ÖVP: Der Vormarsch der Niederösterreicher

Ernst Strasser als EU-Spitzenkandidat ist auch eine Ansage der mächtigen Landespartei.

Mit der Bestellung von Ernst Strasser zum EU-Spitzenkandidaten ist der ÖVP ein Überraschungscoup gelungen: Ein politisch erfahrener Exminister, der – da für einige Jahre aus der Politik ausgeschieden – als neues Gesicht verkauft werden kann und der im Fernsehen gut rüberkommt, kann bei der Europawahl sicherlich besser punkten als der fachlich versierte, aber eher farblose bisherige ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. Zudem ist Strasser als früherer Innenminister eine Ansage nach rechts und an den Boulevard: Den Rechtsparteien kann er Wähler abspenstig machen, die „Kronen Zeitung“ könnte ihre Anti-ÖVP-Linie in EU-Fragen etwas moderater ausfallen lassen.

Es stimmt zweifellos, dass Karas die Personalentscheidung als extrem unfair empfinden muss. Aber Fairness ist nicht wirklich eine politische Kategorie. Zumindest hätte man ihm aber rechtzeitig sagen können, dass er nicht Spitzenkandidat wird. Dann hätte sich der langjährige EU-Mandatar wenigstens die Peinlichkeit erspart, noch zwei Tage vor der Nichtbestellung öffentlich den Wunsch nach der Führungsrolle kundzutun.

Ganz ungefährlich ist auch die Bestellung Strassers für die ÖVP nicht. Im Wahlkampf wird zweifellos dessen Tätigkeit im Innenministerium zum Thema werden. Und die war geprägt von einer einzigartigen Umfärbeaktion: Strasser hat vorgezeigt, wie man unter dem Vorwand einer Strukturreform eine weitgehend einfärbig rote Führungsmannschaft wegbekommt und durch eigene Vertrauensleute ersetzt. Da der E-Mail-Verkehr Strassers inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt ist, lässt sich nachvollziehen, wie sogar unwichtige Gendarmerieposten vom Minister höchstpersönlich mit Parteigängern besetzt wurden.


Mit der Bestellung Ernst Strassers, einst Landesparteisekretär von Erwin Pröll, ist auch einmal mehr offenkundig geworden, dass die Niederösterreicher in der ÖVP im Vormarsch sind. Im ewigen Machtkampf mit der steirischen Landesorganisation haben sie sich zumindest im Moment durchgesetzt. Während sich die Steirer immer noch nicht von der verlorenen Landtagswahl im Jahr 2005 erholt haben, konnte Erwin Pröll vor einem Jahr die absolute Mehrheit im Lande noch ausbauen – und hat seither der Bundes-ÖVP seinen Stempel aufgedrückt: Bundesparteiobmann, Vizekanzler und Finanzminister wurde sein Neffe Josef, Außenminister und demnächst Obmann des Arbeitnehmerbundes der Niederösterreicher Michael Spindelegger. Auch die Kommunikationsabteilung der Partei ist mit Niederösterreichern besetzt. Und Erwin Pröll selbst kann für den Posten des Bundespräsidenten kandidieren, wenn er nur will.

Das Erfolgsrezept der niederösterreichischen ÖVP ist leicht erklärt und schwer zu kopieren. Man nehme einen populären Landesparteivorsitzenden, der unermüdlich durch das Land reist, Hände schüttelt, ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen hat, sich um eine prosperierende Wirtschaft kümmert und Künstlern ein attraktives Umfeld schafft. Diese Weltoffenheit nach außen ist gepaart mit einem ausgeprägten Machtdenken nach innen. So ist es sicher kein Zufall, sondern Ergebnis gezielter Rekrutierung, dass bei der Personalvertretungswahl diese Woche die ÖVP-Liste ÖAAB-FCG mehr als 90 Prozent der Stimmen und alle Mandate auf Landesebene erreichen konnte. Nicht einmal die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter hat es geschafft, landesweit anzutreten.

Zum System Pröll gehört auch die Kontrolle der Medien: Das Landesstudio Niederösterreich betreibt ambitionierte Hofberichterstattung, die landesweit erscheinende Wochenzeitung ist von der Landespresseförderung abhängig – entsprechend kritisch fällt die Beurteilung des Landeshauptmannes aus.

Lässt sich das System Pröll auf Österreich übertragen? Ganz so leicht wird das nicht. Nicht alle Proponenten sind mit dem Charme eines Erwin Pröll gesegnet. Und alle Medien auf seine Seite zu bringen wird nicht so leicht sein. Erstens sitzt mit Werner Faymann schon einer in der Regierung, der dieses Geschäft zumindest ebenso gut beherrscht. Zweitens ist auch der Einfluss von Raiffeisen – seit jeher mit Erwin Pröll eng verbunden – auf einzelne Medien beschränkt. So ist das aktuelle Angriffsziel der ORF. Dass ausgerechnet Richard Grasl, Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich, für höhere Weihen auf dem Küniglberg vorgesehen ist, hat für eine künftige breite Berichterstattung im Fernsehen den Charakter einer gefährlichen Drohung.

EU-Ticket für Exminister Seite 3
Strasser-Porträt Seite 3

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2009)

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