Israel: „Eine klare Kapitulation vor dem Terror“

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Der Aufruf von Premier Netanjahu an französische Juden, nach Israel zu emigrieren, sorgt für scharfe Kritik. Frankreichs Präsident, Hollande, wollte ihn zuvor noch davon abhalten, zum Schweigemarsch nach Paris zu kommen.

Jerusalem. Die vier Terroropfer aus dem koscheren Supermarkt in Paris sollen in Israel beerdigt werden. Die Trauerfeiern sind für heute, Dienstag, am Mittag in Jerusalem geplant, im Beisein von Staatspräsident Reuven Rivlin und Regierungsvertretern. Der Appell von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an die jüdische Gemeinde in Paris, nach Israel zu emigrieren, löste in Frankreich wie auch in Israel Unmut aus. „Antisemitismus ist nicht unser Partner“, warnte Natan Scharansky, Chef der Jewish Agency. Zum jetzigen Zeitpunkt könne Netanjahu „die Franzosen vor den Kopf stoßen“.

Schon vor den Anschlägen letzte Woche in Paris war die Zahl der Franzosen, die nach Israel auswandern, im letzten Jahr auf über 6000 und damit auf rund das Doppelte vom Vorjahr gestiegen. Noch vor einem Monat hatte der 21-jährige Student Yoav Chattab, der zu den Todesopfern gehört, Israel besucht. Er habe fließend Hebräisch gesprochen, berichten Freunde. Die französischen Juden machen inzwischen die größte Einwanderergruppe in Israel aus, obschon auch die Zahl der Juden aus der Ukraine 2014 stark zugenommen hat.

Als hätte Frankreichs Präsident, François Hollande, geahnt, dass Netanjahu die Gelegenheit nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen würde, kam im Vorfeld der großen Solidaritätsveranstaltung die Bitte an Jerusalem, Netanjahu solle nicht nach Paris kommen. Berichten von Channel 2 und der liberalen „Haaretz“ zufolge, lautete die offizielle Begründung, man wolle verhindern, dass die Aufmerksamkeit auf kontroverse Themen abgelenkt werde. Dazu gehöre der israelisch-palästinensische Konflikt.

Eine ähnliche Aufforderung soll auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas erhalten haben. „Haaretz“ beruft sich auf Israels nationalen Sicherheitsberater Jossi Cohen. Als Netanjahu dennoch sein Kommen angekündigt hat, sei auch Abbas eingeladen worden.

Gefühl der Unsicherheit

Mit gut einer halben Million Mitgliedern stellt Frankreich nach den USA und Israel die größte jüdische Gemeinde. Die zumeist aus Nordafrika stammenden Familien fühlen sich immer weniger sicher, antisemitische Übergriffe nehmen zu. Zuletzt starben im März vor drei Jahren vier Menschen bei einem Überfall mit Schusswaffen auf eine jüdische Schule in Toulouse. Inzwischen sind mehrere Tausend Wachmänner an jüdischen Einrichtungen postiert.

„Jerusalem ist auch nicht sicherer als Paris“, warnt ein Kommentar in der „Times of Israel“. Wer von Paris nach Jerusalem übersiedele, um dem Terror zu entkommen, „ersetzt eine Gefahr durch die andere“, heißt es.

Bürgermeister Nir Barkat freut sich hingegen schon auf die zu erwartenden Neubürger. „Brüder und Schwestern“, so verkündete er, „unsere Tore stehen euch offen“. In der Eingangshalle vom Rathaus soll eigens ein Stand errichtet werden, wo „Französisch sprechende Freiwillige den Immigranten bei Problemen der Integration helfen werden“.

Chemi Shalev von der „Haaretz“ nennt die israelische Kampagne eine „klare Kapitulation vor dem Terror“. Die Ermutigung zur Massenemigration helfe den „terroristischen Fanatikern, die Aufgabe zu erledigen, die die Nazis und ihre Vichy-Kollaborateure einst in Angriff nahmen: Frankreich judenrein zu machen“.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2015)

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