Václav Klaus: "Die Krim gehörte nicht zur Ukraine"

Tschechiens Ex-Präsident Václav Klaus
Tschechiens Ex-Präsident Václav KlausEPA
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Tschechiens Ex-Präsident legt im "Presse"-Interview eine Teilung der Ukraine nahe. Russland sei in Sachen Krim unter Zugzwang gewesen, meint er.

Die Krise in der Ukraine dauert jetzt schon über ein Jahr, alle Versuche, sie beizulegen, sind bisher gescheitert. Haben Sie einen Lösungsvorschlag?

Václav Klaus: Die Situation dort ist schon so lange so tragisch, man muss schnellstmöglich etwas machen. Aber das bedeutet keine externe Intervention, die Lösung kann nur in Verhandlungen bestehen, einem Kompromiss. Schade, dass die politische Führung in der Ukraine dazu nicht fähig ist.

Wissen Sie, ich habe gute Erfahrungen mit der Teilung der Tschechoslowakei gemacht. Ich hatte mein ganzes Leben dort gelebt, die Idee, das Land zu spalten, war für mich Unsinn, ich war dagegen. Aber ich sah, dass die Slowaken wirklich selbständig sein wollen, und da habe ich verstanden, dass die einzige Lösung ein Kompromiss ist, die Teilung. Etwas Ähnliches muss auch in der Ukraine kommen. Niemand kann 10:0 gewinnen.

Also soll man die Ukraine teilen?

Das sind für mich keine Ratschläge oder Empfehlungen. Ich spreche nur von meinen Erfahrungen.

Meinen Sie mit „die andere Seite“ die Separatisten im Osten der Ukraine, oder Russland?

Die Menschen aus der östlichen Ukraine. Sie haben am Anfang korrekt gefragt nach der „Krise in der Ukraine“, das ist schon eine untypische westeuropäische Fragestellung. Normalerweise sprechen die Leute hier von einem ukrainisch-russischen-Konflikt, ich korrigiere das dann immer.

Klar, der Konflikt findet auf dem Territorium der Ukraine statt, aber es ist auch klar, dass Russland militärisch involviert ist.

Neinnein. Für mich ist der Konflikt „Europa und Amerika gegen Russland“, die Ukraine ist nur ein passives Instrument in diesem Streit.

Sie meinen, eine Art Stellvertreterkonflikt?

Ursprünglich war das bestimmt eine Krise in der Ukraine, die interne Gründe hat. Das ist ein Land, wo die postkommunistische Transformation fast nicht existierte. Im Vergleich mit den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern ist die Ukraine ein Misserfolg. Das ist die Ursache dieser Konflikte. Die ist ein gespaltenes Land, das künstlich gemacht wurde. Es ist kein authentisches Gebiet mit einer homogenen Bevölkerung. Leider. Deshalb war die Transformation schwieriger als woanders. Und die heutige Krise ist ein Resultat der Bestrebungen, die Ukraine zu einer Entscheidung zu zwingen, ob sie zum Westen oder zum Osten gehört. Das Land vor die Wahl zwischen Ost und West zu stellen bedeutet aber, es zu zerstören.

Niemand hat die Ukraine vor eine solche Wahl gestellt.

Aber bestimmt! Die Idee, die Ukraine in die EU oder die Nato zu bringen, stand am Anfang.

Aber davon spricht doch niemand. Es geht nur um eine EU-Assoziierung.

Das ist die Frage. Für die Länder in Zentral- und Osteuropa war die Assoziierung immer ein wichtiger Schritt Richtung Mitgliedschaft.

Begonnen hat der Konflikt Ende 2013 am Streit über die Assoziierung. Aber er wurde erst durch die Annexion der Krim durch Russland militärisch, oder nicht?

Das ist Ihre Interpretation. Für mich war das nicht so. Ich bin kein Verteidiger Russlands oder von Herrn Putin, unsere Geschichte während des Kommunismus ist gegen Russland gerichtet. Ich suche nur die Wahrheit. Meiner Meinung nach war Russlands Agieren auf der Krim nur eine Reaktion, keine Aktion. Spielen Sie Schach?

Selten.

Es gibt da den Begriff des erzwungenen Zugs. Man muss etwas tun, ob man will oder nicht.

Warum musste Russland intervenieren?

Das war die Reaktion auf den Majdan, auf die Ereignisse in Kiew, auf die Attacken auf die russische Bevölkerung dort.

Aber deshalb gleich militärisch eingreifen?

Es gab ein Referendum, und es ist die Frage, ob man ein solches Referendum akzeptiert oder nicht.

Ein Referendum unter russischer Waffengewalt....

Es ist ganz klar, dass die Krim nicht zur Ukraine gehörte, das wissen Sie auch. Die Krim gehörte immer zu Russland. Ich sehe das nicht so tragisch. Die innere Krise der Ukraine ist für mich die Hauptursache. Ohne Majdan hätte es keine Annexion der Krim gegeben.

Sie waren doch einmal Staatsoberhaupt. Wie würden Sie reagieren, wenn ein Nachbarland einen Teil Ihres Staatsgebietes annektiert?

Diese Frage kann ich nicht akzeptieren. Aber ich hätte jedenfalls solche Entwicklungen wie in der Ukraine in meinem Land nicht akzeptiert. Ich würde früher beginnen, mit der Opposition zu sprechen. Aber das haben die Politiker in der Ukraine leider nicht gemacht. Das ist für mich die Ursache, alles andere ist Konsequenz.

Eine Konsequenz waren die Sanktionen, die die EU verhängt hat. Derzeit wird diskutiert, einen Teil wieder aufzuheben. Wie sehen sie die bisherige Sanktionspolitik?

Wie gesagt, sich sehe die Ursache des Konflikts nicht in Russland, und deshalb halte ich die Sanktionen für falsch. Die andere Frage ist, wie die Sanktionen funktionieren, was für Folgen sie haben.

Wer leidet Ihrer Meinung mehr unter den Sanktionen, Russland oder die EU?

Bestimmt Russland. Ich kenne zwar zahlreiche tschechische Geschäftsleute, die über die Sanktionen sehr unglücklich sind, aber sicherlich schaden die Sanktionen Russland mehr.

Sie haben in einem Interview gesagt, die EU brauche einen Systemwechsel, eine Art 1989. Was genau meinen Sie damit?

Ich sehe die Situation in Europa sehr problematisch, ja, dramatisch. Vielleicht haben wir da nach 50 Jahren Kommunismus schärfere Augen und sind da empfindlicher, vielleicht überempfindlich.

In Bezug auf?

Alles! Die ökonomische Stagnation, auf die Absenz der Demokratie. Das ist meine Hauptkritik. Wir brauchen eine Wende in Europa, nicht nur kosmetische Reformen. Auch in der Endphase des Kommunismus gab es viele Reformen, aber ich habe dann gesagt, wir brauchen keine Reformen mehr, sondern eine tiefe Transformation der ganzen Gesellschaft. Etwas Ähnliches brauchen wir heute in Europa.

Aber kann man die EU mit dem Kommunismus vergleichen?

Das ist kein Vergleich. Es geht darum, nicht nur Einzelheiten zu ändern, sondern die Basis des Systems.

Wie sieht dieses System aus, das ihnen vorschwebt. Würde die EU da noch existieren?

Die EU ist nur eine Variante der europäischen Integration. Ich bin wirklich für die Integration, die Eliminierung von Barrieren an den Grenzen und so weiter. Das war auch das dominante Prinzip in der ersten Phase. Die Wende kam mit dem Vertrag von Maastricht, als aus der EG, der Europäischen Gemeinschaft, die EU, die Europäische Union wurde. Diese radikale Veränderung von „G“ zu „U“, das ist für mich die Basis für alle Probleme, die wir heute in Europa sehen.

Was ist denn so schlecht an einer Union, an einem immer engeren Zusammenschluss?

Das ist die Eliminierung der europäischen Staaten, deshalb gibt es diese Losungen „Europa der Regionen“ oder „Europa der Europäer“. Nein, ich bin für ein Europa der europäischen Staaten.

Aber diese Staaten verschwinden ja nicht von der Landkarte. Es gibt heute viele Probleme, die ein Staat nicht mehr alleine bewältigen kann, die nur mehr gemeinsam gelöst werden können.

Nein, dazu sage ich nein. Das ist nur ein Traum von verschiedenen europäischen Politikern. Wir brauchen die Staaten nicht für Vieles, aber wir brauchen sie für eine Sache, und das ist die Demokratie. Ohne Staaten kann Demokratie nicht existieren. Ein demokratisches System auf der Ebene von Kontinenten ist nicht möglich.

Warum eigentlich nicht?

Dazu braucht man einen Demos, ein Volk. Und in Europa gibt es kein Volk. Wir sind nicht Europäer. Ich fühle mich nicht als Europäer. Europa ist für mich nur eine der verschiedenen Identitäten meines Lebens. Ich bin Prager, ich habe meine tschechische Identität, dann gehöre ich zu Mitteleuropa, Städte wie Wien, Krakau, Mailand, das gehört zu meiner Welt, nicht Helsinki, Lissabon, Athen oder Palermo. Dann bin ich auch ein Slawe. Und dann ist da noch Europa, aber diese europäische Identität ist für mich sehr schwach. Ich sehe keine große Ähnlichkeit mit einem Finnen oder Iren oder Griechen.

Ihr Nachfolger Miloš Zeman hat nach den Terroranschlägen in Paris gesagt, dass man Migranten en gros wieder in ihre Ursprungsländer schicken sollte. Wie stehen Sie dazu?

Auch hier gilt: Das ist der zehnte Stock der Debatte. Der Stock Nummer eins ist etwas anderes.

Was ist Stock eins?

Ein dramatischer Fehler der Politik, die Invasion von Migranten hier in Westeuropa zu ermöglichen. Ich verstehe es ja, die reichen Europäer wollten verschiedene Tätigkeiten nicht mehr machen und haben Arbeitskräfte aus der Türkei und anderen Ländern eingeladen. Das war ein Fehler.

Aber ist das ein Problem in Tschechien?

Nicht so sehr. Tschechien ist ja noch nicht so reich wie Deutschland. Und der Kommunismus war eine geschlossene Gesellschaft, alles war verboten, auch Einwanderung. Die Nation ist noch relativ homogen, das ist kein Vergleich zu der Situation in Westeuropa. Ein Hauptproblem ist die falsche Ideologie des Multikulturalismus, die müssen wir so schnell wie möglich vergessen, weil sie die Gesellschaft zerstört.

Nach den Anschlägen wurden sofort wieder Rufe nach strengere Überwachung laut. Verlieren wir dadurch nicht die Fundamente unserer liberalen Gesellschaft?

Bestimmt. Der Patriot Act 2001 war eine Katastrophe für Amerika, und ich fürchte, dass der 7. Jänner 2015 dieselbe Rolle für Europa spielen wird wie der 11.September 2001 für Amerika. Und ich muss sagen: Ich bin nicht Charlie. Je ne suis pas Charlie, das ist eine ganz falsche Idee.

Inwiefern?
Dass alle jetzt schreiben, sie sind Charlie.

Aber da geht es doch um Solidarität mit den Opfern, nein?

Natürlich war das eine Tragödie, das muss man nicht extra betonen. Aber am selben Tag wurden 2000 Leute in Nigeria erschossen, und davon spricht niemand. Niemand. Weil das nicht hier ist, sondern tausende Kilometer entfernt, das ist Heuchelei, das kann ich nicht akzeptieren. Auch hier sind meine Augen vielleicht etwas schärfer. Deshalb bin ich nicht Charlie.
Die Tragödie in Paris ist für mich eine Konsequenz von Multikulturalismus, Immigration und falsche Rhetorik der Politiker. Etwas anderes ist die menschliche Tragödie des Terrorismus.

Ich erinnere mich an eine EU-Tagung, in Frankreich regierte noch Präsident Chirac, damals gab es in den südeuropäischen Ländern eine erste massive Einwanderungswelle von Afrikanern. Chirac hat nur über den Sicherheitsaspekt gesprochen. Ich habe dann gesagt: Herr Präsident, sind Sie der Meinung, dass das alles helfen kann? Ist nicht die ursprüngliche Ursache die Sozialpolitik Europas, die die Leute motiviert, herzukommen? Chirac hat dann geschrien: Klaus will den Sozialstaat in Europa abbauen. Ja! Denn das ist die ursprüngliche Ursache: der Sozialismus in Europa.

Zur Person

Václav Klaus (*19. Juni 1941 in Prag) war von 1992 bis 1998 Ministerpräsident der Tschechischen Republik (zunächst noch im Rahmen der Tschechoslowakei) und von 2003 bis 2013 ihr Staatspräsident. Der konservative Politiker ist studierter Ökonom. Klaus nahm am zwölften internationalen „com.sult“-Kongress teil, der diese Woche zum Thema "Macht der Regionen" in Wien tagte.

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