Bildung gegen Extremismus

Palestinian Islamic Jihad militants march during a military drill in the southern Gaza Strip
Palestinian Islamic Jihad militants march during a military drill in the southern Gaza Strip(c) REUTERS (SUHAIB SALEM)
  • Drucken

Auf die Ratlosigkeit angesichts jihadistischer Jugendlicher im Westen reagieren erste Lehrgänge speziell für Pädagogen, Jugendarbeiter und Imame.

Medial zelebrierte Enthauptungen durch die Salafisten des Islamischen Staates oder der jüngste Terror in Paris sind nur zwei von vielen Erscheinungsformen extremer Gewaltbereitschaft, durch die islamistische Strömungen weltweit Entsetzen auslösen. Nicht weniger schockiert die Einsicht, dass auch etliche in der westlichen Welt sozialisierte junge Männer und Frauen offen für solche Bewegungen sind. Gegenstrategien müssen rasch entwickelt werden, so sie nicht ohnehin zu spät kommen.

Neue Zugänge

„Der IS stellt unter anderem deshalb eine neue Stufe und Qualität des Jihadismus dar, weil er das Projekt einer Staatsbildung betreibt und weil er die Nutzung des Internets und sozialer Medien wie YouTube, Twitter oder Facebook für eine global orientierte Propaganda professionalisiert“, sagt Ernst Fürlinger vom Zentrum Religion und Globalisierung der Donau-Universität Krems. „Durch die gezielte Rekrutierung vor allem von jungen Leuten und durch das Image besonderer Radikalität, erfolgreicher Eroberung und beginnender Staatsbildung repräsentiert der IS ein ungleich höheres Bedrohungspotenzial als andere radikalislamistische, jihadistische Organisationen.“

Fürlinger hat an der Donau-Universität einen Weiterbildungslehrgang mitentwickelt, der auf diese Bedrohung reagiert. „Neo-Salafistischer Islamismus. Grundlagen – Analyse – Prävention“ nennt sich das Programm, das im März startet und sich vor allem an Menschen richtet, die in der Schul- oder Jugendarbeit tätig sind.

Zweiter Lehrgangsleiter ist der muslimische Religionspädagoge Moussa al-Hassan Diaw, der sich wissenschaftlich mit dem Phänomen des politischen Salafismus beschäftigt. Unter den Vortragenden ist etwa Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat in Berlin, die seit Jahren praktische Erfahrungen in der Beratung von Familien sammelt. In Wien hat Lehrgangsleiter Diaw eine ähnliche Beratungsstelle aufgebaut. Das Netzwerk Sozialer Zusammenhalt und Deradikalisierung, das er gegründet hat, betreut derzeit als NGO einige Dutzend Fälle und bietet auch Fortbildungen an, die auf der Homepage des Vereines aufgelistet sind. Sie beinhalten eine Einführung zu Themen wie „Politische und jihadistische Salafiyya“ und „Radikalisierung“, aber auch Workshops für Schüler. Der Verein werde von Familienangehörigen, oft Müttern, aber auch Geschwistern, Sozialarbeitern, Direktoren oder Lehrern kontaktiert, sagt Diaw. Man führe erste Beratungsgespräche durch, aber auch – falls bestimmte Befürchtungen sich konkretisieren – Interventionsgespräche oder einen präventiven Workshop. „Bei Interventionen dekonstruieren wir die Ideologie, Weltanschauungen und Feindbilder, der sie nun folgen, und decken mit den Klienten Widersprüche auf“, sagt Diaw. Abgesehen von dieser kognitiven Ebene seien auch die sozialen Verhältnisse und die Gefühlsebene zu berücksichtigen. „Da können auch die von uns geschulten Peers zum Einsatz kommen.“

Wie dünn derzeit Weiterbildungsangebote zum Thema religiöser Extremismus gesät sind, zeigt die Tatsache, dass es auch in Deutschland noch keinen einzigen akademischen systematischen Lehrgang zu diesem Thema gibt. Noch im Jänner soll allerdings am Institut für Islamische Theologie (IIT) der Universität Osnabrück ein Programm für „Jugendarbeit in Moscheegemeinden und Extremismusprävention“ starten. Die einjährige Fortbildung richtet sich insbesondere an Imame und das seelsorgerische Personal in Moscheegemeinden. „Im universitären Rahmen war und ist unser Angebot deutschlandweit einmalig. Nach meinem Wissen ist Ähnliches für aktive Imame in den Gemeinden an anderen Hochschulen nicht geplant“, sagt der Islamwissenschaftler und Leiter des IIT Bülent Ucar. Als derzeitige Probleme mancher Imame in der (Jugend-)Arbeit nennt Ucar derzeit an erster Stelle „fehlende Sprachkompetenz, adressatengerechte Dialogfähigkeit und pädagogische Eignung“, aber auch die Schwierigkeit des Umgangs mit prekären sozialen Hintergründen sowie religiösem Extremismus und Salafismus.

Web:www.derad.at, www.islamische-theologie.uni-osnabrueck.de

LEXIKON

www.donau-uni.ac.at/religion/salafismusIslamismus: Überbegriff für Strömungen im Islam, die Staat und Gesellschaft nach islamischen Normen gestalten wollen. Bekanntes Beispiel: Moslembruderschaft.

Wahhabismus: Eine der Hauptströmungen des Islamismus, eng mit dem saudischen Königshaus verbunden. Ultrakonservative Auslegung des Islam.

Salafismus: Aus dem Wahhabismus hervorgegangen, Orientierung ausschließlich an Koran, Sunna und Lebensweise der ersten drei Islam-Generationen („Salaf“). Aufgesplittert in politische und militante Gruppen.

Jihadismus: betrachtet den offensiven militärischen Jihad als individuelle Pflicht aller Muslime – im Widerspruch zur islamischen Rechtstradition.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

Kurz will in Schulen Grundwerte betonen

Integrationsminister Sebastian Kurz fordert im Zusammenhang mit islamischer Radikalisierung politische Bildung als Unterrichtsfach.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.