Gegen wahllose Attacken von IS-Mördern kann sich ein Land nicht wehren – egal, welche Befugnisse und Spielzeuge die Exekutive bekommt.
Unter den zahlreichen zu lauten oder zu leisen Reaktionen auf die Anschläge in Paris und die steigende Bedrohungslage in Europa stechen wenige nüchterne und differenzierte Aussagen heraus. Da wäre einmal Tim Wolff, Chefredakteur des deutschen Satiremagazins „Titanic“. Nach den Attacken antwortet er auf die Frage des Moderators der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung, ob nun die Sicherheitsvorkehrungen in der „Titanic“-Redaktion verstärkt worden seien, mit einem knappen, aber ernsten Nein. Die deutsche Polizei habe ihm geraten, die Türe zuzumachen, aber das mache er ohnehin. Dann stellte er trocken fest, dass er nicht empfehle, Mohammed-Karikaturen abzubilden. Damit würden auch Menschen beleidigt, die Satiriker gar nicht töten wollten. Er denke da eher an Terroristenkarikaturen – sagte er ruhig und sachlich.
In diesen Tagen und Wochen werden viele Gebäude, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Österreich auf Effizienz beziehungsweise Vorhandensein von Sicherheitsvorkehrungen überprüft. Schon nach wenigen Tagen erster Untersuchungen des Innenministeriums lautet der erwartbare Befund: Viele mögliche Ziele von Angriffen sind im Vergleich zu Deutschland schlecht oder gar nicht gesichert. Das hat viel mit der RAF-Terror-Vergangenheit Deutschlands zu tun, aber auch mit der Einstellung der Bewohner: Österreicher hielten sich dank Neutralität und Gemütlichkeit nie wirklich für gefährdet. Hielten. Dies könnte sich ändern: Im Unterschied zu früheren Terrorgruppen dürfte es für Anhänger des Islamischen Staats keinen großen Unterschied machen, ob nun ein Staat wie Österreich neutral und nicht an militärischen Organisationen beteiligt ist oder nicht. Wenn ein gescheiterter Jugendlicher mit Brutalitäts-, Vergewaltigungs- und religiösen Männergemeinschaftsfantasien dem IS folgt und zum Jihadisten mutiert, wird er fern des IS-Videomordspiels in Syrien oder im Irak dort zuschlagen, wo er wohnt. Auch in Österreich.
Diesen Eindruck werden die bevorstehenden juristisch schwierigen Prozesse gegen mutmaßliche Terrormitglieder in Graz verstärken: Die Beschuldigten sollen über mögliche Anschlagsvarianten gesprochen haben. Wahllose Attacken in Österreich fordert auch der Benutzer eines einem IS-Anhänger zugerechneten Twitter-Accounts. Solche Anschläge auf Passanten in Einkaufsstraßen oder auf Besucher von Lokalen lassen sich mit den Sicherheitsmaßnahmen nicht verhindern. Die Innenministerin reagierte vorerst mit mehr Beamten im Stadtbild, um zumindest das Sicherheitsgefühl zu erhalten. Mehr ist aber auch nicht möglich.
Dennoch fordern sie und die Exekutive reflexartig mehr Befugnisse und bessere Ausrüstung. Tatsächlich benötigen Polizei und Spezialeinheiten besseres Material – im täglichen Kampf gegen das Verbrechen, aber wohl nicht gegen diese spezielle Form des Terrors. Gepanzerte Hubschrauber können etwa erst eingesetzt werden, wenn schon etwas passiert ist. Besser wären mehr arabischsprachige Beamte für den Verfassungsschutz – auch in den Bundesländern. Und dann sollen natürlich die Befugnisse der Polizei erweitert werden. Tatsächlich half ein Lauschangriff, dem mutmaßlichen Grazer Terrornetz auf die Spur zu kommen. Für die Vorratsdatenspeicherung gilt, was für die Helikopter gilt: Das sind keine zielgerichteten Präventivmaßnahmen, wie Johanna Mikl-Leitner glaubt. Der automatische EU-interne Austausch von Flugdaten, den die Fluglinien unentgeltlich bewältigen müssten, hat mehr Sinn. Nur: Frankreich bekommt übrigens schon mehr Daten als andere EU-Länder– und dennoch...
Der Islamwissenschaftler Michael Lüders formulierte in der „ZiB2“ eine unangenehme, aber logische These: Die Terrorgefahr steige auch deshalb, weil radikale Islamisten in Paris gesehen hätten, wie leicht Europa aus der Balance zu bringen ist. Den Gefallen sollten wir diesen Instant-Terroristen nicht tun.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)