Nach monatelangen Kämpfen erobern kurdische Einheiten die Stadt Kobane vollständig von den Jihadisten zurück und zerstören damit den Unbesiegbarkeitsmythos des IS.
Es sind Bilder, die vom Triumph über die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) zeugen sollen: Frauen in den Uniformen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ umarmen einander freudestrahlend. Bewaffnete Kurden posieren in Kaniya Kurda, einem Teil Kobanes, der lange umkämpft war. Und auf einem Hügel über der Stadt weht eine riesige kurdische Flagge.
In den sozialen Netzwerken feierten syrische und irakische Kurden bereits am Montagvormittag den Sieg über die Jihadisten. Am Nachmittag meldete auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte: Die Stadt Kobane, die monatelang vom IS belagert und großteils besetzt worden war, wurde von den Kurden vollständig zurückerobert.
In den Dörfern außerhalb der Stadt wird laut kurdischen Quellen aber weiter gegen die Extremisten gekämpft. Kurdische Einheiten durchsuchen die Häuser im Osten Kobanes nach Sprengfallen. Der IS legt auf seinem Rückzug immer wieder Minen und versteckt Sprengladungen im herumliegenden Hausrat zerstörter Wohnungen.
Die vorläufige Niederlage in Kobane ist ein schwerer Rückschlag für den IS. Die kurdische Enklave reißt gleichsam ein Loch in das von der Terrormiliz kontrollierte Territorium, das sich vom Westen Syriens über das nordirakische Mossul bis vor die Tore der irakischen Hauptstadt Bagdad zieht. Deshalb wollte der IS Kobane unbedingt einnehmen.
Als klar wurde, dass die Extremisten auf heftigen Widerstand stoßen, schien der Kampf um die Stadt für sie zu einer Frage der Ehre zu werden. Dass ein Sieg ausblieb, ist für sie auch eine psychologische Niederlage. Sie sonnten sich lange in dem Mythos der unbesiegbaren, mit Todesverachtung kämpfenden Krieger, die nur in ihren Geländewagen mit wehenden schwarzen Flaggen anzurücken brauchten, und ganze irakische Divisionen nahmen Reißaus. Dieses Propagandabild hat jetzt tiefe Kratzer bekommen.
Hilfe durch US-Luftangriffe
Auch für die Kurden ist Kobane von großer strategischer Bedeutung. Wäre die Stadt gefallen, wäre der mittlere Teil aus den syrischen Kurdengebieten – von den Kurden Rojava genannt – herausgebrochen worden. In den Wirren des syrischen Bürgerkrieges haben Syriens Kurden diese Regionen unter ihre Kontrolle gebracht und eine Selbstverwaltung eingerichtet, die von der Partei der Demokratischen Union (PYD) angeführt wird. Die PYD gilt als Schwesterorganisation der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die jahrzehntelang einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat geführt hat.
Die türkische Regierung versuchte deshalb lange, militärische Hilfe von außen für die kurdischen Verteidiger Kobanes abzuwehren. Nach anfänglichem Zögern startete die von den USA geführte Anti-IS-Allianz im Herbst Luftangriffe auf die Jihadisten bei Kobane und anderswo.
Auf internationalen Druck hin öffnete die Türkei Ende Oktober einen Korridor, durch den Peshmerga-Truppen aus der Kurdenregion im Nordirak mit Artillerie anrückten. Gruppen der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) schlossen sich ebenfalls dem Kampf gegen IS in Kobane an – und halfen nun mit, den Extremisten eine ihrer bisher bittersten Niederlagen zu bereiten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2015)