„Regengötter“: Selbst Mörder bleiben Menschen

„Regengötter“
„Regengötter“(C) HEYNE
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Für „Regengötter“ erhielt James Lee Burke kürzlich den Deutschen Krimipreis. In dem Krimi-Epos erzählt er von Schuld und den vielen Schattenseiten menschlicher Existenz.

Es gibt Bücher, an denen führt für passionierte Krimileser – und eigentlich Leser überhaupt – kein Weg vorbei. „Regengötter“ des US-Autors James Lee Burke ist ein solch weises Buch, das sich gekonnt des Krimigenres bedient. Denn eigentlich erzählt Burke eine zeitlose Geschichte über Menschen, die üble Taten begehen, Schuld auf sich laden und trotzdem versuchen, Mensch zu bleiben. Die einen stehen auf der Seite des Gesetzes, die anderen sind Verbrecher. Doch Burke vermeidet simples Schwarz-Weiß. Selten zuvor war Grau so schön.

Nicht umsonst landete Burkes 662 Seiten dickes Krimi-Epos auf Platz eins der renommierten Krimi-Zeit-Jahresbestenliste 2014 und hat soeben auch den Deutschen Krimipreis in der internationalen Kategorie gewonnen. Dieser Erfolg ist vor allem deshalb wichtig, weil von dem 78-jährigen US-Autor über ein Jahrzehnt lang kein neues Buch mehr auf Deutsch publiziert wurde. Vielleicht macht das dem Verlag Mut, Burke zu einer ähnlichen Blüte zu verhelfen wie sie sein Kollege Don Winslow erleben durfte.

Zur Geschichte: Hinter einer verlassenen Kirche in Texas findet der in die Jahre gekommene Sheriff Hackberry Holland die Leichname von neun Frauen – illegalen Migrantinnen. Sie wurden offenbar hektisch vergraben, denn die Erde wurde nur notdürftig mit dem Bulldozer plattgewalzt. Einige der Frauen dürften sogar noch gelebt haben, als sie begraben wurden.


Moralkodex statt Gesetzen. Holland verbeißt sich in den Fall, der aber von vielen Seiten beleuchtet wird – etwa aus der Sicht jenes Verlierertypen, der Zeuge der Tat wurde oder aus Perspektive der Drahtzieher im Hintergrund des Frauenmörders. Die faszinierendste Figur ist zweifellos „Preacher“, der psychopathische Killer, den Burke aber nicht genretypisch als den Superbösen darstellt. Wie alle anderen Charaktere auch ist seine Persönlichkeit vielschichtig, seine Handlungen entsprechen oft nicht dem Erwartbaren, erfolgen instinktiv. Preacher lebt und handelt nach seinem ganz eigenen Moralkodex – wie eigentlich alle Burke-Figuren. Ganz so, als gäbe es die Welt mit all ihren Regeln und Gesetzen da draußen gar nicht. Preacher zeigt sich gnädig, wo andere Mörder ihren Job einfach verrichtet hätten, dann aber wieder gnadenlos, wenn man nicht mehr damit rechnet. Und wohl noch nie zuvor hat sich ein abgebrühter Killer so oft von Frauen verprügeln lassen.

Fast alle Figuren tragen Erinnerungen und Narben aus der Vergangenheit mit sich herum, ohne darüber zu klagen. Sie scheinen ihr Schicksal zu akzeptieren, ohne Wehleidigkeit und Selbstmitleid. Auf die Frage, ob er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im Irak mit dem Trinken begonnen habe, antwortet etwa der bereits erwähnte Verlierertyp Pete: „Das Saufen liegt in meiner Familie. Ich glaub nicht, dass der Krieg irgendetwas damit zu tun hat.“

Burke ist ein ruhiger, gelassener Erzähler, der es versteht, einer tausendmal erzählten Geschichte neue Nuancen abzugewinnen. Mit seinen präzisen Dialogen erzählt er viel über die von ihm erschaffenen Charaktere. Etwa, wenn Preacher erklärt, warum er seine Hauptmahlzeit erst am Abend zu sich nimmt, und auch da nur einen halben Teller: „Ein Pferd hat den Magen immer nur bis zur Hälfte gefüllt. Somit hat es genug Energie, um sich gegen seine Feinde zu wehren oder zu fliehen, und wird gleichzeitig nicht schwerfällig durch einen vollen Bauch.“


Stoff für TV-Serie. Undenkbar ist Burke auch ohne seinen naturphilosophischen Ansatz, dessen sich auch viele andere kürzlich auf Deutsch erschienene US-Krimiautoren wie Bruce Holbert oder Kim Zupan bedienen. Die idyllischen Landschaftsbilder stehen im unbarmherzigen Kontrast zu jener physischen und psychischen Gewalt, die sich die Menschen ständig gegenseitig zufügen.

Verwunderlich eigentlich, dass nicht schon längst irgendein US-TV-Sender aus dem Stoff eine Miniserie gemacht hat. Spätestens seit dem Erfolg von „True Detective“ würde das auf der Hand liegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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