In einer der größten Kundgebungen in der französischen Geschichte haben am Sonntag bis zu eineinhalb Millionen Menschen in Paris der Opfer der islamistischen Anschläge der vergangenen Woche gedacht.
Schon Stunden vor dem großen Gedenkmarsch für die Opfer der islamistischen Anschlagsserie haben sich in Paris tausende Menschen versammelt. Zu dem "republikanischen Marsch" am Sonntag ab 15.00 Uhr kündigten sich neben der französischen Staats- und Regierungsspitze auch zahlreiche ihrer europäischen Kollegen sowie die EU-Spitze an. Der Schweigemarsch mit mehr als eineinhalb Millionen Menschen wurde von strengsten Sicherheitsvorkehrungen begleitet, 2200 Polizisten waren zusätzlich im Einsatz. Landesweit wurden mindestens 3,7 Millionen Demonstranten gezählt. Am Wiener Ballhausplatz wurde die Gedenkveranstaltung "Gemeinsam gegen den Terror" abgehalten.
Demonstranten schwenkten französische Fahnen und riefen immer wieder in Sprechchören: "Vive la France" und "Wir sind Charlie". Fast zeitgleich wurde im Internet ein Bekennervideo eines der Attentäter veröffentlicht. Darin erklärt er, die Anschläge auf das Satire-Blatt "Charlie Hebdo" und einen jüdischen Supermarkt seien koordiniert geplant worden. Bei den Angriffen waren 17 Menschen getötet worden, auch die drei Attentäter wurden erschossen.
"Unser ganzes Land wird aufstehen"
Angeführt wurde der Gedenkzug vom französischen Staatspräsidenten Francois Hollande. "Paris ist heute die Hauptstadt der Welt", sagte er in einer Kabinettssitzung vor Beginn des "Republikanischen Marschs". "Unser ganzes Land wird aufstehen und sich von seiner besten Seite zeigen." An Hollandes Seite waren untergehakt unter anderem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sehen - alle in schwarz gekleidet.
Insgesamt hatten sich 44 Staats- und Regierungschefs angesagt, unter ihnen der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Österreich war durch Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ), Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) vertreten. Die meisten Staats-und Regierungschefs verließen die Kundgebung nach einer Viertelstunde wieder. Hollande blieb an Ort und Stelle.
Das französische Fernsehen sprach von der größten Kundgebung in Paris seit dem Ende zweiten Weltkriegs. "Ich bin hier, um zu zeigen, dass die Terroristen nicht gewonnen haben" sagte die 34-jährige Franko-Marokkanerin Zakaria Moumni. "Im Gegenteil sie bringen die Menschen aller Religionen zusammen". Auf einem handgeschriebenen Plakat war ein Zitat von Thomas Jefferson zu lesen: "Unsere Freiheit beginnt mit der Freiheit der Presse".
Neben französischen wurden zum Gedenken an die bei der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt umgekommenen Menschen auch israelische Flaggen geschwenkt. Auf Transparenten hieß es: "Freiheit - Wir sind deinetwegen hier" oder "Charlie Akbar" - in Anspielung auf das islamische Glaubensbekenntnis "Allah ist groß".
Frankreichs Präsident François Hollande sagte am Mittag, "das ganze Land" werde aufstehen für seine Werte. "Paris ist heute die Hauptstadt der Welt", fügte er bei einem Ministertreffen im Elysee-Palast nach Angaben aus seinem Umfeld hinzu.
Der Anschlag
Bei einem Anschlag islamistischer Extremisten auf die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" starben am Mittwoch zwölf Personen.
Die Attentäter verschanzten sich am Freitag in einer Druckerei nördlich von Paris, eine Geisel ließen sie rasch frei. Parallel dazu brachte ein Verbündeter in einem koscheren Supermarkt im Osten der Hauptstadt zahlreiche Menschen in seine Gewalt und tötet vier von ihnen. Bereits am Donnerstag soll dieser eine Polizistin erschossen haben.
Die Polizei griff am späten Nachmittag ein, alle drei Attentäter wurden getötet, die Geiseln konnten befreit werden.
Gedenkfeier am Wiener Ballhausplatz
Über 10.000 Menschen haben am Sonntag im Rahmen der Gedenkveranstaltung "Gemeinsam gegen den Terror" der Opfer der Terrorattacken in Paris gedacht. Die Kundgebung fand auf Initiative der Bundesregierung zusammen mit Vertretern aller Glaubensgemeinschaften statt. Die Politik war mit zahlreichen Amtsträgern vertreten, allen voran Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Ebenfalls anwesend waren die höchsten Vertreter sämtlicher Religionsgemeinschaften.
Im Zuge der Veranstaltung sang der Chor der Wiener Staatsoper, Ensemble-Mitglieder des Burgtheaters trugen Texte vor. Weiters wurde eine Proklamation der Bundesregierung verlesen und eine Schweigeminute im Gedenken an die 17 Opfer der Pariser Attentate abgehalten.
Komplizin "wahrscheinlich" inzwischen in Syrien
Die gesuchte Partnerin des von der Polizei erschossenen islamistischen Geiselnehmers Amedy Coulibaly ist nach Angaben aus türkischen Sicherheitskreisen bereits am 2. Jänner in die Türkei eingereist. Hayat Boumeddiene halte sich "wahrscheinlich" inzwischen in Syrien auf. Der 26-jährigen wurde an sich die Beteiligung an einem tödlichen Attentat auf eine Polizistin im Süden von Paris vorgeworfen.
"Wir denken, sie war in Urfa eine Woche später, aber es gibt dafür keine Beweise. Die Verdächtige ist seither wahrscheinlich in Syrien", schreibt die Nachrichtenagentur AFPn. Urfa ist die Hauptstadt der türkischen Provinz Sanliurfa im Südosten der Türkei.
Versagen der französischen Geheimdienste
Zuvor hatte bereits ein französischer Polizeivertreter der AFP gesagt, Boumeddiene sei schon "seit einer gewissen Zeit" in der Türkei. Nach Angaben aus türkischen Sicherheitskreisen führte offenbar Versagen der französischen Geheimdienste dazu, dass Boumeddiene in der Türkei nicht festgenommen wurde: Die Verdächtige sei nicht aufgehalten worden, weil die Behörden in Ankara aus Paris keine Hinweise auf die Gefährlichkeit der jungen Frau erhalten hätten.
"Es gab keinen Austausch von Geheimdienstinformationen", andernfalls "hätten wir sie ausliefern können", sagte die Quelle. Boumeddiene wird als mögliche Mittäterin bei zwei Verbrechen ihres Lebenspartners Coulibaly gesucht: den tödlichen Schüssen auf eine Polizistin in Montrouge südlich von Paris am Donnerstag und der tödlichen Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt am Freitag.
Coulibaly kannte einen der Angreifer auf die Redaktion der Satirezeitung "Charlie Hebdo" und hatte seine Angriffe nach eigenen Angaben mit den "Charlie Hebdo"-Attentätern abgestimmt.
Als Konsequenz aus den Anschlägen wollen die EU-Staaten den Austausch über die Reisebewegungen von Jihadisten verbessern. Im Schengener Informationssystem soll etwa künftig eingetragen werden, wenn ein mutmaßlicher islamistischer Kämpfer aus Europa die Außengrenzen überschreitet und etwa aus Syrien und den Irak zurückkehrt, wie aus einer Erklärung der Innenminister in Paris hervorgeht. Auch soll die Zusammenarbeit mit Ziel- und Transitländern verbessert werden. Viele "forein fighters" nutzen etwa die Türkei, um von Europa in den Krieg zu ziehen.
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(APA)