Ukraine: Tödliche Geschosse auf Trolleybus

UKRAINE CRISIS
UKRAINE CRISIS(c) APA/EPA/ALEXANDER ERMOCHENKO (ALEXANDER ERMOCHENKO)
  • Drucken

Mindestens neun Zivilisten starben bei Granatbeschuss eines Wohnviertels. Die Armee zog sich vom Flughafen der Stadt zurück.

Wien/Donezk. Der Tod kam wieder aus der Luft. Neun Tage nach der Tragödie nahe dem Ort Wolnowacha, bei der 13 Zivilisten durch einen Raketeneinschlag in einen Kleinbus getötet wurden, starben gestern erneut mehrere Bürger unter Beschuss. Diesmal geschah es nicht auf der proukrainischen Seite der Front, sondern mitten in Donezk. Gegen halb zehn Uhr früh (Lokalzeit) geriet eine Haltestelle auf dem viel befahrenen Kuprin-Prospekt im Lenin-Viertel unter Beschuss. Viele Menschen waren auf den Straßen, sie fuhren zur Arbeit oder gingen einkaufen.

Granaten schlugen in den Asphalt ein. Für mehrere Passagiere eines lilafarbenen Trolleybusses der Linie 17 endete dies tödlich: In sozialen Netzwerken sind Bilder des Fahrzeugs zu sehen, dessen Scheiben zerschossen sind, in dem Bus sind mehrere Passagiere tot in den Sitzen zusammengesackt, auf dem Boden Glassplitter und Blut. In der Nähe des Busses wurde ein Auto getroffen, das ausbrannte: Auch der Fahrer konnte sich nicht mehr retten. In den anliegenden Wohnhäusern barsten durch die Wucht der Detonation die Scheiben, mehrere Geschäftslokale wurden zerstört. Rettungskräfte und bewaffnete Kämpfer bargen mindestens neun Leichen, manche Quellen sprechen von 13. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden verletzt. Auch Beobachter der OSZE kamen an den Ort des Geschehens. In Wolnowacha hatten die Beobachter bei nachfolgenden Untersuchungen festgestellt, dass der Beschuss aus Nordnordost gekommen war – was auf die Stellungen der Separatisten schließen lässt.

Lawrow: „Grobe Provokation“

Über die Urheberschaft des Angriffs auf dem Lenin-Prospekt liegen noch keine gesicherten Fakten vor. Dennoch machten sogleich zahlreiche Gerüchte die Runde. Vonseiten der von Russland unterstützten Separatisten hieß es, eine ukrainische Partisanengruppe, die sich mithilfe eines Gefährts innerhalb von Donezk bewege, sei verantwortlich.

Die Attacke wurde offenbar mit einem tragbaren Granatwerfer, Kaliber 82, durchgeführt. Laut Experten haben diese Waffen eine Reichweite von maximal sieben Kilometern. Die Beobachter der OSZE sprachen nach einer ersten Krateranalyse von einer nordwestlichen Schussrichtung – nördlich der Stadtgrenze stehen ukrainische Truppen, die sich nach der gestrigen Aufgabe des Flughafens von Donezk in die umliegenden Dörfer zurückgezogen haben – nach 242 Tagen „heldenhafter Verteidigung“, wie das Freiwilligenbataillon Asow im Internet schrieb.

Die ukrainische Armeeführung stritt die Verantwortung für den Busbeschuss ab – und erklärte, dass die ukrainischen Stellungen, die 15 Kilometer entfernt lägen, niemals einen solchen Angriff durchführen könnten. „Alle Fakten deuten darauf hin, dass die Terroristen das Transportfahrzeug aus den Wohngebieten beschossen haben“, hieß es in einer Stellungnahme. Auch der ukrainische Premierminister, Arsenij Jazenjuk, gab den prorussischen Separatisten und der Moskauer Führung die Schuld an dem Angriff. Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, sprach dagegen von einer „groben Provokation“ der ukrainischen Seite.

Die Separatisten nutzten ihrerseits den tragischen Vorfall zu Propagandazwecken. Sie zwangen etwa 20 ukrainische Gefangene dazu, sich den Tatort anzusehen. Dutzende Einwohner versammelten sich, einige von ihnen beschimpften und bewarfen die Soldaten mit Glasscherben und anderen Objekten.

Die internationalen Vermittlungsversuche haben nach dem gestrigen Ereignis erneut einen Dämpfer erhalten. In Berlin war am Vortag bei einem Treffen im „Normandie“-Format der Abzug der schweren Waffen aus der Pufferzone vereinbart worden. Am Donnerstag war davon nichts zu bemerken. Die Nato zeigte sich angesichts der Landgewinne der Separatisten beunruhigt und sprach von einem Kampfniveau wie zu Zeiten vor dem Waffenstillstand.

Ministerrücktritt wegen Waffenkaufs

In Bosnien und Herzegowina zeigen indes geplante Waffenlieferungen an die Ukraine politische Konsequenzen: Der bosnische Handelsminister, Boris Tučić, trat gestern zurück, nachdem er sich geweigert hatte, einem Waffen- und Munitionsverkauf an Kiew zuzustimmen. Er gehört zur Partei des Bundes der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), der Regierungspartei von Milorad Dodik in der Republika Srpska.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Teilnehmer der Gespräche in Minsk
Außenpolitik

Ukraine: Neuer Rückschlag im Ringen um Frieden

Ein Treffen der Kontaktgruppe in Minsk ging nach wenigen Stunden ohne Lösung zu Ende.
Einst Putins Judo-Partner, jetzt Oligarch: Arkadi Rotenberg
Außenpolitik

Putin-naher Oligarch soll Brücke auf die Krim bauen

Der Unternehmer Arkadi Rotenberg ist ein Judo-Partner des russischen Präsidenten und steht auf der EU-Sanktionsliste. Die Fertigstellung der Brücke ist für 2018 geplant.
BELARUS UKRAINE PEACE TALKS
Außenpolitik

Ukraine-Krise: Treffen der Kontaktgruppe abgesagt

Die Vertreter aus Kiew hätten eine Teilnahme an den Verhandlungen in Minsk abgesagt, behauptet Separatistenanführer Puschilin.
Ukrainische Soldaten üben schießen
Außenpolitik

Heftige Kämpfe im Donbass

Fünf Soldaten starben. Für Freitag ist ein Krisentreffen in Minsk mit Vertretern der Ukraine, der Separatisten, OSZE und Russland geplant.
Andris Bērziņš
Außenpolitik

Baltische Ängste vor Separatismus

Mit Sorge beobachtet Riga die Propaganda für eine „Volksrepublik“ im russisch dominierten Landesteil Lettgallen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.