Die Gefechte in der Ostukraine sind so stark wie seit Wochen nicht mehr: In Donezk ringen Regierungstruppen und Separatisten um die Kontrolle des Flughafens.
Warschau/Kiew. In der Ostukraine herrscht seit dem Wochenende wieder Krieg: Nach Angaben der OSZE wurde der „Waffenstillstand“ alleine am Samstag 138 Mal gebrochen. Über Neujahr hatten die Waffen praktisch geschwiegen.
Bei den jüngsten Gefechten sollen mindestens elf Menschen getötet worden sein – fünf Zivilisten und sechs ukrainische Soldaten. Die Kämpfe konzentrierten sich um den Internationalen Flughafen von Donezk, der seit Monaten von Regierungstruppen gehalten wird, jedoch in den vergangen Tagen teilweise von pro-russischen Rebellen eingenommen worden war. Am Sonntag startete die ukrainische Armee dort eine Großoffensive.
Der ukrainische Militärsprecher Andrej Lysenko sagte, das Gebiet am stark zerstörten Flughafen sei wieder weitgehend unter Kontrolle der Regierungstruppen. Laut den Bewohnern von Donezk nahmen auch die Kämpfe in der Nähe von Wohngebieten zu. Prorussische Rebellen hätten aus Wohngebieten heraus Granaten abgefeuert, hieß es. Einwohner berichteten von ständigem Beschuss, der in der ganzen Stadt zu hören war. Die Bewohner wurden angewiesen, in Kellern und Bunkern auszuharren.
Kiew beklagt indes, dass an der ukrainischen Ostgrenze auch wieder russische Truppen zusammengezogen werden. Der ukrainische Geheimdienst spricht von aktuell 36.000 pro-russischen Kämpfern, darunter 8500 regulären russischen Truppen im Donbass, die über 542 Panzer verfügten. Kiew hat nun wieder mehr Truppen beim Flughafen und anderen Brennpunkten an der „Waffenstillstandslinie“ zusammengezogen. „Wir geben keinen Zentimeter ab“, sagte Staatspräsident Petro Poroschenko am Rande eines Friedensmarsches mit mehreren tausend Teilnehmern in Kiew. Und: „Den Donbass werden wir wieder zurückerobern.“
Der OSZE scheinen dabei die Hände weitgehend gebunden zu sein. Zwar hat sie Anfang Jänner eine Aufstockung der Beobachter auf 500 Experten angekündigt. Doch haben mehrere OSZE-Mitgliedstaaten damit begonnen, ihre Experten aus „Sicherheitsgründen“ wieder abzuziehen.
Aktivist warnt vor Terror
Der Donezker Menschenrechtler Sergej Tkatschenko sagte der „Presse“, er rechne mit einem verbissenen Kampf um den Flughafen Donezk sowie mit Terrorangriffen in der ganzen restlichen Ukraine, die von pro-russischen Kräften ausgeführten werden.
Tatsächlich scheint das Szenario von Anschlägen außerhalb des Donbass bereits Realität geworden zu sein: Unweit von Charkiw gingen am Wochenende mehrere Zisternenwagen in Flammen auf, in Odessa wurde die sechste Bombenexplosion seit Anfang Dezember gezählt. Auch in der Hauptstadt kam es zu einer Explosion. In der Nacht zum Sonntag entführten Unbekannte in Kiew drei Polizisten sowie zwei pro-westliche Bürgeraktivisten. (flü)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2015)