Zum Abbas-Empfang ließ der Staatschef Soldaten in historischer Kriegermontur aufmarschieren und plädierte für eine Rückbesinnung auf die Geschichte. Kritiker sehen das als ein weiteres Zeichen für seine Großmannssucht.
Istanbul. Lanzen, Schwerter und angeklebte Schnurrbärte: Was die Zurschaustellung von Großmachtambitionen angeht, sind die Türken seit dem Bau des neuen Präsidentenpalasts in Ankara von Recep Tayyip Erdoğan einiges gewohnt. Doch was sich jetzt abspielte, überraschte selbst die schärfsten Kritiker des 60-jährigen Staatschefs.
Beim Empfang von Palästinenserpräsident Mahmut Abbas ließ Erdoğan zum Fototermin auf einer Treppe seines Palasts 16 Soldaten in historischen Gewändern antreten. Die Krieger sollten 16 Reiche der anatolischen Geschichte symbolisieren. Doch die Wirkung des Auftritts der finster dreinschauenden Kämpfer mit ihren Waffen, Kettenhemden und Rüstungen wirkte bizarr – Kritiker auf Twitter sprachen von einem „Zirkus“.
Das lag nicht zuletzt an den Gewändern, von denen einige aussahen, als seien sie von einem mittelmäßigen Kostümverleih geliefert worden. Er habe zuerst an eine Montage und einen Witz geglaubt, als er die Fotos aus dem Palast gesehen habe, schrieb der Journalist Hakan Aksay in einem Beitrag für das Nachrichtenportal T24.
Gegner werfen dem Staatspräsidenten spätestens seit der Einweihung seines Amtssitzes mit seinen 1150 Zimmern wachsende Großmannssucht vor. Eine halbe Milliarde Euro hat der Palast gekostet, viele weitere Millionen aus Steuergeldern gab Erdoğan für ein neues Dienstflugzeug aus.
Erdoğan will den Palast und den Aufmarsch der Kostümsoldaten als Zeichen einer „neuen Türkei“ verstanden wissen, die er seit seiner Wahl zum Präsidenten im vergangenen August propagiert. Zur neuen Türkei gehört der Anspruch auf eine regionale Führungsrolle und die Rückbesinnung auf die Geschichte vor der Gründung der säkularen Republik im Jahr 1923. Die Soldaten auf Erdoğans Treppe standen unter anderem für die Hunnen, die Seldschuken und die Osmanen – bis ins Jahr 200 vor Christus gingen die von den bunten Kriegern dargestellten Reiche zurück.
16 Sterne auf dem Wappen
Erfunden hat Erdoğan diese Bezugnahme auf die Vergangenheit nicht. Schon lange zeigt das offizielle Wappen des türkischen Präsidialamts 16 Sterne, die für die jetzt von Erdoğan auf der Treppe dargestellten Reiche stehen.
Bezeichnenderweise fehlen bei dieser Historienschau einige wichtige Zeitalter der anatolischen Geschichte. Kein Stern im Wappen und kein Soldat auf der Treppe stand für das – christliche – Byzantiner-Reich, das immerhin 1000 Jahre lang vom heutigen Istanbul aus große Teile Anatoliens beherrschte. Auch die Zeit der griechischen Antike sucht man vergeblich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)