfsportlegende Bruce Lee. Sie reiben ihre Körper mit „heiligem Öl“ ein – damit die Kugeln der Feinde abgleiten. Doch eines unterschied Kony von Anfang an von Alice: seine Grausamkeit. Auch wenn er behauptete, aus Uganda einen Staat zu machen, der nach den Zehn Geboten regiert wird. Gebote wie „Du sollst nicht töten“ spielten für ihn nie eine Rolle.

Religion? „Nein, Religion war während meiner Gefangenschaft nie ein Thema“, berichtet Richard. Die LRA brachte den Entführten nur militärischen Drill bei. Und zwang sie, auf ihren Feldern rund um ihr Hauptlager Kiswahili zu arbeiten. Wer nicht mehr konnte, wurde geschlagen. Von Religion will Richard ohnehin nichts mehr wissen. „Es gibt keinen Gott, denn er hätte das nie zugelassen“, sagt er leise und streicht über seine Hände und Unterarme. Sie sind mit Narben übersät. „Einige wollten fliehen. Und sie bestraften dafür uns alle.“ Die LRA-Kämpfer schmolzen Plastikflaschen über dem Lagerfeuer und ließen das heiße Plastik auf Richards Arme tropfen.

Vier Monate schuftete der 17-Jährige als Arbeitssklave im Lager Kiswahili. Bis zu der Nacht im Dezember, als plötzlich Raketen in dem Camp einschlugen. Ugandas Streitkräfte hatten gemeinsam mit Kongos Armee die Operation „Lightning Thunder“ zur Vernichtung der LRA gestartet. Angriffe ugandischer Kampfhubschrauber trieben die Rebellen in alle Richtungen auseinander. Die „Widerstandsarmee des Herrn“ teilte sich in kleine Einheiten auf. Die Gefangenen nahm sie mit. Als seine Gruppe nur mehr von einem einzelnen Bewacher durch den Busch gehetzt wurde, gelang Richard die Flucht. Kongolesische Soldaten fanden ihn und übergaben ihn seinen Eltern.

Patrouille im Busch. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Es wird bald regnen. Doch die Männer in den grünen Uniformen lassen sich davon nicht beeindrucken. In ihren dunklen Gummistiefeln stapfen sie weiter durch den Busch, stets auf der Hut vor bösen „Überraschungen“, die sich hinter dem hohen hellgrünen Gras verbergen könnten. Die Soldaten schleppen Kalaschnikow-Sturmgewehre, alte russische Maschinengewehre und Panzerabwehrgeschosse. Am immer dunkler werdenden Himmel dreht ein ugandischer Helikopter seine Runden.

Es sind Soldaten der Präsidentengarde, die Kongos Zentralregierung in den abgelegenen Nordosten des Landes entsandt hat, um gemeinsam mit Ugandas Armee die LRA zu bekämpfen. Die Männer, die hier um die Stadt Dungu durch die Wälder patrouillieren, hatten in den vergangenen Tagen nur mehr selten Feindkontakt. Sie trafen vor allem Kinder und Jugendliche, die so wie Richard aus der LRA-Gefangenschaft geflohen sind.

„Wir haben schon 300 Personen befreit, vor allem Kinder“, behauptet Oberst Mundos. Der bullige Mann mit der langen Narbe am linken Handrücken kommandiert den Einsatz der kongolesischen Truppen gegen die LRA. Sein Hauptquartier liegt etwa acht Kilometer außerhalb von Dungu, gleich neben dem Flughafen, wo auch die UN-Truppe Monuc und Ugandas Armee ihre Lager aufgeschlagen haben. Nicht ohne Stolz präsentiert Mundos einige der Befreiten – etwa einen 37-Jährigen, der vor einem Jahr von der LRA im Dorf Niakora in der Zentralafrikanischen Republik entführt wurde.

Konys Arzt hat Angst. Wegen seines medizinischen Wissens musste der Mann Kony höchstpersönlich betreuen. Der „Arzt“ der Rebellenchefs hat nach wie vor Angst, zu viel von seinem einstigen Patienten preiszugeben. „Kony ist größer als die meisten anderen – und er spricht mit lauter Stimme“, meint er lakonisch. Oberst Mundos zeigt sich siegessicher: „Die LRA hat nicht mehr die Fähigkeit zu kämpfen. Sie laufen vor uns davon, wagen es nur noch, Zivilisten anzugreifen.“ Er gesteht aber ein, dass es schwierig ist, die Rebellen aufzuspüren: „Es ist, als müssten wir eine Nadel im Busch suchen.“ Dass die „Widerstandsarmee des Herrn“ – wie schon im November – in Dungu einmarschieren könnte, schließt Mundos aus.

Nicht alle Einwohner der Stadt sind so optimistisch. Jedes Mal wenn Michel nachts verdächtige Geräusche hört, schreckt er auf, blickt nach draußen, versucht auszumachen, ob Männer mit Macheten durch die Dunkelheit schleichen. Und er fürchtet sich vor allem vor dem Tag, an dem Uganda seinen Einsatz im Kongo beendet. „Ugandas Soldaten sind disziplinierter als unsere eigene Armee. Sie können uns als einzige beschützen.“

Doch Ugandas Truppen haben bereits mit dem Abzug begonnen. Sie waren Kongos Präsidenten Joseph Kabila von Anfang an ein Dorn im Auge. Kabila fürchtete, dass Ugandas Regierung nicht nur Interesse an der Zerschlagung der LRA hat, sondern auch an Kongos reichen Bodenschätzen.

Überforderte Blauhelme. Auf Kongos Soldaten und die UN-Truppe Monuc will sich Michel nicht verlassen. Er hat schlechte Erinnerungen an den Novembertag, an dem die LRA mehrere Stunden unbehelligt in Dungu wütete und Dutzende Kinder entführte. „Die UN-Soldaten haben in ihrem Camp gewartet, bis alles vorbei war“, sagt Michel. Aus Wut darüber fackelten Einwohner Dungus ein UN-Fahrzeug ab. In der Stadt kursieren Verschwörungstheorien, Monuc stecke mit den Rebellen unter einer Decke. In Wahrheit waren die marokkanischen Blauhelme völlig überfordert, als hunderte Rebellen plötzlich zuschlugen.

Die UN-Truppe war auch unvorbereitet, als die LRA Ende Dezember eine Racheorgie startete. Als Vergeltung für die ungandisch-kongolesische Offensive überfielen die Rebellen mehrere Städte. Sie erschlugen mit Knüppeln und Macheten fast 900 Menschen – Männer, Frauen und Kinder. Die UN-Truppe hatte zu der Zeit den Großteil ihrer Kräfte in den mehrere hundert Kilometer entfernten Kivu-Provinzen konzentriert. Vom Beginn der ugandisch-kongolesischen Operation „Lightning Thunder“ erfuhren sie erst, als Ugandas Kampfhubschrauber schon startklar gemacht wurden.

Die Massaker der LRA trieben im Norden Kongos 140.000 Menschen in die Flucht. Die Stadt Dungu zählte einst 60.000 Einwohner. Jetzt sind 50.000 Vertriebene dazugekommen. Richard lebt hier seit seiner Flucht aus der LRA-Gefangenschaft. Und einige Kilometer entfernt wohnt Mboligamisi Malasi mit seinem Vater, seiner Frau, seinen Kindern und anderen Verwandten. Auch sie stammen aus Duru. 25 Personen teilen sich eine kleine Hütte und Zelte – über Holzstangen gespannte Plastikplanen des Kinderhilfswerks Unicef. Geschlafen wird auf dem sandigen Boden. „Wir haben alles verloren“, klagt Mboligamisi. „Und unsere Kinder haben nicht genug zu essen.“

20 Kilometer nördlich von Dungu lagern fast 3000 Vertriebene im Busch. KK 2 nennen Einheimische dieses Camp. Männer bauen aus Holz und Bananenstauden notdürftige Behausungen. Frauen verkochen Palmennüsse zu einer roten Soße. Ein kleiner Bub löffelt Süßkartoffel aus einer alten Tasse. Sein Bauch ist aufgebläht – ein Zeichen für Wurmbefall.

Bis vor wenigen Wochen war es noch zu gefährlich, nach KK 2 zu fahren, denn LRA-Kämpfer und Banditen machten die Straße unsicher. Nun aber wagt sich ein Team von „Ärzte ohne Grenzen“ mit ihrem Geländefahrzeug über die mit tiefen Löchern übersäte Erdpiste zum Flüchtlingscamp.

„Noch haben die Menschen hier Nahrung. Wir wissen aber nicht, wie lange“, sagt Serge Pfister, Koordinator von „Ärzte ohne Grenzen“ in Dungu. Er fürchtet, dass sich die Versorgungslage der Flüchtlinge in den kommenden Wochen dramatisch verschlechtert. Wichtig sei vor allem, dass in dem Gebiet endlich Sicherheit herrsche, damit die Menschen in ihre Dörfer zurückkehren und mit der nötigen Hilfe neu beginnen können.

Auch Richard wünscht sich Sicherheit und Frieden. Vor allem Frieden in seinem Kopf. „Ich wache nachts auf und habe Angst.“ Dann erinnert sich der 17-jährige daran, wie er und die anderen helfen mussten, geflohene Mitgefangene aufzustöbern. Und wie diese dann vor den Augen aller erschlagen wurden. Und er denkt an seine 13-jährige Schwester. Sie ist noch immer in den Händen der LRA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

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