Pegida: „Wir haben die Schnauze voll“

Supporters of anti-immigration movement Patriotic Europeans Against the Islamisation of the West (PEGIDA) hold flags during a demonstration in Dresden
Supporters of anti-immigration movement Patriotic Europeans Against the Islamisation of the West (PEGIDA) hold flags during a demonstration in Dresden(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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In Dresden sammelt die Bürgerbewegung mit ihrem diffusen Protest weitere Anhänger. Aber sie polarisiert auch immer stärker – sogar in Sachsen.

Über der Cockerwiese, im Andenken an ein legendäres Konzert des jüngst verstorbenen Rockers Joe Cocker zu DDR-Zeiten benannt, wogt ein Fahnenmeer aus Schwarz-Rot-Gold, versprengt mit den weiß-grünen Bannern des Freistaats Sachsen und den gelb-schwarzen des Vogtlands. Schwarze Transparente mit weißen Kreuzen erinnern an die Pariser Terroropfer, dazwischen zeigt sich auf Plakaten Häme für die Kanzlerin: Angela Merkel im Kopftuch, die ihre Bürger „auf die Schlachtbank Allahs“ führt. „Multi-Kulti stoppen, meine Heimat bleibt deutsch“, lautet eine Parole.

Hier, am Rande der Dresdener Innenstadt, in der Nähe des Fußballstadions des einstigen DDR-Großklubs Dynamo, sammeln sich Montag für Montag die Demonstranten der Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) zum „Abendspaziergang“. Und jede Woche nimmt die Menge der „Wutbürger“ in der Stadt Erich Kästners zu, trotz – oder vielleicht gerade wegen – der Appelle diverser Politiker, die Kundgebung abzusagen, kamen vorgestern 25.000 Menschen in der Nähe des Elbufers zusammen: Ein neuer Rekord, wie Organisator Lutz Bachmann, der Pegida-Initiator, der die Bewegung mit einem Facebook-Eintrag aus Zorn über deutsche Waffenlieferungen an die PKK im Kampf gegen die IS-Jihadisten gegründet hatte, stolz verkündete.

„Ende der Kriegstreiberei“

Ralf Halme steht am Rand, als sich der Protestmarsch zum zwölften Mal seit seiner Premiere im Oktober in Bewegung setzt. Er nickt, er klatscht, er fällt in den Chor „Wir sind das Volk“ ein, erst verhalten, später inbrünstig: Das Sechs-Punkte-Programm Bachmanns, das unter anderem ein neues Zuwanderungsgesetz, die Pflicht zur Integration, die Ausweisung von Islamisten, Volksentscheide und ein „Ende der Kriegstreiberei“ postuliert, findet seine hundertprozentige Zustimmung. „Ich hab es satt, von Gauck und Merkel ins rechte Ecke gestellt zu werden“, sagt der 53-jährige Elektriker, ein ehemaliger FDP-Wähler, der sich als „fleißig“ beschreibt.

In ihren Ansprachen zum Jahreswechsel hatten Präsident und Kanzlerin scharf vor den „Hetzern“ der Pegida gewarnt, und am Dienstagabend beschwor Joachim Gauck bei der Mahnwache vor Frankreichs Botschaft, auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin, im Beisein der Kanzlerin und der Regierung neuerlich Toleranz und Religionsfreiheit. Mehr als 400.000 Deutsche unterschrieben schon die Petition „Für ein buntes Deutschland“, am Montag formierte sich in vielen Städten erneut Widerstand. Allein in Leipzig zogen, ausgehend von der Nikolaikirche, 30.000 Menschen auf die Straße.

Gegner greifen zum Spott

Vielerorts schlägt Pegida Hass entgegen, sie polarisiert Deutschland. Auf die Halfpipe des Skateparks auf der Cockerwiese hat ein Gegner „Fuck Pegida“ gesprayt. Und hinter den Barrikaden, in Schach gehalten von Hundertschaften an Polizisten, skandieren die Gegendemonstranten in Dresden Parolen wie: „Dumpf, brutal, national“.

Ein orange gekleideter Esel hampelt neben dem Demonstrationszug über den Ring und den Altmarkt herum, um sich so über die „Mitläufer“ zu mokieren. Bis zum 70. Jahrestag der Luftangriffe der Alliierten auf Dresden in einem Monat – seit der Wende 1989 eine ritualisierte Konfrontation zwischen rechter und linker Szene – werden sich die Emotionen weiter aufschaukeln. „Ihr habt den Krieg verloren“, skandiert eine Gruppe Vermummter – und die Pegida-Anhänger lachen darüber. „Natürlich mischen sich auch Neonazis unter die Menge“, gibt Werner, ein Pegida-Sympathisant der ersten Stunde, zu. „Aber sie werden nicht aktiv.“

Ralf Halme ist dagegen zum ersten Mal beim Marsch durch die Dresdner Innenstadt dabei. „Ich habe immer nur zu Hause geschimpft. Ich musste endlich was tun“, erzählt der Pegida-Debütant über seinen Impetus. „Ich wollte mir das einmal angucken. Das nächste Mal bringe ich meine Frau, den Sohn und die Oma mit.“

Endlich ein Sprachrohr

Endlich fühlt er sich verstanden, hat eine Stimme, ein Sprachrohr gefunden, die seine diffusen Gefühle und Sorgen bündelt. Dabei treibt ihn weniger die Angst vor der Überfremdung: „Zu meinen Freunden und Nachbarn zählen Russen und Vietnamesen.“ Aber: „Was hatte die Bundeswehr in Afghanistan zu suchen? Da wurde nur unser Geld verbrannt.“ Die Devise „Es reicht“, formuliert auf einem Pappkarton, bringt auch seinen Unmut gegen Missstände in Staat und Gesellschaft auf den Punkt. Gerade im konservativ regierten Sachsen breitet sich das populistische Phänomen aus. Bei der Landtagswahl vor einem halben Jahr blieben über die Hälfte der Wähler fern. „Die entscheiden über unseren Kopf hinweg“, lautet der Tenor in der anonymen Masse, die sich von Pegida vertreten fühlt. Die Wutbürger-Bewegung hat eine Ventilfunktion, die den ganzen Frust freisetzt.

Halme ist einer der wenigen, die sich mit vollem Namen zitieren lassen. Bei den Pegida-Aktivisten, meist Männer aller Altersschichten, kocht die Wut über die „Lügenpresse, von Bachmann und Co. eifrig geschürt“. Die meisten, vor allem die Jüngeren, verweigern Auskunft über ihre Motive. Nicht so die zwei Rentner Ende siebzig, die über „Großkapitalisten“ und Konzerne wettern, über die Kanzlerin, die „Duckmäuser“ und „Arschkriecher“ – und besonders über die Amerikaner, deren „Profitgier“ und ihre „feigen Kriege“. „Wir haben die Schnauze voll.“ Im Übrigen hätten sie Jörg Haider ganz toll gefunden, merken sie als Aperçu an.

Beide – der eine ein Exwähler der Linkspartei, der andere einst einer der Republikaner – haben als Kinder die Bombardierung Dresdens in der Nacht auf den 14. Februar 1945 durch die Royal Air Force erlebt, ihr Hass auch auf die USA sitzt weiterhin tief. Dass die DDR heute nur schlechtgeredet werde, störe sie. „Eine Rentnerin mit 700 Euro Pension kann sich in Dresden keine Wohnung mehr leisten.“ Wie viele andere irritiert sie auch die „Kriegstreiberei“ gegen Moskau. „Zusammen mit Russland und der EU könnten wir doch eine wirtschaftliche Weltmacht sein“, meint Werner, der vor 25 Jahren mitmarschierte, als es gegen DDR-Regime und Stasi ging. „Wir lassen uns nicht den Mund verbieten wie zu DDR-Zeiten. Wie damals leben die Politiker doch auf einer Wolke.“

Den Taxifahrer, mit einem Ohr am Volk, treibt die Angst vor der Scharia, der Einführung des islamischen Rechts in Deutschland, vor einer angeblich schleichenden Islamisierung und Parallelgesellschaften um, wie sie in Berlin bereits existieren. „Ich will nicht, dass meine Enkelin Burka trägt. Sie soll das Recht haben, Minirock und Bikini anzuziehen.“ Der 52-Jährige Ex-FDP-Wähler, ein Fan des per Fallschirm in den Freitod gesprungenen populistischen Ex-Ministers Jürgen Möllemann, der sich selbst als bürgerlich definiert, plädiert für die Wiederkehr der D-Mark. Und berichtet von Westdeutschen, die in der Rente nach Sachsen ziehen. „Weil Dresden eine deutsche Stadt ist – und das soll so bleiben.“

„Wir sind das Volk, wir kommen wieder“

Am Ende reckt Werner, ein Fan der Thesen Thilo Sarrazins, mit 25.000 Gleichgesinnten sein Handy in den Nachthimmel, damit „denen da oben ein Licht aufgeht“, wie Bachmann spottet. „Dresden zeigt, wie's geht“, brüllt er in die Menge. „Wir haben eine Menge Staub aufgewirbelt.“ Aggression liegt in der Luft, wenn seine Mitstreiter „Wir sind das Volk“ skandieren. „Wir kommen wieder.“

AUF EINEN BLICK

Die Bewegung Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) entstand vorigen Oktober aus einer Facebook-Gruppe, die unter anderem aus Protest gegen deutsche Waffenlieferungen an Kurden und die vorgeblich drohende Islamisierung Europas in Deutschland gegründet wurde. Seither ruft ihre Führungsfigur, Lutz Bachmann (*1973 in Dresden), wöchentlich zu Abendspaziergängen primär in Dresden, aber auch anderen deutschen Städten auf und stellt sie in die Tradition der „Montagsdemonstrationen“, die 1989/1990 das Ende der DDR einläuteten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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