Libyen: Der General, der über dem Gesetz steht

File photo of General Khalifa Haftar during a news conference in Abyar
File photo of General Khalifa Haftar during a news conference in Abyar(c) REUTERS (ESAM OMRAN AL-FETORI)
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Radikale Islamisten wollen ihn tot sehen, seine Anhänger feiern ihn als Helden: "Die Presse am Sonntag" traf Khalifa Haftar. Der General ist in Libyens Bürgerkrieg erfolgreich und entzieht sich jeder Kontrolle.

Die Straßen sind mit Schlaglöchern übersät, viele Häuser unverputzt. In Schulen, Ämtern und Hotels blättert die Farbe von den Wänden. Kaum ein Gebäude hat mehr als zwei, drei Stockwerke. Al-Marsch ist eine der typischen Kleinstädte im Osten Libyens, die Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi jahrzehntelang vernachlässigt hat. Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet in dieser Region 2011 die Revolution begann, die mit dem Tod des exzentrischen Herrschers endete. Doch so trostlos al-Marsch im regnerischen Winter wirken mag, der Ort ist der sicherste in ganz Libyen. „Hier muss man sich nicht vor Bombenattentaten, Entführungen oder Schießereien zwischen rivalisierenden Milizen fürchten“, sagt ein Restaurantbesitzer. „Gott sei Dank ist es hier anders als im Rest des Landes.“ Die Sicherheit hat der Ort nur einem Mann zu verdanken: General Khalifa Haftar, der in der verschlafenen Stadt mit 90.000 Einwohnern sein Hauptquartier aufgeschlagen hat.

„Operation Würde“. Es ist eine kleine, schmale Straße, die nach einem Checkpoint am Ortsausgang zur Basis des General führt. In al-Marsch und auch im Rest des Ostens bezeichnet ihn der Volksmund als Retter oder Held der Nation. Aber Haftar ist nicht unumstritten. Der 73-Jährige hatte in Mai 2014 mit seinen Soldaten in Bengasi die „Operation Würde“ gestartet. In der rund 90 Kilometer entfernten Hafenstadt am Mittelmeer begann Haftar die islamistische Extremistengruppe von Ansar al-Sharia, den libyschen Ableger von al-Qaida, zu bekämpfen. Damals handelte der General auf eigene Faust, ohne jegliche Anweisung der Regierung in Tripolis. Er galt als „wilder General“, der das Recht einfach in die eigene Hände nahm und sich jeder Kontrolle entzog.

In Libyen änderte sich seither allerdings einiges. Zwei Monaten nach den Wahlen im Juni musste das neu gewählte Parlament und die Regierung aus der Hauptstadt in den Osten nach Tobruk flüchten. Das Bündnis Faschr Libya (Morgendämmerung Libyen) hatte Tripolis erobert und danach eine international nicht anerkannte Gegenregierung eingesetzt. Als legitime Vertretung Libyens gilt weiterhin Premierminister Abdullah al-Thini und sein Kabinett in Tobruk.Seit August herrscht Krieg zwischen den beiden Regierungen, der das Chaos in Libyen weiter auf die Spitze treibt. Bei Friedensgesprächen gab es noch keine nennenswerten Ergebnisse. Ein Waffenstillstand hielt nicht lang.

Auch für Haftar brachte der Konflikt einen Wendepunkt. Im Oktober segnete das Parlament in Tobruk seine Operation ab. Im Jänner wurde er offiziell wieder in den Dienst der libyschen Armee aufgenommen. Nicht zuletzt auch, weil er in Bengasi Erfolge gegen die Islamisten vorweisen konnte. Heute sollen über 70 Prozent des Stadtgebiets unter Armeekontrolle sein. „Haftar untersteht dem Stabschef und meinem Ministerium“, versichert Masud Abu Rohuma, der Verteidigungsminister in seinem Büro im Regierungsviertel von al-Beida. Zugleich räumt er ein, der General würde nicht zu Planungstreffen erscheinen. „Im Rang steht er über dem Stabschef“, sagt Rohuma schmunzelnd. Es wird deutlich: Haftar macht noch immer, was er will.

Nach 1,5 Kilometern Fahrt und zwei Kontrollen, an denen Telefone abgenommen und das Auto durchsucht werden, erreicht man das Allerheiligste. Einige Panzer stehen auf der Haftar-Basis. Vor dem Haus sind mindestens zehn Pick-ups mit 14,5-mm-Flakgeschützen geparkt. Im Hof liegen Munitions- und Waffenkisten aufgestapelt. Am Eingang des Gebäudes erneut Sicherheitskontrollen und bevor man ins Büro des Generals eingelassen wird, noch einmal Durchsuchung und Leibesvisitation.Haftar steht nicht nur ganz oben auf der Todesliste der radikalen Islamisten, gegen die er in Bengasi vorgeht. Auch in Tripolis und Misrata, deren Milizen mit der Morgendämmerung gegen Haftar kämpfen, wäre sein Tod willkommen. „Ganz gewiss wäre man höchst zufrieden, wenn er verschwinden würde“, so ein Bewohner aus Misrata, der unerkannt bleiben will. „Jeder sagt das hier.“

Der General macht kein Hehl daraus, was er von seinen Gegnern in Tripolis und Misrata hält. „Der Hammer schwebt über allen“, meint Haftar und hält seelenruhig die Hände vor dem Bauch gefaltet. „Zuerst bringen wir die Terroristen in Bengasi unter die Erde oder treiben sie aus unserem Land. Und wenn es mit Tripolis und Misrata keine vernünftige Einigung gibt, sind sie als Nächstes dran.“ Es gebe kein Pardon, denn beide würden die Terroristen finanziell und militärisch unterstützen.

Ideologische Differenzen erkennt Haftar nicht. Ob Ansar al-Sharia, Islamischer Staat (IS), der ebenfalls in Bengasi kämpfen soll, oder die Muslimbruderschaft in Tripolis und Misrata – alle gehörten in denselben Topf. „Letztlich stehen sie alle für das Gleiche. Wir werden uns niemals mit radikalen Islamisten in unserer Heimat abfinden“, sagt er und ballt kurz die Faust. Der Waffenstillstand hält nicht, weil: „Wenn man auf uns schießt, dann kann man nicht klein beigeben und muss das Feuer erwidern“, so Haftar. Die gegnerische Seite würde Vereinbarungen nicht einhalten und ständig lügen. „Sie sind eine Bande von Milizen und Kriminellen. Wir dagegen sind eine legitime Armee einer Regierung, die international anerkannt ist.“ Von seinen Gegner wird nicht minder polemisiert. Der General sei ein Mann Gaddafis, der das alte Regime restaurieren wolle. Zudem arbeite Haftar für den US-Geheimdienst. Anhaltspunkte dafür will man in der Biografie des 73-Jährigen erkennen.

Nachbar der CIA. In den Achtzigern war Haftar Offizier in Libyens Armee und kämpfte im Tschad. Nach der Schlacht in Wadi Doum 1987 geriet er in Gefangenschaft. Gaddafi wollte von ihm und der inoffiziellen Militäroperation nichts mehr wissen. Haftar gründete die Libysche Nationale Armee, um das Gaddafi-Regime zu stürzen. Er erhielt dafür Geld und Guerilla-Training vom US-Geheimdienst – abgesegnet von der Regierung Ronald Reagans. Nachdem die Truppe weder im Tschad noch im damaligen Zaire weiter operieren konnte, wurden ihre Kämpfer in die USA transferiert. Haftar wohnte 25 Jahre lang in Falls Church, nur wenige Kilometer vom CIA-Hauptquartier in Langley entfernt. Ist Haftar ein Agent Washingtons? In Tripolis und Misrata wird das gern behauptet. Nur – der General bekommt keine Unterstützung aus den USA. Es sind Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate, die Libyens Armee und Haftar beliefern. Dassei nichts im Vergleich zu dem, was Tripolis und Misrata von den großen Sponsoren, Katar und der Türkei, bekämen, sagt Haftar.

Appell an Europa. Der General plädiert für eine Aufhebung des Waffenembargos, das der UN-Sicherheitsrats verhängt hat. „Könnten wir Waffen kaufen, dann hätten wir Bengasi längst erobert und würden uns an Derna machen.“ In Derna, der 200 Kilometer östlich von al-Marsch gelegenen Stadt, regieren die Ansar al-Sharia und der IS. „Der Westen sollte uns eigentlich unterstützen“, sagt Haftar. „Wir bekämpfen die Terroristen vor den Toren Europas. Jeder weiß, sollten sie gewinnen, werden sie als Nächstes an europäischen Küsten landen.“ Aber bisher bleibe jede Hilfe von Europa aus.

Im Irak wird den Kurden im Kampf gegen IS geholfen. Warum nicht auch Hilfe für Libyen, für einen Mann, dessen erklärtes Ziel Demokratie und der Sieg über die Islamisten ist? Vielleicht ist man nicht ganz so überzeugt von Haftars Zielen. Kürzlich war Bernadino Leon, der UN-Beauftragen für Libyen, in al-Marsch zu Gast. Haftar erzählt, er habe Leon versichert, man sei an einer friedlichen Lösung interessiert. „Aber ich habe ihm auch gesagt, mit einem Handschlag allein wird niemals Frieden gemacht.“ Nur wer die Macht habe, könne Frieden bringen. Das ist die alte militärische Schule eines Feldherrn.

„Viele glauben, Haftar wolle die Macht an sich reißen“, sagt Mohamed Eljarh, politischer Analyst aus Tobruk. Wie realistisch diese Prognose sei, können man zurzeit schwer abschätzen. „Aber eines ist heute sicher“, so Eljarh, „wenn man an die Extremisten in Bengasi und Derna denkt, an die Islamisten in Tripolis und Bengasi, dann ist Haftar in jedem Fall das kleinere Übel.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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