Wachsender Antisemitismus: "Das hat ja nicht vor drei Wochen begonnen"

IKG-Präsident Oskar Deutsch
IKG-Präsident Oskar Deutsch(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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IKG-Präsident Oskar Deutsch berichtet von wachsendem Antisemitismus in Wien und erzählt, wie er mit der Gefahr lebt.

Die Anschläge in Paris, in Brüssel, in Toulouse, eine wachsende Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich– wie prägt all das das jüdische Alltagsleben in Wien?

Oskar Deutsch: Relativ wenig. Natürlich wurden Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, aber das Gemeindeleben geht relativ normal weiter. Auf eine Weise sind wir die Gefahr „gewohnt“, seit den Angriffen in Wien 1981 und 1985 kann jüdisches Leben in Wien nur unter dem Schutz von Wachen stattfinden.

Wie weit ist das Thema Sicherheit im Alltag präsent? Oder blendet man die Gefahr aus?

Die Gemeinde ist sensibilisiert. Aber es ist wie beim Fliegen: Da gab es in den 1980er-Jahren auch kaum Kontrollen, heute sind sie Alltag. In der jüdischen Community ist die Gefahr ein Thema, es gibt Höhepunkte in der Debatte, wie die aktuelle Terrorwelle, die ja nicht vor drei Wochen begonnen hat. Es gab 9/11, Anschläge in London, Toulouse, Brüssel. Aber Paris war sicher der Höhepunkt.

Seit wann beobachten Sie einen wachsenden Antisemitismus?

Seit zwei, drei Jahren kommt es neben den größeren auch zu vielen kleineren Anschlägen, über die man nicht spricht. Die Schändung jüdischer Einrichtungen in Paris, tätliche Übergriffe auf Juden in Deutschland.

In Österreich steigt die Zahl antisemitischer Vorfälle. Welche Art der Vorfälle sind das?

Es geht um Schmieraktionen, um Briefe, die wir bekommen, um Postings im Internet. Zu tätlichen Übergriffen ist es Gott sei Dank noch nicht gekommen, aber Beleidigungen oder Pöbeleien gab es. Es gibt drei Arten von Antisemitismus: den traditionellen rechten, den linken und, das ist neu, den islamistischen Antisemitismus. Der ist am gefährlichsten, weil er brutal ist. Die Zahl islamistischer antisemitischer Vorfälle ist von 2013 auf 2014 um 100 Prozent, von 137 auf 255 beim Forum gegen Antisemitismus gemeldete Fälle, gestiegen.

Wie kann man dem entgegensteuern?

Da ist die Politik gefragt: Vergehen nach dem Hetzparagrafen (§283 StGB, Verhetzung, Anm.) sollten stärker geahndet werden. Es dürfte in Österreich keine Moschee geben, in der gehetzt wird, auch sollten muslimische Schulbücher auf antisemitische Inhalte kontrolliert werden.

Fühlen sich Juden in Wien sicher? Überlegen auch hier Juden auszuwandern?

Es ist hier weit nicht so gefährlich wie in Frankreich. Fühlen wir uns sicher? Ja, aber Terroristen gibt es immer. 100 Prozent Sicherheit nie. Natürlich gibt es Debatten über die 11.000 Juden, die in zwei Jahren aus Frankreich nach Israel ausgewandert sind. Aber bisher ist mir keine Familie bekannt, die das erwägt.

Wie leben Sie persönlich mit der Gefahr, als IKG-Präsident mögliches Ziel zu sein?

Ich habe – auch jetzt – Beamte bei mir, die für meine Sicherheit sorgen. Vor allem aber denke ich an den Schutz unserer Institutionen und der Gemeinde.

Zur Person

Oskar Deutsch ist seit Februar 2012 der Präsident der IKG Wien sowie des Bundesverbandes der Kultusgemeinden Österreichs.

1963 wurde Deutsch in Wien geboren, nach seinem Wirtschaftsstudium stieg er in das Familienunternehmen Alvorada ein, heute ist er Geschäftsführer.

Seit 1993 ist er Mitglied des Kultusrats der IKG, 1997 begründete er mit Ariel Muzicant die Wahlliste Atid („Jüdische Zukunft“). Clemens Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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