Radikales und Subtiles

Der Flächenbrand in der islamischen Welt produziert bei uns im Schnellverfahren immer mehr Möchtegern-Islamexperten.

Zuletzt haben sich die Anti-Islam-Texte in österreichischen Zeitungen wieder gehäuft (siehe etwa das „Spectrum“ vom 3.1., „Die Sache des Leviathan“). Mit wenig Recherche und vielen Vorurteilen wird da Meinung produziert und verbreitet, Sachkenntnis scheint nicht vonnöten. Leider häufen sich nicht in gleicher Zahl die Gegenstimmen, Islamverbände und muslimische Kommentatoren des Landes sind es anscheinend leid, den immer gleichen Anschuldigungen gegen ihren Glauben zu begegnen.

Als Kronzeugen der Inkompetenz werden gern bekennende Islamgegner herangezogen (Leon de Winter, Peter Sloterdijk, Hamed Abdel-Samad). Zitate von ihnen dienen als Beleg für Behauptungen, die eine ganze Religion samt allen Gläubigen diffamieren.

Wo andere überrascht sind, sieht man im „Kurier“ Zusammenhänge (5.1.): „Wieso man sich über die Grausamkeiten von al-Qaida, des IS, Boko Haram usw. wundert, ist erstaunlich: Sie agieren nicht anders als Mohammed.“ Dabei wird ignoriert, dass von der Al-Azhar-Universität abwärts führende islamische Institutionen der Welt erklärten, dass der Terror dieser Gruppen nichts mit ihrem Propheten und ihrer Religion zu tun hat.

Weiters wird da behauptet: „Der Islam enthält demokratie- und menschenrechtsfeindliche, faschistische Tendenzen.“ Das kann auch für andere Religionen gelten. Entscheidend ist, wie die jeweiligen heiligen Texte politisch umgesetzt werden. Die vier Rechtsschulen bieten ausreichend Raum, Islam mit Demokratie zu verbinden, und eine überwältigende Anzahl von Muslimen und Musliminnen in aller Welt wünscht sich nichts sehnlicher als Demokratie, wie der Arabische Frühling gezeigt hat.

 

Ruf nach reformiertem Islam

Auch wenn dieser nun leider im Blut der Gegenrevolutionen erstarrt – es wird ein neuer Frühling kommen. Und die Rufe nach Mitbestimmung, Menschenwürde und Teilhabe werden wieder ertönen.

Radikal wird im „Spectrum“ die Forderung erhoben: „Ein europäischer Islam beziehungsweise ein reformierter Islam müsse zumindest eine radikale Reform der Scharia respektive deren Abschaffung vornehmen, also nichts Geringeres als eine grundlegende Religionsreform.“ Da der Satz sich als bar jeglicher Kenntnis dessen erweist, was Scharia ist, sei auf Thomas Bauers Buch „Die Kultur der Ambiguität“ verwiesen, aus dem hervorgeht, dass Reform, Verschiedenheit und auch Widersprüchlichkeit der Deutungen – eben Ambiguität – in der Theologie selbst angelegt sind und in allen vier Rechtsschulen auch gelebt werden.

Subtiler geht Christian Ortner in der „Wiener Zeitung“ ans Werk (26.12. 2014): Er differenziert. Er wirft nicht alle in einen Topf. Er weiß, dass die muslimische Mehrheit mit IS und Konsorten nichts am Hut hat. Da vergleicht er sie eben mit den Mitläufern des Nazi-Regimes. Es seien „auch die meisten Chinesen im Maoismus, Russen im Stalinismus und wohl sogar Deutschen im Nationalsozialismus keine blutrünstigen Bestien“ gewesen. Die „schweigende Mehrheit“ sei „letztlich mehr Teil des Problems als der Lösung“. Eine solche Gleichsetzung friedliebender Gläubiger mit dem menschenverachtendsten Regime aller Zeiten erscheint besonders erbärmlich.

Ingrid Thurner ist Ethnologin, Publizistin und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2015)


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