AKH bereits „jenseits der Leistungsfähigkeit“

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MITTERLEHNER(c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)
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Ein Brief an Wissenschaftsminister Mitterlehner und die Spitalsführung zeigt, wie dramatisch die Situation im AKH mittlerweile ist. Operationen werden laufend verschoben.

Wien. Das Wiener AKH, Österreichs größte Spitals- und Wissenschaftseinrichtung, hat wegen der neuen Arbeitszeitregelung für Spitalsärzte erhebliche Kapazitätsprobleme. Wie dramatisch die Situation mittlerweile ist, zeigt ein Schreiben des Primarärztekollegiums, das Montagmittag an Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), Rektorat und Direktion des AKH sowie an mehr als 50 Klinik- und Abteilungsleiter ergangen ist.

Darin heißt es unter anderem: „Es besteht kein Zweifel, dass seit der Einführung des KA-AZG (Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, Anm.) sich die Qualität der Versorgung im Bereich des AKH dramatisch verschlechtert hat. Dieses haben die diversen Klinikvorstände und Abteilungsleiter in unzähligen Wortmeldungen [...] vorgebracht [...].“ Nun sei die Qualität der Patientenversorgung trotz Bemühungen der Ärzteschaft in „äußerst gefährdet und mehr als nur infrage gestellt“, schreiben die Primarärzte. „Etwa 50 Patienten (allein im Thoraxchirurgie-Bereich 30) müssen regelmäßig jede Woche in ihrem Operationstermin verschoben werden, was unweigerlich zu einer katastrophalen Warteliste führt [...].“

In der Abteilung Strahlentherapie müssten Patienten nur für einen Vorstellungstermin Wartezeiten von zwei Monaten in Kauf nehmen. Dies führe zu einer „schwerwiegenden Verletzung gegenüber internationalen Richtlinien“ in der Patientenversorgung. Unfallchirurgie, Notfallaufnahme, Geburtshilfe und Gynäkologie sowie Kardiologie würden sich „jenseits ihrer Leistungsfähigkeit bewegen, wenn sie sich gesetzeskonform unter Bedachtnahme auf optimale Qualität“ verhalten wollten.

Im Rektorat wollte man zu dem Brief nicht Stellung nehmen. „Wir kommentieren interne Schreiben nicht öffentlich. Wir sind mitten in Verhandlungen“, so ein Sprecher am Dienstag. Der neue AKH-Direktor, Herwig Wetzlinger, räumte ein, „dass die Besetzung am Tag geringer ist“. Der Grund dafür sei, dass die Verhandlungen über eine Neufassung der Betriebsvereinbarung zwischen Rektor Wolfgang Schütz und dem Betriebsrat noch keine Einigung gebracht hätten. Man könne organisatorisch wohl erst nach einem Abschluss weitere Maßnahmen setzen. Mit im Spiel ist das Wissenschaftsministerium, weil die Ärzte der Universitätskliniken Angestellte des Wissenschaftsministeriums sind.

Demotivierte Ärzte

Die neue Arbeitszeitregelung – eine EU-Vorgabe, die mit Jahresbeginn in Kraft getreten ist – besagt, dass Ärzte im Schnitt nicht mehr 60, sondern nur noch 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Viele Mediziner fürchten nun Gehaltseinbußen bis zu einem Drittel, weil Zuverdienstmöglichkeiten wie Nachtdienste und Überstunden wegfallen. Wer eine Verzichtserklärung unterschreibt, darf zwar weiter länger arbeiten (wobei diese Übergangsregelung 2021 ausläuft). Doch das hat nur ein Teil der Mediziner getan.

„Man muss zwei Probleme trennen: Gehälter und Strukturen“, sagt ein Abteilungsleiter am AKH, der nicht genannt werden will. Zuerst müsse die Gehälterfrage geklärt werden. „Die Ärzte verdienen wie die Ober in der Gastronomie. Sie bekommen ein geringes Grundgehalt, das ,Trinkgeld‘ waren bisher die Nachtdienste.“ Fallen die weg, müsste man das ausgleichen. Die zweite Maßnahme müssten strukturelle Änderungen sein, etwa bei den Dienstplänen. Neues Personal inklusive. Er habe „noch nie einen derartigen Grad an Demotivation bei den Kollegen gesehen“, so der Abteilungsleiter.

Ein anderer leitender Arzt berichtet von „ständigen OP-Verschiebungen“. Es fehle das Personal „für die Aufsicht“ in der Ausbildung der Fachärzte. Und in der Ambulanz mache ein Arzt in Ausbildung Dienst. Denn sonst sei niemand mehr da. (red./APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2015)

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