Opernfilm: Casanova denkt an früher

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Michael Sturmingers „Casanova Variations“ dreht sich auf drei Erzählebenen um John Malkovich. Veronica Ferres, Florian Boesch und Jonas Kaufmann stören nicht.

Für den Verführer ist die Pension kein Honiglecken. „Es gab keinen Tag, an dem er sich nicht über seinen Kaffee, seine Milch oder den Teller Makkaroni beschwerte, den er täglich verlangte“, heißt es in einem zeitgenössischen Bericht über den alten Chevalier de Seingalt, recte: Giacomo Casanova. Als Bibliothekar des Grafen Waldstein fristete er im böhmischen Dux (Duchkov) sein Ausgedinge: ein Griesgram, ständig Missachtung und Spott witternd. In seinen umfangreichen, heute vor allem kulturgeschichtlich faszinierenden Memoiren schrieb er dagegen an, ließ darin die alte amouröse Glorie literarisch wieder aufleben – damit er sie vielleicht auch in den Lenden wieder spüren möge.

Das also ist der historische Strang, den Regisseur Michael Sturminger mit zwei weiteren zu einem postmodernen, also gewissermaßen hübsch altmodischen Erzählzopf verflechtet: der Verfilmung einer Bühnenaufführung von Sturmingers eigenen „Casanova Variations“ sowie der pseudodokumentarischen Begleitung ebendieses Projekts, wobei wackelige Handkamerabilder allzu gewollt Authentizität simulieren, aber auch ein paar Prisen Selbstironie kritische Einwände entkräften sollen.

Der Film ist eine weitere Variation jenes Stück Musiktheaters, das Sturminger mit John Malkovich, dem Dirigenten Martin Haselböck und dessen Wiener Akademie (sie rücken auch hier groß ins Bild) sowie einem kleinen Ensemble vor vier Jahren im Wiener Ronacher herausgebracht hat und das auch auf einer Welttournee gezeigt wurde: eine Umkreisung des Phänomens Casanova unter Zuhilfenahme von Szenen aus Mozarts Da-Ponte-Opern.

Dabei baut Sturminger eine weitere historische Figur ein: Elisa von der Recke, eine deutsche Schriftstellerin aus dem Baltikum, besucht den alternden Schwerenöter. In einer verzerrt spiegelbildlichen Situation hat sie gleichsam Männer gesammelt – jedoch nicht im Boudoir wie Casanova seine Damen, sondern im Salon. Gewiss, auch er verkehrte in illustren Kreisen, aber Elisa von der Recke unterhielt mit den Geistesgrößen ihrer Zeit von Klopstock bis Goethe, von Kant bis Schiller persönliche und brieflich fortgeführte Freundschaften. Schade, dass man von dieser Frau hier so wenig erfährt – und dass Veronica Ferres, die immerhin glaubwürdig die erotischen Muskeln des Alten wieder anregt, wenig Geheimnis vermitteln kann, wobei auch ihr von einem undefinierbaren Akzent durchwachsenes Englisch keine rechte Hilfe ist. Ist sie nur deshalb an Casanova interessiert, weil sie ihn in einem eigenen Buch niedermachen will, wie vorher schon den hochstaplerischen Alchimisten Cagliostro?

Ferres: Sphinx ohne Geheimnis

Fiktion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen bald, Erinnerungen formen sich zu sanft adaptierten Mozart-Szenen: Der Bariton Florian Boesch schlüpft als singendes Alter Ego Casanovas in die Rollen Leporellos, Figaros oder des Grafen, die Sopranistin Miah Persson verdoppelt Elisa von der Recke als Gräfin, Susanna und Fiordiligi, etliche weitere Stars verdingen sich in kleinen Rollen. Anhand von Kate Lindseys Cherubino klingt da auch Begehren über Gendergrenzen hinweg an, keine Geringere als Fanny Ardant rückt im ikonischen Kleid der Madame Pompadour als Marcellina aus und verhindert mit ein paar kratzigen Gesangsphrasen, dass Casanova/Figaro/Bartolo die gemeinsame Tochter heiratet . . . Und Jonas Kaufmann tritt ihm schließlich als schmallippiger Rivale Graf Branicki entgegen: ein Duell mit Folgen, darunter das Terzett „Soave sia il vento“, in dem der Tenor die fachfremde Partie des Don Alfonso übernimmt. Interessant freilich, dass ausgerechnet aus „Don Giovanni“ am wenigsten zu hören ist: weil Casanova, so Sturminger, eben kein eiskalter Frauenfresser war wie Da Pontes und Mozarts zynischer Wüstling.

Doch Casanova hin, Mozart her: Im Grunde dreht sich der Film um John Malkovich – nicht nur deshalb, weil er ungefähr so viel Text hat wie alle anderen zusammen und man seinen mäandernden Monologen so genüsslich lauschen kann wie Musik, dabei manchmal sogar den Sinn der Worte aus den Ohren verliert. Im Dreiklang der Handlungsebenen dominieren bald die Szenen, in denen Malkovich „er selbst“ ist. Auf der Opernbühne spielt er stückgerecht einen Herzanfall und bringt damit eine nichts ahnende Freundin im Publikum auf die Palme, er zieht an der Pausenzigarette und wird angequatscht, seine (auch erotische) Anziehungskraft fällt mit jener von Casanova zusammen: verschwimmende Identitäten.

Den musikalischen Höhepunkt bildet der Schluss. Wenn Malkovich, der in den Mozart-Ensembles zweimal auch mitgesungen hat, vor leeren Rängen das Ständchen des Don Giovanni krächzt, tut er das genauso brüchig und kurzatmig, aber es klingt grundehrlich, auf wundersame Weise verletzbar, ja sogar tief: Casanova, der Welt abhandengekommen.

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