Belgien: Zwei Tote bei Anti-Terror-Aktion

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Bei einer Aktion im ostbelgischen Verviers wurden zwei jugendliche
Syrien-Rückkehrer getötet und 13 Menschen festgenommen. Sie wollten laut Staatsanwaltschaft „große Anschläge“ verüben.

Wien/Verviers/Brüssel. Acht Tage nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hält die Angst vor dem Terror Europa weiter in Atem: Die belgische Polizei hat am gestrigen Donnerstagnachmittag in Verviers im Osten des Landes, der Haupstadt Brüssel und weiteren Städten eine konzertierte Anti-Terror-Aktion gestartet. In Verviers nahe der deutschen Grenze wurden bei einer Razzia im Bahnhofsviertel zwei Menschen getötet. Insgesamt hat die Polizei in der Stadt 13 Menschen festgenommen. Kriegswaffen vom Typ Kalaschnikow AK47, Munition, Sprengstoffe und Polizeiuniformen wurden gefunden. Offenbar waren Attentate gegen die Polizei in Belgien geplant. Einen Zusammenhang mit den Attacken in Paris soll es jedoch nicht geben.

Der Zugriff in Verviers erfolgte gegen 18.00 Uhr. Als die Spezialkräfte eintrafen, hätten die mutmaßlichen Jihadisten "sofort" das Feuer eröffnet, dabei hätten sie Sturmgewehre und andere schwere Waffen eingesetzt, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Eric Van der Sypt auf einer Pressekonferenz am Donnerstagabend. Kein Polizist oder Anrainer wurde verletzt. Augenzeugen berichteten von mehreren Explosionen und einem etwa zehnminütigen Schusswechsel. Die Terrorwarnstufe in ganz Belgien wurde auf drei von insgesamt vier Stufen erhöht.

Auch ein Video der Anti-Terroraktion ist bereits aufgetaucht:

Alleged footage of gunfight in Rue des Collines #Verviers during police anti-terrorist raid. 3 dead "@CSpillmann: https://t.co/hWYTAlkdDB"

— Marco Incerti (@MarcoInBxl) 15. Januar 2015In Syrien radikalisiert

Bei den Toten soll es sich um zwei Jugendliche handeln, die sich radikalisiert und in Syrien an Terrorcamps teilgenommen hatten. Sie sollen „kurz davor gewesen sein, große Anschläge zu verüben“, erklärte van der Sypt. „Es bestand unmittelbare Gefahr.“ Der dritte mutmaßliche Jihadist wurde bei dem Zugriff in Verviers am Donnerstag festgenommen und soll am Freitag einem Richter vorgeführt werden. Die Staatsanwaltschaft will sich am späten Freitagvormittag in Brüssel zu weiteren Einzelheiten äußern.

In der Stadt Verviers allein sollen bis zu zehn Syrien-Rückkehrer gelebt haben. Die Stadt mit etwa 50.000 Einwohnern liegt nur 35 Kilometer vom deutschen Aachen entfernt und gilt als Terroristen-Hochburg. „Wir haben ein belgisches Charlie Hebdo verhindert“, sagte danach ein Polizist der Webseite La Meuse.

Aus keinem EU-Land sind hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung so viele Kämpfer in den syrischen Bürgerkrieg gezogen wie aus Belgien, wie das britische Magazin „Economist“ berichtet hatte. Nach einer aktuellen Auflistung des ThinkTanks Brookings reisten bisher bis zu 650 Kämpfer aus Belgien in das Konfliktland.

Einsatz seit Monaten geplant

Nach Angaben der belgischen Regierung begann die Vorbereitung des Einsatzes bereits vor Monaten. Ministerpräsident Charles Michel, Innenminister Jan Jambon und Justizminister Koen Geens seien über dessen Verlauf am Abend stets informiert gewesen, teilte Michels Sprecher Frederic Cauderlier laut Belga mit.

Durchsuchungen gab es an zehn verschiedenen Stellen im Land, auch in Brüssel und Umgebung. Belga hatte nach dem ersten Einsatz in Verviers einen zweiten gemeldet. Medienberichten zufolge sei dieser aber ohne Ergebnisse beendet worden.

"Insbesondere Polizeikräfte waren das Ziel in Belgien", berichtete van der Sypt weiter. Die Ermittler sprachen von einer Terrorzelle. Aus Sicherheitsgründen soll laut Belga die wichtigste jüdische Schule in der Hauptstadt Brüssel am Freitag geschlossen bleiben. Im ganzen Land gilt Sicherheitsstufe 3 - die zweithöchste.

Innenminister Jambon warnte davor, dass die gestrige Anti-Terror-Operation Folgeanschläge nach sich ziehen könnte. "Die Aktion von gestern Abend kann immer auch andere Zellen aktivieren. Wir wissen nicht, was die Nebenwirkungen sind", sagte Jambon.

Kein Zusammenhang mit "Charlie Hebdo"

Einen Zusammenhang mit den islamistischen Attentaten, die Frankreich vergangene Woche erschüttert hatten, sieht die Staatsanwaltschaft nicht. "Es gibt keine Verbindung zu dem, was in Paris passierte", sagte van der Sypt. Ein hochrangiger belgischer Geheimdienstmitarbeiter sagte dem US-Sender CNN, man nehme an, dass die mutmaßliche Zelle Anweisungen von der in Syrien und im Irak aktiven Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) erhalten habe.

Bewaffneter aus U-Bahn-Station gefasst

Zudem sorgte ein weiterer Vorfall für Unruhe. Ein bewaffneter Mann soll in einer Brüsseler U-Bahn-Haltestelle religiöse Parolen in Arabisch und Französisch skandiert haben. Der Vorfall ereignete sich in der Station "Ribaucourt" im Stadtbezirk Molenbeek.

Die Online-Ausgabe der Tageszeitung "Le Soir" berichtete Freitag, dass Polizisten der Brüsseler Gemeinden Jette, Koekelberg, Ganshoren, Berchem-Sainte-Agathe und Molenbeek-Saint-Jean in einer Großaktion nach dem Mann fahndeten und ihn schließlich am späten Abend verhaften konnten. Der Mann werde vernommen. Außerdem sollen Zeugen aus der U-Bahnstation befragt bzw. die Videoaufnahmen ausgewertet werden.

Waffenhändler in Belgien

Europas Terrorfahnder hatten nach dem Pariser Anschlag Belgien schon länger im Visier: Nicht nur in Sicherheitskreisen, sondern auch unter potenziellen Terroristen ist bekannt, dass es relativ leicht ist, in Brüssel an Waffen zu kommen. Im multikulturellen Viertel Anderlecht, gleich hinter dem Bahnhof Bruxelles-Midi, werden auch großkalibrige Waffen illegal gehandelt. Sogar russische Sturmgewehre vom Typ Kalaschnikow AK47 sind zu bekommen.

Nach dem Anschlag in Paris meldete sich ein Waffenhändler aus Brüssel bei den Sicherheitsbehörden: Der Attentäter von Paris, der den jüdischen Supermarkt überfallen hatte – Amedy Coulibaly – habe bei ihm eine Waffe gekauft. Coulibalys Frau, Hayat Boumedienne, hatte zuvor versucht, ihr Auto zu verkaufen. Sie war so in Kontakt mit dem Waffenhändler in Brüssel gekommen. Belgische Medien und das französische Internetportal Mediapart berichteten, dass Coulibaly schließlich bei dem Waffendealer eine Pistole vom Typ Tokarev erstanden habe. Die französischen und belgischen Ermittler untersuchten daraufhin, ob auch andere Waffen der Pariser Anschläge aus Belgien stammen.

Charlie Hebdo-Zeichner wird beigesetzt

Der Einsatz erfolgte nur wenige Tage nach der Terrorwelle in Frankreich. Am Freitag trifft US-Außenminister John Kerry in der französischen Hauptstadt Paris seinen Amtskollegen Laurent Fabius. Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" wolle er die Zuneigung des amerikanischen Volkes für Frankreich zum Ausdruck bringen und "Paris fest umarmen", kündigte Kerry an.

In Pontoise bei Paris soll am Freitag zudem der Herausgeber und Zeichner von "Charlie Hebdo", Stephane Charbonnier alias Charb, beigesetzt werden. Geplant ist eine Trauerfeier unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bereits am Donnerstag waren zwei der beim Terroranschlag auf das Satireblatt getöteten Zeichner auf Pariser Friedhöfen beigesetzt worden. Die zentrale Trauerfeier für alle 17 Opfer der Terroranschläge wird für die kommende Woche vorbereitet.

(Red./Ag.)

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