Dirk Schumacher: „Die Deflationsangst ist übertrieben“

(c) BilderBox
  • Drucken

Dirk Schumacher, deutscher Chefökonom von Goldman Sachs, glaubt an einen neuen Schuldenschnitt in Griechenland – nicht aber an die Gefahr einer Deflationsspirale in Europa.

Was wird die EZB am Donnerstag ankündigen?

Unserer Meinung nach, dass die Ankäufe weiter ausgedehnt werden – da es sich gezeigt hat, dass die bisherigen Programme nicht ausreichen können, die Bilanz der EZB um eine Billion Euro auszuweiten. Und weil die Gefahr einer langfristig niedrigen Inflation die Inflationserwartungen durcheinander bringen kann. Sprich: Staatsanleihen im großen Stil kaufen. Wahrscheinlich wird uns auch eine Zahl genannt werden. 500 Mio. Euro ist die Erwartung.


Welche Fragen sind noch zu beantworten?

Die Frage des Zeitraums und der Risikohaftung sowie die Frage, welche Länder sich für das Kaufprogramm qualifizieren und welche nicht, wird wohl nicht sofort beantwortet werden. Ich vermute, dass die Vergemeinschaftung des Risikos Teil des Programms sein wird. Aber wir wissen natürlich auch, dass diverse Spieler das lieber vermeiden würden.


Weil diese Risikohaftung in erster Linie Deutschland trifft. Welche Reaktion erwarten Sie?

Die Bundeskanzlerin hat schon betont, dass die EZB unabhängig handelt. Das ist sicherlich ein Signal. Man hat klargemacht, dass man die Geldpolitik nicht überfrachten sollte. Aber wenn die Risikohaftung kommt, wird das wohl nicht zu einer großen politischen Krise führen.


Was ist die Gefahr bei einer Risikohaftung?

Sollten aus den Ankäufen von Staatsanleihen irgendwelche Verluste entstehen, müssen diese nach dem Kapitalschlüssel der EZB geteilt werden – aber dasselbe gilt auch für etwaige Gewinne. Aber letztlich ist diese Frage arg akademisch. Weil sollte ein großes Land tatsächlich in Schieflage geraten, dann haben wir ganz andere Probleme. Aber es macht einen Unterschied für die politische Diskussion.


Deutsche Ökonomen und Notenbanker halten kräftig dagegen.

Ja, aber wenn man das hätte stoppen wollen, hätte man den Streit früher eskalieren lassen müssen. Diejenigen in der EZB, die Anleihenkäufe für unumgänglich halten, sind sehr entschlossen, das jetzt auch zu tun. Über die Details kann man natürlich noch reden. Aber Risikohaftung ist auch wichtig, um die Effizienz des Programms zu unterstreichen. Das Signal an die Märkte muss sein: Das ist eine gemeinsame Aktion und ein weiterer Schritt in Richtung einer vertieften Währungsunion mit allem, was dazu gehört. Würde man keine gemeinsame Risikohaftung haben, wäre das ein Signal in Richtung einer Renationalisierung der Geldpolitik.


Sehen Sie eine Deflationsgefahr?

Ich glaube, die Deflationsangst ist übertrieben. Wir hatten zwar eine negative Inflationsrate im Dezember – aber wir wissen auch, dass das vor allem am niedrigen Ölpreis liegt. Ich halte das Argument, dass die privaten Haushalte den Konsum zurückfahren, weil sie auf noch niedrigere Preise warten, für kein gutes. Die Evidenz dafür ist sehr gering. Länder, in denen die Preise fallen, erleben eher stärkeren Konsum. Es gibt auch bei uns genug Beispiele für Waren und Dienstleistungen, bei denen die Preise seit Langem fallen. Das heißt aber nicht, dass wir davon weniger kaufen. Im Gegenteil. Die Deflationsgefahr zeigt, dass es Nachfrageschwäche gibt – ja. Aber dass sich das von selbst verschärft, diese Gefahr sehe ich nicht.


Heißt: Die Ursachen sind nicht in der Geldpolitik zu suchen?

Normalerweise würde die Geldpolitik entgegensteuern, damit das Wachstum die Inflationsrate wieder auf rund zwei Prozent bringt. Aber die Mittel sind begrenzt. Man kann schon noch mehr machen – und das wird die EZB am Donnerstag auch beschließen. Die Frage ist nur: Was bringt's? Und ist das Risiko tatsächlich so groß? Wir hatten in der Eurozone Länder, die durch deflationäre Phasen gegangen sind. Irland hat einen Rückgang im Preisniveau um vier Prozent gesehen, dann hat es sich wieder stabilisiert, und es ging weiter. Deflationäre Phasen machen ein Land nicht automatisch zum nächsten Japan.


Wem nützt die Deflation, wem nützt die Inflation?

Inflation führt zu einer gewissen Verteilung von unten nach oben. Das liegt daran, dass Menschen mit höherem Einkommen sich eher gegen Inflation, also die Entwertung der Währung, schützen können als Personen mit niedrigem Einkommen. Die Wohlhabenden können im großen Stil in Anlageklassen gehen, die sie vor Inflation schützen. Deflation nützt den Kreditgebern und schadet den Kreditnehmern. Aber wir reden ja heute nicht von einem Rückgang des Preisniveaus um 30 Prozent – es geht um ein, zwei Prozent. Für eine Deflation wie in den 1930er-Jahren brauche ich aber massive Preisrückgänge.


Wird es einen zweiten Schuldenschnitt für Griechenland geben?

Vermutlich wird es noch einen Schuldenschnitt geben müssen. Griechenland ist in einer sehr schwierigen Situation. Es braucht sicher außergewöhnliche Anstrengungen, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Sie haben aber keinen unmittelbar riesigen Refinanzierungsbedarf. Wenn Griechenland über die nächsten Jahre sehr stark wachsen würde, könnte sich der Schuldenstand sogar stabilisieren.


Wäre ein Euro-Austritt Griechenlands nicht vielleicht doch die bessere Lösung?

Es wäre für alle Beteiligten mit vielen Risken verbunden. Und wenn Griechenland die nötigen Reformen macht, dann ist es besser, sie bleiben im Euro. Wenn sie ausscheiden, besteht nämlich die Gefahr, dass andere Südländer höhere Zinsen bekommen, weil wir einen Präzedenzfall geschaffen haben.

Zur Person

Dirk Schumacher ist Chefvolkswirt für Deutschland und Volkswirt für „Euroland“ bei der US-Investmentbank Goldman Sachs in Frankfurt. Schumacher arbeitet seit 1999 für die US-Investmentbank. Der 44-Jährige hat in Bonn und Frankfurt studiert und vor Goldman für die Commerzbank gearbeitet. Sein Doktorvater ist Axel Weber, der im April 2011 als Chef der Deutschen Bundesbank zurückgetreten ist – aus Protest gegen die Staatsanleihenkäufe durch die EZB.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

EZB-Neubau in Frankfurt am Main
International

Die Deflation ist kein Gespenst

Fallende Preise, alle Mann in Deckung? Die Deflationsangst ist übertrieben, der Markt versucht bloß die Exzesse der vergangenen Jahrzehnte zu bereinigen – man lässt ihn aber nicht.
International

Euro: Niemand muss die Deflation fürchten

In Europa herrscht blanke Deflationspanik. Dabei sind die fallenden Preise bloß Teil eines Gesundungsprozesses. Außer in Österreich, wo die Regierung das Preisniveau nach oben treibt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.