Plädoyer für die vernünftige Mitte

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Nach dem Anschlag auf »Charlie Hebdo« ist es Zeit, mit ein paar Klischees aufzuräumen. Muslime distanzieren sich mittlerweile deutlich von Extremisten, und auch die FPÖ beginnt zu differenzieren. Gut so.

Der radikal-islamistische Terrorismus beschäftigt und beunruhigt die Welt nicht erst seit vorgestern, sondern spätestens seit dem 11.September 2001. Alle Argumente scheinen ausgetauscht, die Debatten in einem Ritual erstarrt, das nach jedem Anschlag routiniert abgespult wird. Der ersten Empörung entspringen heftige Diskussionen, wie gewalttätig der Islam sei. Daraufhin erheben sich die Zeigefinger, die vor Islamophobie-Exzessen warnen. Wie das Amen im Gebet folgen publizistische Appelle an Europas muslimische Bevölkerung, sich doch endlich von Extremisten zu distanzieren. Dazwischen wird ausgiebig wehgeklagt über das Scheitern der Integration und über die „schrecklichen Vereinfacher“, die Überfremdungsängste in der Hoffnung auf ein paar Wählerstimmen instrumentalisierten. Und am Ende fordert die Polizei mehr Befugnisse.

In diesem Takt dreht sich das Debattenkarussell nach jedem Terroranschlag, so auch nach dem Attentat auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Doch hat wirklich niemand dazugelernt seit 2001?

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sich die Protagonisten des Diskurses nicht mehr ganz an die ihnen zugedachten Rollen halten. Europas Muslime schweigen längst nicht mehr, wenn radikale Extremisten im Namen des Islam Verbrechen verüben. In österreichischen Moscheen predigten am Freitag Vorbeter offen gegen den Terror. Auch in dieser Ausgabe der „Presse am Sonntag“ beziehen Muslime Stellung, mit offenem Auge für Problemlagen an den extremen Rändern ihrer Religionsgemeinschaft. „Apologetische Sätze wie jener, diese Anschläge hätten mit dem Islam nichts zu tun, helfen uns Muslimen nicht weiter“, schreibt Religionspädagoge Mouhanad Khorchide und ruft auf, Passagen im Koran, die Gewalt ansprechen, nicht auszublenden, sondern in den historischen Kontext zu setzen.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass Staaten wie Saudiarabien, das sich in Wien ein hübsches Dialogzentrum hält, die Todesstrafe für Glaubensabtrünnige in ihren Rechtssystemen legitimieren. Zugespitzt formuliert, legen Terroristen wie die Kouachi-Brüder diese rigide Auffassung des Koran in ihrer Form der Selbstjustiz bloß extensiver aus, nämlich auch auf Nichtmuslime.

Der Islam braucht eine Reform. Aufklären können sich die Muslime allerdings nur selbst. Das wird Zeit brauchen, so wie es auch in Europa gedauert hat, die Kirche einzuhegen. Für den Islam, mit seinem Vorrang der Scharia vor anderen Rechtsquellen, stellt die Trennung von Staat und Religion eine größere Herausforderung dar. Aber es ist machbar, und ausgehen kann eine solche Säkularisierung von europäischen Muslimen.


Pegida-Basis.Schwarzmalern zum Trotz belegt etwa eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass sich 90 Prozent der deutschen Muslime zu Demokratie und Grundwerten der Bundesrepublik bekennen. Gleichzeitig sind rund 60 Prozent der Nichtmuslime überzeugt, der Islam sei bedrohlich und passe nicht in die westliche Welt. Das Fundament einer Protestgruppe wie Pegida ist breiter, als deren selbstgerechte Verächtlichmacher wahrhaben. Wen kann es da wundern, dass eine Partei wie die FPÖ diese Sorgen aufnimmt und auch schürt. Doch auch die Freiheitlichen haben gelernt, differenzierter zu argumentierten, Parteichef Heinz-Christian Strache zumindest. Im Interview mit der „ZiB2“ unterschied er explizit zwischen normalen Muslimen und radikalen Islamisten. Das sind andere Töne als frühere Wahlkampfslogans wie „Daham statt Islam“.

Im Kampf gegen Extremisten kann die vernünftige Mitte nicht breit genug sein. Rechtskonservative müssen darin ebenso Platz finden wie Muslime. Gebaut sein sollte die Plattform aus festen Grundsätzen, nicht aus Kuschelformeln. Klare Kritik an radikalen Ausprägungen des Islam ist nötig. Wer aber polarisiert und Muslime pauschal schmäht, besorgt das Geschäft der Terroristen. Und wenn es die Mitte einer Gesellschaft einmal zerreißt, dann gute Nacht.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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