Biografie: Brechts Liebe zu Männern aus Stahl

Brecht
Brecht(c) Wikipedia
  • Drucken

Stephen Parkers voluminöse Biografie Bertolt Brechts ist voller Empathie geschrieben. Sie birgt auch Überraschungen, vor allem aus der Jugend des Dichters.

Im Jahre 1913 schreibt ein 15-Jähriger in der Augsburger Schülerzeitung „Die Ernte“ ein Gedicht über die Völkerschlacht von Leipzig, in der Napoleon hundert Jahre zuvor besiegt worden war. Zum 100. Jubiläum wurde damals bei Leipzig das Völkerschlachtdenkmal errichtet. Auch der Schüler in Augsburg ließ sich vom Patriotismus anstecken. Die Deutschen sind in seinem Gedicht „1813“ die Helden. Er schreibt in dem hektografierten Heft noch ein zweites Poem: In „1913“ fordert er seine Landsleute auf, sich am einstigen Heroismus ein Beispiel zu nehmen. Jetzt, da erneut alle Welt gegen die Deutschen stehe, brauchten sie echte Männer aus Eisen und Stahl.

Wer hat diese Texte geschrieben? Ein Feind der Franzosen? Ein Deutschnationaler? Der britische Germanist Stephen Parker hat tief gegraben in Archiven von Augsburg bis Berlin, hat viel an nicht Veröffentlichtem studiert. Er glaubt nun, den Autor anhand von dessen eigenen Aufzeichnungen eindeutig identifiziert zu haben: Es ist der Dichter Bertolt Brecht (1898–1956), der damals seine ersten literarischen Versuche publizierte. Brecht schwärmte für Wedekind, für Poètes maudits und den elitären Stefan George, er schätzte die Naturalisten wie auch die Balladen des britischen Patrioten Rudyard Kipling. In einem Aufsatz verteidigte er den berühmten Gerhart Hauptmann, der von anderen Kritikern dafür gescholten worden war, dass er über die Befreiungskriege von 1813 zu wenig nationalistisch geschrieben habe.

Ein Fan der Abenteuer von Karl May

Zwar wusste man schon bisher, dass Brecht als treibende Kraft der „Ernte“ den Großteil der Texte beisteuerte, auch unter Pseudonymen, aber Parker kann aus Tagebüchern exakt auf die Autorschaft einzelner Texte schließen. Die archäologische Arbeitsweise ist typisch für Parkers auf Englisch erschienene, voluminöse Biografie „Bertolt Brecht. A Literary Life“ (Bloomsbury 2014, 690 Seiten, 30 £). Der Professor der University of Manchester schreibt voll Empathie, aber ohne in alte Klischees zu verfallen. Die letzte große Brecht-Biografie eines Briten ist vor 20 Jahren erschienen: John Fuegi hat in „Brecht & Company“ vor allem dargestellt, wie sehr der wohl bedeutendste deutsche Dramatiker des 20. Jahrhundert andere für sich arbeiten ließ – Frauen aus seinem Umfeld, die er zu willigen Zulieferern von Texten und zugleich zu seinen Geliebten machte. Auch Parker nutzt neuestes Material, etwa zu Elisabeth Hauptmann oder Helene Weigel, aber im Vergleich zu Fuegis anklägerischen Enthüllungen wirken seine Schlüsse ausgewogen. Er macht seinen Lesern den Meister des epischen Theaters und den großen Lyriker begreifbar. Ihm reicht auch nicht die bequeme alte Ikone, er will den komplexen, sensiblen Charakter dahinter begreifen helfen.

Parker geht ausgiebig auf Kindheit und Jugend in Augsburg ein, auf Brechts Vorliebe für Karl Mays Abenteuerromane, die er vor seinen Spielkameraden ausgiebig auswendig rezitierte, und auf Spiele mit hunderten Zinnsoldaten, zu deren Schlachten das Kind Geschichten erfand, auf die kränkelnde Mutter, den aufstrebenden Vater, der eine Papiermühle leitete, vor allem aber auf die Cliquen, welche der stets die Dominanz fordernde Eugen B. Brecht um sich scharte. Streckenweise liest sich das Buch wie eine Krankengeschichte (Herzschwäche, Nierensteine), inklusive Psychologie. Der Erste Weltkrieg, in dessen Endphase der Medizinstudent in Augsburg als Sanitätssoldat diente, wird als traumatisch dargestellt, in einer für seine Dichtung prägenden Zeit. Daraus kann man auch den Zynismus und die Kälte ableiten, mit denen Brecht sich künftig wappnete.

Nach kurzem Flirt mit der Revolution in Bayern 1918/19 revolutionierte Brecht das Theater. Bald wurde er eine Berühmtheit in der Hauptstadt Berlin, aus der er nach der Machtübernahme durch die Nazis floh. Für Parker war er ein „marxistischer Häretiker“. Das ist im Buch am besten in der Spätphase nachzuvollziehen, als Weigel und der Dichter in der DDR das Berliner Ensemble etablierten. Auch darüber erfährt man hier viel in frischem Kontext. Brechts Kampf blieb ein anarchisch-beherzter bis zum Schluss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.