Und plötzlich wurden sie nicht mehr überwacht

Amedy Coulibaly wurde nach seiner Entlassung anscheinend nicht mehr überwacht.
Amedy Coulibaly wurde nach seiner Entlassung anscheinend nicht mehr überwacht.(c) APA/EPA/HO
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Jeder Schritt, jede Reise der drei Paris-Attentäter wurde teils bis ins Jahr 2014 dokumentiert. Danach verliert sich die Spur ohne offensichtlichen Grund.

Eine Woche nach den blutigen Terroranschlägen von Paris herrscht weiter Entsetzen darüber, dass die eigentlich amtsbekannten Attentäter, die Polizei derartig überrumpeln konnten. Das Aufdeckungsportal "Mediapart" zeichnet in einem am Dienstag publizierten Artikel die Überwachung durch die französischen Geheimdienste detailliert nach. Erschreckend ist vor allem der Fall des dritten Attentäters.

Denn Amedy Coulibaly, der am Donnerstag vergangene Woche eine Polizistin erschoss und am Freitag in einem koscheren Supermarkt zahlreich Geiseln in seine Gewalt brachte und vier von ihnen tötete, wurde bereits im Dezember 2013 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Justiz hielt ihn damals für schuldig, an einem Befreiungsversuch für ein Mitglied einer terroristischen Gruppe beteiligt gewesen zu sein. Weil er bereits drei Jahre in Untersuchungshaft verbracht hatte und ihm ein Teil der Strafe erlassen wurde, kam er im März 2014 frei.

Fußfessel, danach endet die Spur

Bis Mai 2014 musste er zwar elektronische Fußfesseln tragen, verschwand danach aber völlig vom Radar der Geheimdienste. Was "Mediapart" zur Vermutung veranlasst, diese könnten möglicherweise gar nicht von seiner vorzeitigen Entlassung informiert worden sein.

Denn vor seiner Haft stand Coulibaly wegen möglicher Verwicklungen in rund einem Dutzend Fällen unter genauer Beobachtung der Nachrichtendienste. Eine französische Terrorsondereinheit charakterisierte ihn im Mai 2010 als "strengen Islamisten". Ermittlungen hatten damals gezeigt, dass er unter direktem Einfluss des bekannten Islamisten Djamel Beghal stand und dieser ihm sogar verboten hatte, wählen zu gehen. Zudem wurden bereits damals 240 Kartuschen Munition sowie eine Kalaschnikow in seiner Wohnung sichergestellt - nach den Anschlägen vergangene Woche war es ein ganzes Waffenarsenal.

Ähnlich rätselhaft - wenn auch schon besser bekannt - ist der Fall der Kouachi-Brüder, die beim Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" vergangenen Mittwoch zwölf Menschen töteten. Cherif war bereits im 2008 wegen Mitgliedschaft im Terrornetzwerk "Buttes-Chaumont" und Kampftätigkeit im Irak verurteilt und 2010 ebenfalls verdächtigt - wenn auch nicht verurteilt - worden, an einem Befreiungsversuch für einen radikalen Islamisten beteiligt gewesen zu sein. Im Oktober 2011 informierte der US-Geheimdienst seine französischen Kollegen, eine Person habe in einem Internetcafé, nicht weit von Cherifs Wohnsitz entfernt, Kontakt zu einem Mitglied der al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) aufgenommen. Dass es sich dabei um Cherif handelte, konnte nicht bewiesen werden, dennoch überwachten die Franzosen zwischen Dezember 2011 und 2013 seine Kommunikation.

Überwachung eingestellt

Wiederum vom US-Geheimdienst kommt im November 2011 die Nachricht, Cherifs älterer Bruder Said, habe sich zwischen 25. Juli und 15. August mit einer zweiten Person im Oman aufgehalten. Es bestehe zudem die Wahrscheinlichkeit einer heimlichen Reise in den Jemen. Die französischen Sicherheitsbehörden überwachen ihn daraufhin 2012 acht Monate telefonisch, vier Monate davon auch physisch. 2013 führen sie die telefonische Überwachung für zwei Monate fort, bis diese eingestellt wird.

Im Februar 2014 erhalten die Franzosen eine Zeugenaussage, die Saids Reise in den Oman bestätigt, erneut wird seine Kommunikation für fünf Monate aufgezeichnet. Im Juni 2014 stellen die Behörden ihre Überwachungstätigkeit schließlich völlig ein. Aus Mangel an Beweisen, die auf eine Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation oder ein geplantes Attentat hindeuten würden.

Womit die Frage bleibt, ob sich das Brüderpaar tatsächlich vom islamischen Extremismus abwendet um sich ab Sommer 2014 erneut zu radikalisieren. Oder ob sie die Behörden täuschen konnten und möglicherweise ein abhörsicheres Kommunikationsmittel - etwa via Internet - gefunden hatten.

Munition aus Bosnien

Die im Terrorangriff auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" verwendete Munition dürfte aus Bosnien stammen. Der stellvertretende bosnische Verteidigungsminister, Zivko Marjanac, bestätigte dies am Dienstag gegenüber dem regionalen TV-Sender N1 unter dem Hinweis auf eine nach dem Angriff in Paris sichergestellte Patronenhülle.

Die Patrone war demnach 1986 in einem Munitionsbetrieb im bosnischen Konjic hergestellt worden. Solche Munition würde sich laut Marjanac derzeit sowohl in den Lagerstätten der bosnischen Streitkräfte wie auch in vielen Haushalten, die im Besitz von Waffen sind, befinden.

In den Lagerstätten der Streitkräfte würden derzeit Waffen und sonstige technische Mittel gezählt. Dies soll laut Marjanac zeigen, ob der wahre Bestand jenem in den Militärunterlagen entspricht.

Aus einem Militärstützpunkt unweit von Banja Luka wurden im Vorjahr 600 Granatenfüllungen entwendet. Zwei Angehörige der Streitkräfte wurden daraufhin vom Amt suspendiert.

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(APA)

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