Vor 80 Jahren: Erster westlicher Staat erlaubt Abtreibung

Symbolbild: Operationssaal
Symbolbild: OperationssaalAPA/HELMUT FOHRINGER
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Im Jahr 1935 legalisierte Island den Schwangerschaftsabbruch – und wurde zum Vorreiter für westliche Demokratien. Allerdings: Die Ersten waren andere.

„Frauen haben sich nie zwingen lassen, Kanonenfutter zu produzieren, sondern möchten die Zahl und den Zeitpunkt ihrer Kinder selbst bestimmen“, sagt Christian Fiala, Leiter des Wiener Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS). Sie fanden Wege, wie das Aufsuchen von Engelmacherinnen, die mithilfe von Stecknadeln, giftigen Pflanzen oder Seifenlaugen Embryos „entfernten“. Die Folge: Unzählige Frauen starben qualvoll oder hatten mit Verstümmelungen zu leben. In Island war dies vor 80 Jahren nicht anders: Abtreibungen wurden mit acht Jahren Arbeitslager bestraft, heimlich durchgeführt wurden sie dennoch.

Am 28. Jänner 1935 sollte sich das ändern: Das isländische Parlament legalisierte den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Umständen. „Als erster westlicher Staat“, wie Fiala im Gespräch mit der „Presse“ betont. Als Grund nennt er die vorherrschende demokratische Gesellschaftsform. „Schon vor tausend Jahren debattierte man in Island Anliegen öffentlich, unter freiem Himmel und stimmte darüber ab“, so der ärztliche Leiter des Gynmed-Ambulatoriums in Wien. 1935 stand die hohe Muttersterblichkeit wegen heimlicher Abtreibungen auf der Agenda.

Ärzte brechen Lanze für Abtreibung

Während Ärzte in anderen Ländern die Legalisierung von Abtreibungen mit dem Argument ablehnten, dass damit eine Verwilderung der Geschlechtssitten einhergehen könnte, kämpften isländische Mediziner für die Erlaubnis. So war der Vorsitzende der Ärzteorganisation Vilmundur Jónsson nicht nur aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, sondern auch Autor des „Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft“. Dessen Inhalt gibt Herbert Heiss in seinem Buch „Die Abortsituation in Europa und in außereuropäischen Ländern“ wieder: „Wenn einer schwangeren Frau mehr als zwölf Wochen an der vollen Schwangerschaftsperiode fehlen und es augenscheinlich ist, dass ihre Gesundheit einer schweren Gefahr ausgesetzt sein würde, wenn die Schwangerschaft fortgesetzt wird, (...), ist der Arzt berechtigt, die Schwangerschaft zu unterbrechen (…). Dabei kann berücksichtigt werden, ob die Frau vorher in kurzen Abständen mehrere Kinder und das letzte davon erst kürzlich geboren hatte oder ob die Frau wegen mehrerer unversorgter Kinder, wegen Armut oder ernster Krankheit im Hause unter sehr schlechten häuslichen Verhältnissen zu leiden hat.“

Das Parlament verabschiedete das Gesetz am 28. Jänner 1935. Wie die Historikerin Unnur Birna Karlsdottir 2005 in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ festhielt, präsentierte Island damit „das Vorläufermodell für eine 'Abtreibung aus sozialer Indikation', die in den meisten europäischen Ländern erst 40 Jahre später legalisiert werden wird“.

Sowjetunion als Vorreiter

Allerdings: Neu war das alles nicht. „Zwar war Island Vorreiter für westliche Demokratien, tatsächlich aber war Island die Sowjetunion zuvorgekommen“, sagt Fiala. Bereits 1913 hatte die Russländische Medizinische Gesellschaft dazu aufgerufen, Abtreibungen zu legalisieren. 1920 wurden ihre Rufe erhört und die UdSSR damit das erste Land der Welt mit einem Gesetz, das den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche erlaubt. Eine Errungenschaft, die 1936 Josef Stalins patriarchalischer Familiengesetzgebung zum Opfer fiel und erst nach dem Krieg 1955 wieder in Kraft trat.

„Es ist zu beobachten, dass der Abbruch in Monarchien und Diktaturen stets unter Strafe stand und steht, da die Herrschenden ein großes Volk mit vielen Soldaten wollen. Rumäniens Diktator Nicolae Ceaușescu ging sogar so weit, Frauen regelmäßig zwangsweise zu untersuchen. Waren sie schwanger, wurde kontrolliert, dass die Kinder auch geboren wurden. Viele dieser Kinder kamen dann in die berüchtigten Kinderheime oder endeten auf der Straße.“ Demgegenüber wollten Demokratien „die Gesundheit und das Überleben der Frauen sichern, indem sie die Muttersterblichkeit zu reduzieren suchten und daher Abtreibungen legalisierten“.

In Österreich ist die Abtreibung seit 1975 straffrei, wenn sie, nach ärztlicher Beratung, in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft erfolgt. Das Gesetz wurde 1974 lediglich mit den Stimmen der SPÖ beschlossen und trat am 1. Jänner 1975 in Kraft. „Allerdings besteht nach wie vor ein Paradoxon“, kritisiert der MUVS-Leiter. „Die Bevormundung im intimsten Lebensbereich, Sexualität und Fruchtbarkeit, steht als absurdes Relikt der Monarchie nach wie vor im Strafgesetzbuch (§ 96 bzw. § 97). Wir sollten uns fragen, ob es da hingehört. Immerhin geben wir uns als aufgeklärte, gleichberechtigte und selbstbestimmte Gesellschaft aus.“

>> Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

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