Saudiarabien: Das Erbe des erzkonservativen „Reformers“

Mourners gather around the grave of Saudi King Abdullah following his burial in Riyadh
Mourners gather around the grave of Saudi King Abdullah following his burial in Riyadh(c) REUTERS (FAISAL AL NASSER)
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König Abdullah versuchte sein rigides Reich sachte zu modernisieren. Sein Tod kommt für das Land zu einem schlechten Zeitpunkt. Die Spannungen innerhalb des Herrscherclans sind groß, und in der Gesellschaft wächst der Unmut über die Superreichen.

Kairo. „Ich verkünde euch gute Nachrichten“, hatte noch am Vorabend zu Freitag ein Mitglied der Königsfamilie frohgemut getwittert. „Dem Hüter der beiden Heiligen Stätten geht es gut, und an den Gerüchten, die im Umlauf sind, ist nichts dran.“ Keine drei Stunden später wurde im Staatsfernsehen das offizielle Kommuniqué des saudischen Hofes verlesen: Monarch Abdullah bin Abdulaziz ist tot, gestorben um ein Uhr früh im King-Abdulaziz-Medical-City-Hospital in Riad an den Folgen einer Lungenentzündung.

Bereits am Nachmittag nach dem Freitagsgebet wurde der 90-Jährige in Riad auf dem Friedhof beigesetzt, wo die gesamte Königsfamilie begraben liegt. Zu der Trauerfeier in der Imam-Turki-bin-Abdullah-Moschee in Riad waren neben den Golfpotentaten auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Pakistans Regierungschef Nawaz Sharif angereist.

Staatstrauer und Gefolgschaftsschwur

Noch in der Nacht wurde der 79-jährige bisherige Kronprinz Salman bin Abdulaziz zum Nachfolger proklamiert, der eine dreitägige Staatstrauer verkündete. Er werde die Richtung des Königreiches nicht ändern, erklärte er in einer kurzen Mitteilung an das Volk und forderte seine Landsleute auf, zusammenzustehen und Einigkeit zu zeigen. Die Bürger der Hauptstadt Riad wurden gebeten, zum Palast zu kommen und dem neuen Herrscher Gefolgschaft zu schwören.

Für das arabische Königreich mit den größten Rohölreserven der Welt kommt Abdullahs Tod zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Im Inneren wie im Äußeren türmen sich die Probleme wie selten zuvor.

Daran, ob der neue Monarch Salman überhaupt amtsfähig ist, bestehen erhebliche Zweifel. Er leidet offenbar unter den Folgen eines Schlaganfalls, möglicherweise auch unter beginnender Demenz. Zwar absolvierte Salman in den vergangenen Monaten ein dichtes Programm öffentlicher Auftritte, doch nach der ersten Begrüßung würden seine Sätze rasch „inkohärent“, berichteten Beobachter.

Umstrittener Jüngster mit 69 Jahren

Der bisherige Vize-Kronprinz Muqrin bin Abdulaziz, der nun als neuer Kronprinz nachrückte, ist mit 69 Jahren der jüngste noch lebende Spross von Abdulaziz al-Saud, jedoch unter den 34 thronberechtigten Familienstämmen umstritten. Aus Sicht einiger mächtiger Wüstenaristokraten hat der in Großbritannien ausgebildete Kampfpilot keinen Anspruch auf den Thron, weil er von einer jemenitischen Sklavin abstammt, die der Staatsgründer seinerzeit als 15-Jährige schwängerte. Und so verweigerten nach Muqrins Ernennung sieben der 34 Repräsentanten im sogenannten Huldigungsrat ihre Zustimmung oder enthielten sich der Stimme – Indiz für wachsende Spannungen innerhalb des weit verzweigten Königsclans.

Aber auch in der Gesellschaft gärt es. Im saudischen Cyberspace wächst der Unmut über die Klasse der rund 8000 Prinzen und der mit ihnen verbundenen Familien, einer superreichen Petrol-Nomenklatura von etwa 100.000 Personen. Bei der Zahl der Twitter-Botschaften pro Kopf liegt Saudiarabien inzwischen vor den Vereinigten Staaten. In keinem Land gibt es mehr YouTube-Nutzer als in der Heimat des Propheten Mohammed, wo jeden Tag 90 Millionen Videos abgerufen werden. Auf Facebook werden Korruptionsfälle teilweise detailgenau ausgebreitet und skurrile Fatwas wahabitischer Scheichs verspottet.

Als Reaktion erließ Saudiarabien ein Gesetz gegen sogenannte Cyberkriminalität, das derartige Onlinekritik unter Strafe stellt. Gleichzeitig wurden Menschenrechtler und Dissidenten serienweise mit Prozessen überzogen wegen „Unruhestiftung“, „Verleumdung des Königreiches“ und „Rebellion gegen die Autoritäten“. Die öffentliche Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi vor der Al-Jafali-Moschee in Jeddah hat Saudiarabien weltweit in Misskredit gebracht. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 80 Menschen in Saudiarabien öffentlich enthauptet, eine Praxis, die das Königreich auch im Jänner demonstrativ fortführte.

Bescheidenes Auftreten

Abdullah, der als junger Mann stotterte, kam 2005 nach dem Tod seines durch einen Schlaganfall gelähmten Halbbruders, König Fahd, auf den Thron, dessen Amtsgeschäfte er bereits seit 1996 geführt hatte. Schnell gewann er die Herzen der Bevölkerung, weil er persönlich sehr bescheiden auftrat. Er schuf die Anrede „Seine Majestät“ ab, hielt jede Woche eine Sprechstunde für einfache Leute in seinem Palast ab und verbot den Besuchern, ihm bei der Begrüßung seine Hand zu küssen.

Insgesamt 13 Mal war er verheiratet, niemals jedoch mit mehr als vier Frauen gleichzeitig, wie es die Scharia vorschreibt. Namentlich bekannt sind sieben Söhne und 15 Töchter.

Abdullah verfolgte einen moderaten Modernisierungskurs. Mehr als 100.000 junge Frauen und Männer konnten während seiner knapp zehnjährigen Amtszeit mit Regierungsstipendien im Ausland studieren. Der Monarch schränkte die Macht der Religionspolizei ein und berief zum ersten Mal mit Nora al-Fayiz eine Frau in die Regierung, die als Vize-Bildungsministerin für die Mädchenbildung zuständig ist. Zudem krempelte er den 21-köpfigen Rat der islamischen Rechtsgelehrten um, das mächtigste Instrument der frommen Hardliner. Erstmals sind nun auch die liberaleren islamischen Rechtsschulen wieder vertreten.

Größte arabische Frauenuniversität

2009 weihte er die King Abdullah University of Science and Technology ein, die er mit einem Stiftungskapital von zehn Milliarden Dollar in die Liga der hundert besten Lehranstalten der Welt katapultieren will. Auch in anderen Teilen Saudiarabiens werden Hochschulen aus dem Boden gestampft. Nahe dem Flughafen von Riad entstand eine neue Frauenuniversität für 40.000 Studentinnen, die größte in der gesamten arabischen Welt. 120 Kilometer von Jeddah entfernt, an der Küste des Roten Meeres, gründete er die King Abdullah Economic City, in der einmal zwei Millionen Menschen leben sollen.

2003 berief er in den Schura-Rat, das vom König berufene 150-köpfige Parlament, erstmals 30 Frauen. Bei den Kommunalwahlen 2015 dürfen saudische Frauen zum ersten Mal in der Geschichte ihres Landes mitabstimmen. Dennoch blieb auch unter seiner relativ aufgeklärten Herrschaft das Autofahrverbot für Frauen in Kraft, ebenso wie die erzkonservativen Vormundschaftsregeln, die Frauen de facto im Status von Minderjährigen halten und vollkommen von der Autorität ihrer männlichen Familienmitglieder abhängig machen.

Während des Arabischen Frühlings stellte König Abdullah seine Untertanen mit zusätzlichen 130 Milliarden Dollar für Gehaltserhöhungen, neue Stellen und billige Wohnungskredite politisch ruhig. Dem abgesetzten tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali gewährte er Asyl. In Bahrain ließ er Truppen einmarschieren, um dem sunnitischen Königshaus zu helfen, den Aufstand der schiitischen Mehrheit zu unterdrücken. Die Machtübernahme von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi in Ägypten, der den Muslimbruder Mohamed Mursi mit Militärgewalt abgesetzt hatte, unterstützte Abdullah mit Milliardensummen.

Der neue König Salman ernannte als erste Amtshandlung seinen Sohn Mohammed bin Salman zum neuen Verteidigungsminister, der wichtigste Posten zur Absicherung der Königsmacht. In Jeddah und Riad, den beiden größten Städten, waren die Straßen den ganzen Tag über sehr ruhig, auch weil an Freitagen alle Geschäfte geschlossen sind und die Arbeit ruht.

Dreitägige Twitter-Pause

Selbst in den sozialen Netzwerken herrschte ein eher gedämpfter Ton. Manche erklärten eine dreitägige Twitter-Pause aus Respekt vor dem Verstorbenen. „Abdullah war nicht nur der König, er war auch wie ein Vater“, postete eine junge Frau aus Riad. Die Aktivistinnen für „Frauen am Steuer“ dagegen kommentierten den Tod des Monarchen lediglich indirekt mit den Worten: „Für alle Kreaturen – ob groß oder klein – von euch bleibt nichts übrig als eure Taten und euer Grab. Nur Gott existiert für immer.“

Abdullah habe das Land vorangebracht, „wir verdanken ihm viel“, urteilte dagegen ein wohlhabender Geschäftsmann aus Jeddah, dessen Familie eine der größten Baufirmen des Landes gehört und der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Eine so große Gesellschaft wie die saudische sei nun einmal schwer zu steuern. Der König habe sich vielleicht mehr Reformen gewünscht, habe aber nur so schnell vorangehen können, wie die Gesellschaft mitziehe.

ZUR PERSON

König Abdullah bin Abdulaziz, nach offiziellen Angaben 1924 geboren, führte die Amtsgeschäfte in Saudiarabien de facto seit 1996, den Thron bestieg er 2005 nach dem Tod seines Halbbruders Fahd. In der Bevölkerung war der Sohn des Staatsgründers Abdelaziz bin Saud und sechste König aufgrund seines bescheidenen Auftretens beliebt. Er galt als moderater Reformer, ging aber auch hart gegen Menschenrechtler und Dissidenten vor. Insgesamt war er 13 Mal verheiratet. [ Reuters ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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