Die von den USA angedachte Militärhilfe soll den Kreml von seinem Eskalationskurs abbringen. Der riskante Einsatz könnte Chancen haben.
Der Friedensprozess im Konflikt in der Ostukraine, schon mehrfach totgesagt, droht nun tatsächlich zu verenden. Die Donezker und Luhansker Separatisten wähnen sich auf der Siegerstraße und boykottierten zuletzt die Verhandlungen im weißrussischen Minsk. Unverschämt sind ihre Forderungen: Sie wollen eine „Nachbesserung“ des Minsker Memorandums, eine rückwirkende Anerkennung ihrer Gebietsgewinne, die sie seit September 2014 gemacht haben.
500 Quadratkilometer sind es, und sie drängen weiter, Tag für Tag, Meter um Meter. In der Kleinstadt Debaltsewo bahnt die nächste Niederlage sich für die ukrainische Armee an: Ihre Soldaten könnten bald in einem Kessel eingeschlossen sein. Das weckt Erinnerungen an den Belagerungsring von Ilowajsk, der damals für mehr als 200 ukrainische Kämpfer mit dem Tod geendet hat.
Internationale Aufrufe, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, verhallen. Es ist die Rückendeckung aus Moskau, die Donezk und Luhansk zur Eskalation antreibt.
In diese angespannte Situation schlägt die Nachricht von möglichen künftigen Waffenlieferungen der USA an Kiew ein wie eine Bombe. In einem aktuellen Bericht plädieren mehrere hochrangige US- und Nato-Diplomaten für Waffenhilfe im Ausmaß von drei Milliarden Dollar, 2,65 Milliarden Euro. Schon jetzt liefern die USA Schutzwesten, Nachtsichtgeräte, Erste-Hilfe-Sets an die Ukraine. Nun geht es erstmals um tödliche Waffen. Die westlichen Sanktionen seien wichtig, reichten aber nicht aus, heißt es in dem Papier.
Es ist eine neue Drohkulisse, die weitere Eskalation befürchten lässt. Freilich müsste die Waffenhilfe erst in Washington vom Kongress gebilligt werden. Der Vorschlag scheint zeitlich abgestimmt: US-Außenminister John Kerry wird am Donnerstag in der Ukraine erwartet. Kiew fordert schon lang militärische Unterstützung von Europa und den USA. Europa ist dazu derzeit nicht bereit. Washington könnte die Vorhut bilden. Preschen die USA vor, würden Polen, das Baltikum oder Großbritannien womöglich nachziehen.
Spricht etwas gegen die Bewaffnung der Ukrainer? Grundsätzlich nicht. Kiew ist keine dubiose Kriegspartei, es teilt mit dem Westen dessen weltanschauliche Ziele. Wie weit aber sollte die Unterstützung gehen? Sollen Freiwilligenbataillone, wie etwa die Neonazi-Gedankengut propagierende Truppe Asow, die im Verband mit dem Militär kämpft, auch bewaffnet werden? Was passiert, wenn Fotos mit Hakenkreuz-tätowierten Jungs auftauchen, die amerikanische Waffen in Händen halten? Diesen unangenehmen Fragen sollte sich Washington stellen. Bevor entschieden wird.
Kiews heruntergewirtschaftete Armee kämpft verlustreich gegen eine Hybridmaschinerie, deren Software aus lokalen Bewaffneten und einer Hardware besteht, die auf dem neuesten Stand ist und aus Russland herangeschafft wird. Schätzungen reichen von 1000 Mann auf Führungs- und Planungsebene (Nato) bis hin zu 10.000 russischen Soldaten (Kiews Angaben). Tatsächlich mangelt es der Armee vor allem an „intelligenter“ Ausrüstung: Die geplante Ausstattung mit Militärtechnik – Radar, das Artillerie- und Raketenstellungen orten kann, und Drohnen – sollte dabei Priorität vor tödlichen Waffen haben.
Die entscheidende Frage ist freilich: Können Waffen bewirken, was Sanktionen beim Kreml bisher nicht bewirkt haben? Eine Verhaltensänderung Wladimir Putins nämlich, der angesichts des gestiegenen Risikos und der finanziellen Kosten zum Umdenken gezwungen werden soll? Empfindlich erhöhte Kosten hat Russland jetzt schon (und sie sollten – so Europa sich endlich einmal durchringt – durch weitere Sanktionen gesteigert werden!). Der Kreml aber hat sein Heer nicht abgezogen. Ob das neue Washingtoner Szenario aufgeht, vermag niemand zu prognostizieren. Putins improvisierter Kriegseinsatz in der Ostukraine folgt keinem Masterplan. Bisher speiste er sich aus den Möglichkeiten, die man ihm ließ.
Friedensgespräche und Sanktionen sind nicht sinnlos, Militärhilfe nicht die Wunderwaffe gegen Putin. Womöglich aber würden sie dem Kreml einen Gegner auf Augenhöhe verschaffen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2015)