Nicht noch einmal. Denn. Sonst.

Das ist unter anderem die Geschichte davon, dass ich aus dem Koran etwas vorlesen wollte. Die Geschichte eines Scheiterns.

Das ist unter anderem eine Geschichte davon, dass ich aus dem Koran (Qur'an) etwas vorlesen wollte. Schließlich beziehen sich ja akzelerierend immer mehr Menschen dieser Erde auf die Texte aus jener gerade heute sehr streng gehaltenen heiligen Schrift, theoretisch für ein Milliardenpublikum.

Andererseits – wer kennt bei uns auch nur eine der mit Titel versehen Suren (wirklich), fragen Sie doch herum? Und drittens: Man bezieht weltweit aus dem Koran ganz offensichtlich Anleitungen zur Lebensführung, für Psychisches und Transzendenz, ja sogar für eine sonst nur weltlich gehandhabte und erlaubte Gerichtsbarkeit sowie für eine, die eigene oder auch gleich die globale Existenz angeblich bedingende Transzendenz inklusive Weltkriegsandrohungen. Das alles aber passiert in 114 Abschnitten plus Zusätzen, inhaltlich beim ersten Lesen oft nur hagiografisch oder absurd wirkend, jedenfalls aber in einem schroffen Gegensatz zu dem stehend, was europäische Aufklärung heißt. Oder, intensiver: Es befinden sich die Koranaussagen zu dieser seit mehr als 200 Jahren sich ebenfalls akzelerierend entwickelnden, sich selbst weiterhin aufklärenden Trennung von Intellekt und Empfindungswelt im schroffen Gegensatz.

Spannend. Spannend? Und war es dabei ähnlich den von mir ehedem angebotenen Lesungen zum Beispiel aus der Apokalypse, mancher wilden wie scheinbar skurrilen Passagen aus dem, was wir Altes Testament nennen, sogar aus Buddha-Vita, Homer, Psalmen, Apokryphen? Etwas, was ich bisher zudem im Rahmen keineswegs von Religionsgemeinschaften, sondern als Vortrag machen durfte, zum Kennenlernen, als Geschichte- und Geschichtenvermittlung, in Volkshochschulen, Kirchen, Galerien und so weiter.

Nach privaten Lektüren schien es für mich, als bekennendem Anhänger der europäischen Aufklärung (siehe oben), im Vergleich mit bisherigen Rezitationen und natürlich einfach auch zum respektvollen Vermitteln des zumeist Unbekannten (siehe oben) etwas Besonderes zu sein, als Nichtmuslim entsprechende Koranpassagen (ausgewählte, inhaltlich vor allem aus den erzählenden Suren und Versen kommend) anzubieten. Das Interesse von Veranstaltern war zunächst groß – und bald auch nicht mehr groß, im Gegenteil. Mir wurde mehrfach mitgeteilt, man traue sich nicht.

Dabei hatte ich versucht, in meiner offenbar etwas blauäugigen Vorstellung von Religionsdezenz, die Sache mit Behutsamtkeit anzugehen. Es ist allerdings schon grundsätzlich nicht eben einfach, sich dem Wort Gottes in der Vorstellung des islamischen Glaubens selbst zum bloßen Kennenlernen oder Nachlesen zu nähern. Gottesworte sind hier nicht Gottesworte wie etwa im Christentum. Die Koranvermittlung bewegt sich im Mythos des Geheimnisvollen für Auserwählte.

Ja, die Probleme eines „Ungläubigen“

Man weiß das sowieso aus einer wachsenden Reihe von Berichten oder Artikeln. Jene heilige Schrift ist kein allgemein Zugängliches mit weitgehend liebevollen Aufnahmekriterien, auch wenn sie, so die Lehre, durch Mohammed geoffenbart, dann sowieso angeblich die gesamte Menschheit betrifft und selbst über Jesus bis auf Moses und Abraham zurückgreift. Allein, es wird streng festgehalten, dass nur die nun schon jahrhundertealte arabische Originalsprache die exakte Ausdrucksweise (Erkenntnismöglichkeit?) darstellte, dass nur diese die verbindlichen Gottesworte vermittle und dass demnach jegliche Übersetzung sowieso bloß den Charakter von Näherungswerten habe.

Zweitens heißt es kategorisch, man würde als „Ungläubiger“ (ja, solche Epitheta hat man sich gefallen zu lassen) sowieso und auf jeden Fall ziemliche Probleme mit der wörtlichen Offenbarung solch einer Institution eines allerhöchstens Wesens, eines wohl auch individuellen Gottes kriegen.

Also; und jetzt folgt doch noch die Geschichte davon, dass ich aus dem Koran vorlesen wollte.

Es hat wenig Sinn, etwa initialiter zum Informieren oder Bucherwerb in islamische Kultur- oder ähnliche Zentren zu gehen; davon gibt es zwar einige; aber dort um Unterstützung zu bitten ist nicht so ohne. Man wird entweder gar nicht eingelassen oder von einigen halbwüchsigen Männern inquisitorisch oder rotzbubenhaft befragt und bald wieder mehr oder weniger hinauskomplimentiert. Sodann wurde ich schriftlich vorstellig. Ich fragte beim Islamischen Zentrum in Österreich an. Wochenlang nichts. Ich erinnerte höflich, bat, mir doch wenigstens eine halbwegs akzeptierte Koranversion in deutscher Sprache zu nennen. Nix. Dann, abermals ein Beharren. Es kam die lakonische Antwort, man müsse diese „große“ Frage „den Imamen“ vorlegen. Dann kam, wieder nach Wochen, eine doch recht freundliche Mail-Antwort: Ja, man würde mir eine gute „Übersetzung“ vorschlagen. Allerdings: Jegliches Rezitieren bestimmter Abschnitte etwa mit Musikbegleitung stoße auf strikte Ablehnung; zudem hätte ich bei jedem Zitat aus dem „edlen Koran“ mir folgende Worte voranzustellen: „Wahrlich die Herzen beruhigen sich, wenn Gottes gedenkt wird.“ Aha.

Nach dieser Imam-Freigabe versprach ich, das alles einzuhalten, zudem keine Passagen der reinen Anrufung oder des Selbstreferenziellen oder Ähnliches zu verwenden, sondern nur aus den erzählerischen, auch in historischen Bildern sich darstellenden Passus ein Programm auszuwählen.

Ende 2014, Baden bei Wien und sein Kulturprogramm im Rahmen der so offenen Niederösterreichischen Buchwochen offerierten mir ein Forum; es gab offizielle Eintrittskartenangebote; sogar sehr nette, werbende Artikel in Zeitungen mit aufmunternden Hinweisen (man nannte das ein mutiges Unterfangen; tja, „mutig“, so weit sind wir also schon?); ich gab vorweg Interviews, dort sagend, ich würde einfach Suren vorlesen, in sich geschlossene Kapitel also, auf jeden Kommentar verzichten, auch auf Diskussionen danach, auch auf etwa im Tonfall des Vortrags kritische, abfällige oder ironische Färbungen. Einige Tage vor dem Termin kam es dann. Man beschimpfte per Mail das sogenannte Badener ZiB (Zentrum für interkulturelle Beziehung, untergebracht über den restaurierten Räumlichkeiten des ehedem zerstörten jüdischen Tempels), man machte das ZiB für all das (was denn eigentlich?) verantwortlich, suggerierte, dass meine Lesung dort an einem unwürdigen Ort stattfinde (es war nie die Rede davon). Man warf anderwärtig sofort der Sache vor, eine „antiislamische Veranstaltung in der Synagoge“ zu sein, ja, mehr noch, man beschimpfte mich als „ahnungslosen Ressentimentalisten“. Manche dieser Drohungen gingen sogar so weit, solch eine Lesung (die überhaupt nichts mit einer Synagoge oder einer vorsätzlichen Beleidigung des Islam zu tun hatte und auch nie dort geplant gewesen ist) als Provokation der „Religion“ anzusehen. Es wurde expressis verbis mir, uns, der Stadt, dem nicht damit befassten ZiB geraten, diese Veranstaltung überhaupt nicht ablaufen zu lassen. Manche dieser Drohungen waren anonym, manche gezeichnet und sogar über den Server der Universität Wien verschickt worden.

Die Vorlesung in Baden wurde still abgesagt.

Es folgten daraufhin noch einige andere Publikumsreaktionen. Übrigens keine bösartigen mehr, aber viele mit Empörung. Mit Fassungslosigkeit. („So etwas heute, bei uns, zwischen IS und Pegida!“ – „Aber wehe, man behauptet, man fürchte sich.“) Ja, es kam zudem, ein wenig, von islamischer Seite Bestürzung. Ich weiß trotzdem nicht, und ein seltsames Gefühl beschlich mich da abermals, woher oder wieso man überhaupt von jenen Vorgängen, Voraussetzungen und Reaktionen wusste. Aber mir wurde auch mitgeteilt, wie sehr unter solchen Geschehnissen „die Vernünftigen im Islam“ litten.

Na gut. Österreich heute eben. Die Gedanken sind frei? Ich habe allerdings alle weiteren Leseangebote an andere Veranstalter oder Institutionen gecancelt.

Noch etwas, danach. Scheinbar nicht im Zusammenhang. Scheinbar.

Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2015. Und es geht jetzt nicht um die auch heuer wieder zum Teil etwas seltsam vorgetragenen Interpretationen mancher zugkräftiger Stücke im Goldenen Saal, der abermals aussah wie ein lemperiger Blumenmarkt. Allein, man gab diesmal wieder den wundersamen Strauss-Walzer „Wein, Weib und Gesang“.

Strauss-Dulliöh und Mohammed

Vor ein paar Jahren schon stand das Stück ebenfalls auf dem Programm. In einem Zeitungsartikel vermerkte ich ehedem, es sei heutzutage doch stets und leider ein wenig heikel, diese beinahe Symphonische Dichtung in ein weltweit ausgestrahltes Programm aufzunehmen. Schließlich handelt es sich dabei – wie auch bei „An der schönen, blauen Donau“ oder „Klug Gretelein“ – um einen Gesangswalzer, komponiert für einen feschen, machistischen, etwas ordinär singenden Männerchor. Und drinnen kämen zudem, in den mittleren Strophen, neben Antisemitismus-Anspielungen (die es übrigens auch im ersten Text für den Donauwalzer gibt) ziemliche Beleidigungen des Mohammed vor. Damals folgte ein so wüster Proteststurm, dass das Forum des Blattes gesperrt wurde.

Tja, 2015, nach jener sowieso sicherheitshalber ganz dezent aufgelösten Koranlesung und nie im Zusammenhang mit anderem? Man hält mich – diesmal oder weiterhin und nicht gerade für mich angenehm – brav unter Beobachtung. Es kam ein anonymer Hinweis, man hoffe, ich, der aktuell erzwungene Schweiger zum Koran, würde aktuell jene einstig thematisierte Prophetenbeleidigung aus „Wein, Weib und Gesang“ (wir versagen uns hier aus Pietät das einschlägige Zitat vom Strauss-Dulliöh) nicht noch einmal thematisieren.

Denn. Sonst.

Nachschrift 1: Ich nehme an, auch nach dem eben sowieso nur kleinen Bericht wird es trotzdem miese Beschimpfungen geben.

Nachschrift 2: „Wein, Weib und Gesang“ trägt die Opus-Zahl 333. (Eine legendäre Sache – erzeichnen doch, nach diversen Systemen sogar, Kombinationen von 333 Sex- und Porno-Bilder respektive -Praktiken; solche, die aber wohl in einem Koranstaat überhaupt und dann gar in auch nur geringster Verbindung mit jemandem, den sie dort Propheten nennen, wüste, fatale und mehr Folgen nach sich ziehen.) ■

Geboren 1948 in Zell am See. Dr.phil.Sendungsgestalter, Moderator im ORF-Hörfunk, Autor, Regisseur, Ausstellungsmacher. Bücher: zuletzt „Fest auf A. – Ein Franz-Schubert-Roman“ und die Novelle „Im Jahr der Sünden“ (beide Mitteldeutscher Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

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