Ukraine: Zivilisten fliehen vom „größten Schlachtfeld“

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Seit Wochen tobt der Kampf um die strategisch bedeutsame Kleinstadt Debaltsewo. Nun brachten sich eingekesselte Bewohner während einer Feuerpause in Sicherheit.

Kiew/Warschau. Die ukrainischen Regierungstruppen haben sich mit den prorussischen Separatisten am Freitag überraschend auf eine zeitlich und örtlich begrenzte Waffenruhe bei Debaltsewo geeinigt. Die bisher von den Ukrainern gehaltene Kleinstadt ist seit ein paar Tagen von Separatisten und russischen Kämpfern umzingelt. Angeblich sollen sich bis zu 8000 ukrainische Soldaten und gut 5000 Zivilisten in dem Gebiet aufhalten.

„Friedliche Zivilisten können die Stadt ungehindert verlassen“, sagte Eduard Basurin, der Vizeverteidigungsminister der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“ Freitagmittag. Die Waffen würden bereits seit 9 Uhr morgens schweigen. Laut Basurin sollte die Feuerpause um 17 Uhr Lokalzeit (16 Uhr MEZ) enden. „Aus der Stadt sind bereits Autobuskonvois gefahren“, erklärte Basurin gegenüber der Donezker Presseagentur. Es seien bereits rund 1000 Zivilisten in Sicherheit gebracht worden. Der selbst ernannte separatistische Vize-Premier Denis Puschilin präzisierte, diese könnten selbst wählen, ob sie sich in das von den Separatisten oder den ukrainischen Regierungstruppen kontrollierte Gebiet begeben wollten.

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Reisebusse holen Bewohner ab

Laut westlichen Agenturberichten fuhr ein Dutzend Reisebusse über die Ortschaft Wuhlehirsk von Westen rund zehn Kilometer nach Debaltsewo. Der Konvoi wurde auf halber Strecke von einem Radpanzer der ukrainischen Armee in Empfang genommen und in die zumindest teilweise noch von Kiew-treuen Truppen kontrollierte Stadt begleitet. Vermutlich soll er gegen Norden in die im Sommer 2014 von Regierungstruppen zurückeroberten ehemaligen Separatistengebiete fahren. Dorthin besteht laut Sorian Schkirjak vom ukrainischen Innenministerium ein „grüner Korridor“, der den Zivilisten Schutz bieten soll. Diese Straße nach Artjomowsk und Kramatorsk war seit ein paar Tagen unter heftigem Artilleriefeuer der pro-russischen Separatisten.

Damit ist die Stadt Debaltsewo selbst de facto fast völlig umzingelt. Die vor dem Krieg 25.000 Einwohner zählende Kleinstadt ist ein strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Sie liegt heute noch in einem weit zwischen die beiden selbst ernannten „Volksrepubliken“ ragenden Keil, der im Sommer von den Ukrainern zurückerobert worden war.

Ohne Strom, Wasser und Gas

Der Kampf um Debaltsewo dauert schon seit Wochen, hat sich indes seit Ende Jänner intensiviert. Fast zwei Wochen schon harren die letzten verbleibenden Einwohner ohne Strom, Wasser und Gas aus. Erst vor ein paar Tagen hat Amnesty International die Lage der eingekesselten Zivilisten als „katastrophal“ bezeichnet. Kiew war es offenbar nicht gelungen, die ausreisewilligen Zivilisten in Sicherheit zu bringen. AI kritisierte die misslungenen Versuche als „erbärmlich“.

In Kiew wurden derweil Stimmen laut, die meinten, die Regierung tue absichtlich nichts, um den Druck für Waffenlieferungen aus dem Westen zu erhöhen. Auch die Lage der bis zu 8000 Regierungstruppen soll dramatisch sein. Im Gegensatz zu den im August bei Ilowajsk umzingelten und später größtenteils von den prorussischen Kräften aufgeriebenen ukrainischen Truppen wird diesmal, ein halbes Jahr später, weit professioneller gekämpft. Die in einem rund 200 Quadratkilometer großen Gebiet eingeschlossen Truppen sind einer konzertierten Attacke von Artillerie, Infanterie und Panzertruppen ausgesetzt. „Dies ist die größte und erbittertste Schlacht im russisch-ukrainischen Krieg“, schreibt der ukrainische Armeejournalist Jurij Butusow.

Trotz ihrer offensichtlich immer verzweifelteren Lage meldet die ukrainische Armee weiterhin Erfolge. So will sie in den vergangenen zwei Tagen mindestens 60 Separatisten getötet sowie vier Panzer zerstört haben. Die eigenen Verluste wurden von einem Armeesprecher am Freitagmittag in Kiew mit zwei getötete Soldaten und 26 Verletzten angegeben. Dass es um die Disziplin in den Regierungstruppen nicht zum Besten steht, zeigt indirekt die Verschärfung des Militärrechts. Mit großer Mehrheit (260 von 320 Stimmen) hat die Werchowna Rada, das Parlament in Kiew, die Strafsätze für Befehlsverweigerung sowie unerlaubtes Entfernen vom Gefechtsstand deutlich erhöht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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