„Presse“-Recherchen zeigen, dass der Staatsschutz den Prediger Ebu Tejma mit einer zweiten Großrazzia des Jahres 2014 in Verbindung bringt. Das Netzwerk dürfte größer sein, als bekannt.
Wien. Das zweite Halbjahr 2014 brachte die beiden bisher größten Aktionen der österreichischen Sicherheitskräfte gegen den Jihadismus. Recherchen ergaben nun, dass zwischen beiden ein Zusammenhang bestehen könnte, das Islamisten-Netz größer ist, als bekannt. Im Zentrum der Erkenntnisse steht der Ende November festgenommene Prediger Mirsad O., alias Ebu Tejma.
Der bis zu seiner Festnahme in Wien lebende Salafist soll nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zahlreiche Interessierte in der Hauptstadt, Graz und Linz dazu gebracht haben, sich in Syrien und im Irak den Terrormilizen Jabhat al-Nusra (al-Qaida-Ableger) oder Islamischer Staat (IS) anzuschließen oder anschließen zu wollen. O. bestreitet das, gab – via Anwalt – vielmehr bekannt, dass er sogar versucht habe, Ausreisewillige von ihrem Plan abzuhalten.
„Presse“-Informationen lassen auch andere Schlüsse zu. Quellen zufolge hatte O. nämlich Kontakt zu Yunus F., der wie der Prediger in U-Haft sitzt und ebenfalls mit einer Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen muss. Der 34-Jährige ist jener gebürtige Türke, der am 18. August neun tschetschenische Islamisten in zwei Pkw von Österreich aus in die syrischen Kriegsgebiete bringen sollte. An der Grenze griffen Anti-Terror-Kommandos der Sondereinheit Cobra zu.
Interessant ist nicht nur die Tatsache des Kontakts zwischen dem Prediger und dem Schleuser. Bemerkenswert ist auch der Zeitpunkt des letzten Treffens. Dieses soll nämlich nur wenige Tage vor der Großaktion an der Grenze in Wien stattgefunden haben.
O.s Anwalt Lennart Binder erklärt sich die Verbindung so: „Dieses Thema kam bei den Einvernahmen vor, die beiden haben sich eben gekannt.“ Und: „Wahrscheinlich kennen sie sich von einer Moschee, der Kreis der Leute, die dort hingehen, ist überschaubar.“
Und der Verfassungsschutz? Offiziell heißt es dort: „Kein Kommentar.“ Intern jedoch, das ergab die Auswertung von Quellen der „Presse“, ziehen die Ermittler selbstverständlich ihre Schlüsse. Demnach dürfte F. dem Prediger O. genau jene Logistik zur Verfügung gestellt haben, die ihm fehlte. O. verfügt zwar über beste Verbindungen zur Salafistenszene am Westbalken. Um Interessierte in die Kampfgebiete in Syrien und im Irak zu bringen, braucht es aber Kontakte in die Türkei. Und Ortskenntnisse entlang der Grenze dort.
Der Schleuser des Predigers
Yunus F. hat beides. Er stammt sogar aus dem Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak, durch das viele Jihadisten in ihre Zielgebiete reisen. F.s Verteidigung behält sich auf Befragen der „Presse“ eine Stellungnahme vor.
Für die Theorie einer Arbeitsteilung zwischen den beiden sprechen einige Details. So sagt etwa Anwalt Lennart Binder, dass O. derzeit das Rekrutieren von Jihadisten gar nicht vorgeworfen werde, vielmehr werde derzeit in Richtung „Finanzierung der Reisen“ und „Kontaktvermittlung“ ermittelt. Weiters hat F. gestanden, dass er die neun Tschetschenen wissentlich in den Jihad, und nicht wie von diesen behauptet, an einen Urlaubsort bringen sollte. „Dass diese Personen mit mir in die Türkei gefahren sind, um Urlaub zu machen, glaubt niemand“, sagte er in einem Verhör. Und weiter: Die betroffenen Personen „hatten definitiv die Absicht, sich nach Syrien in den bewaffneten Jihad zu begeben“.
Wie weit gefächert das Netz der Religionsfanatiker zu sein scheint, zeigen O.s Verbindungen zu weiteren Personen der Szene. Vor einem Jahr verteilte er in Graz an öffentlichen Orten mit zwei Glaubensbrüdern den Koran, die beide in Syrien an Kämpfen teilgenommen haben dürften. Einer von ihnen soll dort gefallen sein, der andere kehrte zurück und wartet auf eine Anklage.
Eine andere Spur deutet zu A., der ebenfalls zum Vertrautenkreis von O. gehörte. Von A. nimmt der Staatsschutz an, dass auch er Yunus F. Jihadisten aus Österreich zur Schleusung in die Kriegsgebiete zuführte. Alles in allem dürfte knapp die Hälfte der 170 ausgereisten Kämpfer mit dem beschriebenen Netzwerk in Kontakt gestanden sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17. Jänner 2015)