Die besten Ideen kommen vom Staat

(c) APA/EPA/FRANK�RUMPENHORST
  • Drucken

Die Ökonomin Mariana Mazzucato stellt Weltbilder auf den Kopf: Nicht Unternehmer sorgten für die großen Innovationen, sondern die öffentliche Hand. Doch im Gespräch zeigt sich: Der von ihr beschworene Staat ist nicht der, den wir kennen.

Der Apparat des Anstoßes liegt auf dem Tisch, direkt vor Mariana Mazzucato. Die Ökonomin, die dabei ist, die Werte ihrer Zunft umzuwerten, hat als Treffpunkt die Bar eines alten Londoner Nobelhotels vorgeschlagen. Da liegt es nun, zwischen Plüsch und Prunk, das iPhone, an dem sich ihr Furor entflammt. Für den Journalisten ein praktisches Gerät zum Aufnehmen. Für die temperamentvolle Volkswirtin mit italienischen Wurzeln ein Symbol für alles, was schieflaufe im „verkorksten Gerede“ über Staat und privat.

Die offizielle Apple-Story ist ein Loblied des Marktes: wagemutige Gründer aus der Garage, geniale Ideen, Wachsen aus eigener Kraft, vorbei am trägen, gierigen Staat, der bürokratische Steine und Steuern in den Weg legt. Innovation kommt von der unsichtbaren Hand. Die öffentliche soll nur für Regeln und Rahmen sorgen – da waren sich fast alle einig. Bis Mazzucato kam. Mit „The Entrepreneurial State“ (der unpassende deutsche Titel lautet „Das Kapital des Staates“) macht die 46-Jährige, die an der Universität von Sussex lehrt, zurzeit Furore. Ihre leidenschaftliche Streitschrift soll aus dogmatischem Schlummer reißen und „Mythen entlarven“.

Wieder dient Apple als argumentative Waffe: Genüsslich weist sie nach, dass keine einzige der echten Innovationen, die in PC oder Smartphone stecken, wirklich aus dem Haus Apple stammt. Ob Halbleiter, Internet, Touchscreen, GPS oder Sprachassistent: Immer waren es staatliche Labors, militärische Programme oder Unis, die für den Durchbruch sorgten. Ohne Geld vom Steuerzahler gäbe es kein Silicon Valley, keine Medikamente gegen seltene Krankheiten, keine Nanotechnologie, keine grünen Energien. Google und Apple wurden als zarte Pflänzchen mit öffentlichen Geldern zum Gedeihen gebracht. Doch von Dankbarkeit keine Spur: Gerade große IT- und Internetkonzerne in den USA schaufeln ihre Milliardengewinne besonders emsig außer Landes, um in ihrer Heimat keine Steuern zu zahlen.

Soweit das Gegenbild, das Mazzucato mit viel Verve entwirft. Ihre provokante These reizt zum Widerspruch. Da sind zunächst ökonomisch Versierte, die ihr die Originalität absprechen: Dass der Staat die Grundlagenforschung übernehmen muss, weil sie ein öffentliches Gut ist – dieses Marktversagen sei doch ein alter Hut. Aber für Mazzucato geht es „nicht darum, dass der Staat einen kleinen Defekt repariert“ und Überbrückungshilfe leistet. Vielmehr „gestaltet er aktiv Märkte, über die ganze Innovationskette“, weil er „eine große Idee, eine Mission“ habe– wie die der Kernfusion oder des ersten Menschen auf dem Mond.

Keine Subventionen. Nur Wortklauberei, um Altbekanntes ideologisch zuzuspitzen? Tatsächlich machen öffentliche Institutionen in vielen ihrer Beispiele mehr, als nur ins Blaue hinein forschen zu lassen. Oft steht ein Ziel schon vage fest. Es geht also eher um angewandte Forschung, bei der die Kosten für Wagniskapitalgeber zu hoch sind und das Risiko des Scheiterns nicht einmal greifbar ist. Steuergeschenke für Sektoren oder Förderungen für Firmen seien meist hinausgeworfenes Geld, weil sie nur subventionieren, was ohnehin geschieht. Also besser „das tun, was die Privaten nicht tun“ – das Kommando übernehmen, direkt investieren. Warum aber sollte das dem Staat so gut gelingen?

Das Missverständnis, zu dem das Buch verleitet: Mazzucato schreibt von einem abstrakten Staat, denkt aber an einen ganz bestimmten. Fast alle ihre Erfolgsgeschichten finden in den USA statt, wo sie aufgewachsen ist. Und die Fäden spinnen dort nicht das Weiße Haus und Bürokraten in Ministerien, sondern dezentrale, kaum bekannte Behörden. In ihnen vermitteln erstklassige Wissenschaftler, auch Nobelpreisträger, zwischen Unis, Labors und privaten Firmen – und schaffen so ein Biotop, in dem technologische Durchbrüche möglich sind. Politiker können den etwa 20 Einheiten allenfalls die Mittel kürzen (was sie bisher nie getan haben), in Personalfragen bleiben sie unabhängig. Ein paradoxer Staat ist das, der dem Zugriff der Parteien und dem kurzfristigen Handeln in Wahlzyklen entzogen ist – damit er, wie Mazzucato mahnt, nicht zum „Sklaven der Politik“ verkomme.

Dennoch erscheint es seltsam, dass gerade die USA, die Hochburg des Kapitalismus, in Sachen Innovation so auf eine starke öffentliche Hand vertrauen– unabhängig davon, ob Demokraten oder Republikaner am Ruder sind. Dieser Pragmatismus, der sich nur am Ergebnis orientiert, wurde in der Finanzkrise offenbart: Ausgerechnet die Amerikaner griffen beherzt zum Werkzeug der temporären Verstaatlichung, um Banken und Autobauer zu retten.

Den Staat rhetorisch in die Schranken zu weisen, ihn aber klammheimlich kraftvoll agieren zu lassen, wo es Erfolg verspricht: Für den „Economist“, der Mazzucatos Thesen weiterdenkt, liegt darin „das Geheimnis des Erfolgs“. Vor allem in einer Gesellschaft, die „vom Wettbewerb besessen“ ist, auch die Wissenschaftler. Für Mazzucato freilich muss es den Forschern eine Ehre sein, eine Zeit lang für die Regierung zu arbeiten. Für das „nächste große Ding“ wie die Nanotechnologie. Ihre Kritik an den „Rechten“: „Wer den Staat nicht mag, beschreibt ihn als so öde und langweilig, dass niemand Interessanter mehr für ihn arbeiten will.“

Ein Schönheitsfehler: Viele der bahnbrechenden Technologien, wie Internet und GPS, wurden für das US-Militär erfunden. Ist der Krieg also auch hier der Vater aller Dinge? Nein, wehrt die friedliebende Forscherin ab, es gäbe ja auch zivile Missionen wie den Kampf gegen den Klimawandel oder für die Gesundheit. Wenn sich nur die Pharmafirmen nicht so schrecklich parasitär verhielten.

Guter Staat, böser Markt? Was in ihrem polemisch zugespitzten Buch fehlt, ist jene Kehrseite, die Mazzucato plaudernd gern zugibt: die zahllosen Fälle, in denen staatlich gewollte Innovation schlimm scheitert. US-Patzer wie die peinliche Pleite des staatlich unterstützen Solarmodulbauers Solyndra. Die „dummen Kopien“ von Silicon Valley in den weltweiten Technologieparks. Das Debakel der Concorde oder das Schmalspurinternet Minitel in Frankreich. Die letztlich fatale Rolle des mächtigen Industrieministeriums in Japan. „Es gibt nichts in den Genen des öffentlichen Sektors, das ihn besser agieren ließe als den privaten. Beide machen oft viel Mist.“ Sie sei „die Erste, die sagt, dass vieles nicht so läuft“, wie sie es als Ideal beschreibt.

In zwei Welten zu Hause. Mazzucato wurde in Rom geboren, hat auch die Staatsbürgerschaft Italiens, ihre vier Kinder wachsen zweisprachig auf. Soeben ist sie aus den Dolomiten zurück, wo ihr Mann, ein italienischer Filmproduzent, gerade dreht. Sie kennt also Europa – und könnte auch über Deutschland schreiben, über das segensreiche Wirken des Fraunhofer-Instituts oder der Förderbank KfW. Oder über das Mindlab, eine dänische Brutstätte für Ideen. Fest steht aber auch: Viele Eurokrisenstaaten haben zu lang zu wenig in Innovation und damit ihre Produktivität investiert. Was Mazzucato ausblendet: dass sich der staatliche Sektor durch die ständig wachsenden Sozialausgaben dennoch weiter aufgebläht hat. Er ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Aber schwächer.

Doch selbst wenn der Staat in Innovation investiert, muss der Steuerzahler mit dem Scheitern teurer Träume leben – weil sich bei echter Unsicherheit kein Risiko abschätzen lässt. Es brauche aber Vertrauen, dass die Politik bereit und in der Lage ist, langfristige Strukturen aufzubauen. Und freilich hätte jemand wie Berlusconi dieses Vertrauen nicht verdient. Zu Österreich kann Mazzucato nichts sagen. Dieses Land kennt sie zu wenig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.